# taz.de -- Der Hausbesuch: Der Wahrheit auf der Spur | |
> Wolfgang Schorlaus Kriminalromane sind immer politisch – und genau | |
> recherchiert. Für sein neues Buch hat er auch mit Windkraftgegnern | |
> gesprochen. | |
Bild: Im Wintergarten steht Schorlaus Schreibtisch. Von hier aus lässt er sein… | |
Seine eigene Wohnung nutzt Schorlau nur noch als Büro. Er lebt jetzt bei | |
seiner Partnerin Petra Olschowski, der Ministerin für Wissenschaft, | |
Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg. | |
Draußen: Gutbürgerlich kann man den Teil von Stuttgart-Mitte nennen, in dem | |
das Promi-Paar lebt. Das Mehrfamilienhaus wurde 1899 im Stil des | |
Historismus und des Jugendstils errichtet und steht unter Denkmalschutz. | |
Hier gibt es weniger Kneipen und Restaurants als in den nahegelegenen | |
Szenequartieren Heusteigviertel, wo Schorlau sein Büro hat, und | |
Bohnenviertel, wo sein fiktiver Privatermittler Georg Dengler wohnt. „Aber | |
wir haben hier den besten Italiener der Stadt“, findet Schorlau. | |
Drinnen: Die Vierzimmer-Wohnung liegt im vierten Stock, einen Fahrstuhl | |
gibt es nicht. Im Wohnzimmer sind die Regale voller Bücher und die Wände | |
voller Bilder. Darunter zahlreiche Originale, die Petra Olschowski von | |
Künstlern und Künstlerinnen erworben oder geschenkt bekommen hat. Als | |
ehemalige Rektorin der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste ist sie | |
gut vernetzt. Schorlaus Schreibtisch steht vor dem Fenster im Wintergarten. | |
Schreiben: Zwei Jahre hat Wolfgang Schorlau an seinem neuen Roman „Black | |
Forest“ gearbeitet. In der Schreibphase braucht er einen disziplinierten | |
Tagesablauf. Ein doppelter Espresso mit einem Schuss Hafermilch steht stets | |
am Anfang. „Von 9 bis 14 Uhr schreibe ich dann.“ Die Recherchen sind | |
aufwendig: Mit welchen Methoden werden Windräder verhindert, wie ist die | |
Rechtslage, was sagt die [1][Wissenschaft zum Klimawandel]? Zahlreiche | |
Fahrten in den Schwarzwald waren nötig: „Der Feldberg-Ranger Achim Laber | |
war mir ein wichtiger Führer. Er zeigte mir auch einen geeigneten Tatort | |
für einen Mord.“ | |
Familienroman: Schorlaus neues Buch ist eine Familiengeschichte, denn | |
Privatermittler Dengler möchte sich eigentlich um seine Mutter kümmern. Er | |
fürchtet, sie könnte dement sein, weil sie Gespenster sieht. Vor allem aber | |
geht es um [2][ein Windrad, das auf dem Feldberg im Schwarzwald gebaut | |
werden soll], auf dem Grundstück von Denglers Mutter. Dadurch ist es auch | |
ein Buch zum Klimawandel. Der sei „das zentrale Thema der Menschheit | |
überhaupt. Es ist ziemlich entscheidend, ob man ihn in den Griff bekommt | |
oder nicht. Darum gruppieren sich die politischen Kräfte“, sagt Schorlau. | |
Falscher Schutz: Die Mutter des Privatermittlers ist nicht dement, aber sie | |
ist gegen das Windrad. Denn eine Bekannte hat ihr versichert, dass ein | |
Windrad Infraschall verursacht, der Menschen und Tiere krank machen würde. | |
Ein Test muss her. Dafür treffen sich Gegner und Befürworter im Windpark. | |
Ihre Messungen zeigen: Das Windrad erzeugt keinen Infraschall und macht | |
nicht krank. Auch der Versuch der Fossilen-Industrie-Lobby, das Rad auf dem | |
Feldberg [3][zum Schutz des gefährdeten Auerhuhns] zu verhindern, wird als | |
Manipulation entlarvt und scheitert. | |
Lügenlobby: Schorlau hat wie immer gründlich recherchiert. In dieser Sache | |
geht es um viel Geld. „Mit fossiler Energie werden drei Milliarden Dollar | |
verdient. Pro Tag.“ Dementsprechend groß ist das Budget für Einflussnahme | |
und Desinformation. „Diese Industrie hat ihre Fürsprecher in Parteien und | |
Parlamenten“, das hat der Schriftsteller auch von einer Europaabgeordneten | |
erfahren, die er in Brüssel besucht hat. Es werde sehr auf die nächsten | |
Bundestagswahlen ankommen, meint er. Werden die Parteien gewinnen, die | |
weiter auf Verbrenner setzen, oder die Verfechter erneuerbarer Energien? | |
Der Schriftsteller möchte optimistisch bleiben. | |
Zuhören: Wenn strittige Themen wie der Klimawandel verhandelt werden, | |
stünden sich unterschiedliche Gruppen oft unversöhnlich gegenüber. Man | |
lasse andere Argumente gar nicht zu, bedauert Schorlau, und die sozialen | |
Medien hätten all das verschlimmert. | |
Viel besser wäre es früher aber auch nicht gewesen: „Als ich in der | |
68er-Bewegung demonstrieren ging, war die freundlichste Bemerkung in meinem | |
Betrieb noch: ‚Geh doch nach drüben‘ – und als ich meine Haare länger | |
wachsen ließ, wurde ich auf der Straße angegriffen.“ Heute will Schorlau im | |
Gespräch bleiben. Im Schwarzwald hat er auch mit Windkraftgegnern | |
gesprochen und ihre Ängste – ihre Grundstücke verlören an Wert – ernst | |
genommen. Ob es was genützt hat, weiß er nicht. | |
Spätstarter: Geboren wurde Wolfgang Schorlau 1951 in Idar-Oberstein. Seine | |
Jugend hat er in Freiburg verbracht und Großhandelskaufmann gelernt. | |
Vorübergehend schloss er sich auch dem Kommunistischen Bund Westdeutschland | |
(KBW) an. Das hat er mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten | |
Winfried Kretschmann gemeinsam. „Ich habe aber noch nicht mit ihm darüber | |
gesprochen.“ Dann zog Schorlau nach Westberlin und holte auf dem zweiten | |
Bildungsweg das Abitur nach. Er studierte Marx und Engels. „Aber das war | |
langweilig.“ | |
Er wurde Informatiker und gründete in Ludwigsburg bei Stuttgart ein kleines | |
Software-Unternehmen. Weil er die Hintergründe der [4][Ermordung des | |
Treuhandchefs Detlev Karsten Rohwedder] mysteriös fand, beschloss er, | |
darüber einen Kriminalroman zu schreiben. Kurz vor seinem 50. Geburtstag | |
(er sagt lieber: „Ende 40“) wagte er es, sich aus seiner Firma | |
zurückzuziehen und als freiberuflicher Schriftsteller zu arbeiten. | |
Doppelter Schorlau: Mit seinem ersten Buch erfindet Schorlau den | |
Privatermittler Georg Dengler. Wobei er gar nicht viel erfinden muss: | |
Dengler wohnt in Stuttgart, sein Lieblingsrestaurant ist das „Basta“, er | |
trinkt am liebsten Weißburgunder vom Kaiserstuhl und er mag Bluesmusik. All | |
das haben sie gemeinsam, wie auch den Wunsch, gesellschaftliche Missstände | |
aufzudecken. „Die Blaue Liste. Denglers erster Fall“ verkaufte sich | |
zunächst schleppend. „Jeden Tag habe ich meinen Lektor angerufen, ich war | |
verschuldet, habe meine Kumpels angepumpt.“ Aber die Kritik war gut, die | |
Buchhändler überzeugt, und mithilfe der Mundpropaganda zog der Absatz an. | |
Inzwischen ermittelte Georg Dengler bereits elf Mal. | |
Der Untersuchungsausschuss: In allen Dengler-Romanen greift Schorlau | |
gesellschaftliche und politische Missstände auf. Es geht etwa um die | |
Pharmaindustrie, die Massentierhaltung oder das Oktoberfestattentat. Am | |
meisten Aufsehen erregte [5][„Die schützende Hand“ um die rechtsextreme | |
Terrorgruppe NSU]. Schorlau meint nachweisen zu können, dass die Suizide | |
von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sich nicht so ereignet haben können, wie | |
von der Polizei ermittelt. Er wurde sogar als Berichterstatter zum | |
NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtages geladen, | |
als erster Schriftsteller überhaupt, vermutet er. Fehler in seinen | |
Recherchen hat ihm noch niemand nachgewiesen und verklagt wurde er auch | |
noch nicht. | |
Der Performer: Auch beim Vorstellen seiner Dengler-Romane hatte Schorlau | |
Startschwierigkeiten. Der Moderator, der ihn bei einer Lesung seines ersten | |
Romans begleitete, sagte ihm nach der Veranstaltung: „Wolfgang, du liest | |
richtig scheiße!“ Schorlau nahm es sich zu Herzen und lernte dazu. „Es ist | |
mein Job, dem Publikum einen schönen Abend zu geben.“ Dafür sorgt er | |
mittlerweile immer wieder, auch mit Musik – Blues natürlich. Dann hat er | |
auf seiner Lesereise den Freund Werner Dannemann an der Gitarre dabei, und | |
Schorlau selbst spielt Mundharmonika. | |
Sozialkritiker: Zu Hause wird natürlich oft über Politik geredet. Seine | |
Partnerin Petra Olschowski ist grüne Ministerin. „Sie macht ihren Job gut“, | |
findet er. Nur die Frage ist: wie lange noch? 2026 wird im Ländle gewählt, | |
und in den Umfragen liegen die Grünen weit hinter der CDU. Schorlau wirft | |
den Grünen vor, sich im Kampf gegen die Klimakrise zu wenig um die sozial | |
Schwachen zu kümmern. „Die untere Hälfte, die sowieso schon bangt, ob das | |
Geld bis zum Monatsende reicht, hat Angst, zur Kasse gebeten zu werden. | |
Diese Angst müssten ihnen die Grünen nehmen, aber für die haben sie nichts | |
im Angebot. Sie wirken kalt und hartherzig.“ Aber für die Landtagswahl hat | |
er noch Hoffnung: „Mit Cem Özdemir als Kandidat werden die Karten neu | |
gemischt.“ | |
26 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Siller | |
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