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# taz.de -- 68er-Roman „Rebellen“: Die Drogen fehlen
> Alexander ist Fabrikantensohn, Paul ist Proletarier und hört Beatmusik.
> Wolfgang Schorlau erzählt die Geschichte einer 68er-Männerfreundschaft.
Bild: Zeiten des Aufruhrs: Proteste vor der Frankfurter „Bild“-Druckerei im…
„Was bleibt von der Rebellion und den Idealen der Jugend?“, heißt es im
Klappentext des Romans „Rebellen“ von Wolfgang Schorlau. Eine irgendwie
komische, konservative Frage, 45 Jahre danach.
Für Alexander, den Sohn aus gutem Hause, war die Rebellion eine
episodische, gefühlvolle Phase seiner Jugend, an die er manchmal denkt,
wenn er ein Konzert seiner Lieblingsband Rolling Stones besucht. Längst ist
er als erfolgreicher Unternehmer in der Herstellung von Airbags tätig.
In einer Szene des Romans, der von „den gesellschaftlichen Umwälzungen der
sechziger und siebziger Jahre“ in Freiburg erzählt und in der ungefähren
Gegenwart endet, wird er auf einem Empfang von einem Banker angesprochen.
Er habe doch früher Steine in sein Institut geworfen. Alexander antwortet:
„War es nicht Churchill, der einmal gesagt hat, dass man kein Herz hat,
wenn man mit zwanzig nicht Kommunist ist, und keinen Verstand, wenn man es
mit dreißig immer noch ist?“
Das Engagement in einer maoistischen Partei hat ihm sogar genützt bei der
Restrukturierung der Firma seines Vaters. Im Grunde genommen hat er seine
früheren Ideale verraten. Beziehungsweie in die Unternehmertätigkeit
transformiert. Konkret wird er auch später seinen Freund verraten.
Der andere, Paul, sein bester Freund von früher, ist seinen Vorstellungen
treu geblieben. Genügsam wohnt er immer noch in der gleichen Wohnung, in
die er als junger Mann einzog, hat die Arbeitsstelle nicht gewechselt, in
einem Satz wird auch erwähnt, dass er die Grünen mit gründete.
## Klassische Paarkonstellation
Die beiden Freunde, aus deren wechselseitiger Perspektive der Roman zumeist
erzählt wird, kommen aus gegensätzlichen Verhältnissen; Paul wohnt im
Kinderheim; Alexander ist der Sohn eines Fabrikanten. Der eine geht aufs
Gymnasium, der andere auf die Volksschule. (Eine im Umfeld von 68 häufig
auftretende Männerpaarkonstellation, die Klaus Theweleit in seinem „Buch
der Könige“ analysiert hat.)
Als Jugendliche lernen sie einander kennen. Die unterschiedlichen
Verhältnisse, in denen sie leben, macht sie attraktiv füreinander. Die
Schilderung der Kindheit und frühen Jugend der beiden, die Bedrängungen im
Kinderheim, die Verhältnisse im gut situierten Elternhaus von Alexander,
die ersten Liebesbeziehungen, gehören zu den Stärken des Buchs.
Alexander, bei dem zu Haus nur ernsthafte Musik gehört wird, lernt bei Paul
die Beatmusik kennen. Paul wird wiederum von Alexander politisiert, wie man
damals so sagte. Während im Gymnasium und im Elternhaus von Alexander, „der
gute Stall“ zählt, sind die Verhältnisse im politisierten Umfeld umgekehrt:
Paul wird als Vertreter der unteren Klassen, denen die Revolution
aufgegeben ist, (mit einem Zug zum Paternalismus) hofiert; Frauen
interessieren sich dafür, wie ein echter Proletarier im Bett ist.
Unterschiedliche Aspekte von 68 werden abgehandelt: Beatmusik, sexuelle
Revolution, Demonstrationen gegen eine Fahrpreiserhöhung als Erfahrung der
Verbindung mit den normalen Mitbürgern; die eher lustfeindlichen K-Gruppen
versus die Spontis, die lange schlafen und versuchen, sich einen schönen
Tag zu machen.
## Der Traum von der Ehe zu dritt
Toni, Alexanders spätere Frau, steht zwischen den beiden Freunden und
träumt von einer Ehe zu dritt. Ihr Mann wird der Psychotherapeutin später
eine Praxis einrichten, in der sie magersüchtige Mädchen behandelt.
Magersüchtige rebellieren nicht, weil sie die Machtverhältnisse
internalisiert haben, heißt es.
Alles ist nachvollziehbar, man liest das Buch wie einen Film, wie einen
zweiteiligen „Tatort“ ohne richtiges Verbrechen; nur manchmal hat man das
Gefühl, dass allzu modellhaft die unterschiedlichen Aspekte von 68 pp.
abgehandelt werden, wobei interessanterweise die Drogen fehlen.
Manche Passagen wirken etwas gespreizt und politisch korrekt, wenn Toni
denkt: „Ich glaube, in meinem aufkeimenden Feminismus mochte ich das
deutlich spürbare Mackertum von Baader nicht. Vor allem lehnte ich Gewalt
ab. Es war so unglaublich vermessen, sich herauszunehmen, über Leben und
Tod zu entscheiden. Schleyer war ein alter Nazi. Sicher. […] Aber wenn die
RAF alle alten Nazis hätte killen wollen – 1977 hätte das Massenmord
bedeutet.“
Viel Zeit ist seit 1968 vergangen; viele Bücher über 68 sind geschrieben
worden, viele Filme gedreht. Schorlau hat viel recherchiert – Ältere, die
sich in Freiburg auskennen, werden Vorbilder einiger Protagonisten
identifizieren können –, er hat sich darum bemüht, ein differenziertes Bild
dieser Zeit zu zeichnen, in der die Einführung der Popmusik im
konservativen Deutschland und ein politisches Aufbegehren Hand in Hand
gehen. Alles ist mehr oder weniger nachvollziehbar; trotzdem ist der Roman
etwas zwiespältig, schlicht, weil das 68er-Thema schon so häufig
abgehandelt wurde.
Was bleibt? – Was soll schon bleiben? Die Rudi-Dutschke-Straße,
Stadtführungen zu den Schlachten von damals, linke Baugruppen, die sich
zerstreiten und gegeneinander prozessieren. Was bleibt ist eine klassische
Frage, die Hölderlin bekanntlich so beantwortete „Was bleibet aber, stiften
die Dichter.
Wolfgang Schorlau: „Rebellen“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013, 336 Seiten,
19,99 Euro
24 Apr 2013
## AUTOREN
Detlef Kuhlbrodt
## TAGS
Schwerpunkt 1968
Rebellion
wochentaz
Bestseller
Gezi-Park
Schwerpunkt 1968
Mao
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