Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Götz Alys 68er-Buch "Unser Kampf": Der Studienräte-Schocker
> Götz Aly entlarvt in "Unser Kampf" die 68er als heimliche Nazis. Ein
> unernstes Buch zu einem ernsten Thema, unterhaltsam wie ein "Donald
> Duck"-Heft.
Bild: SDS gleich SA: Karikatur aus dem Jahr 1968 in der Springer-Presse.
Die vergangenheitspolitischen Schlachten um "1968", um Joschka Fischer und
Jürgen Trittin sind längst geschlagen, diskursive Gewinne kaum mehr zu
erwarten. Das Thema "1968" ist auf dem besten Weg, historisiert zu werden.
In den letzten Jahren hat sich ein erfreulich nüchterner Blick auf "68"
entwickelt. Dieser Blick ist fern von der Heldengeschichte, in der ein paar
tausend Studenten der Bundesrepublik erst die echte Demokratie bescherten.
Und ebenso fern von der verbiesterten konservativen Lesart, in der die
Revolte eine hypertrophe Spinnerei war, die Familie und Arbeitsmoral
zersetzte. Der neue, distanzierte Blick fokussiert, dass der Gewinn an
Freiheiten Ende der 60er-Jahre viel mit einschneidenden sozialen
Veränderungen zu tun hatte, etwa dem Übergang von einer Arbeits- zur
Freizeitgesellschaft und der Entwicklung von Massenuniversitäten. Die
Studentenrevolte erscheint in dieser Sichtweise mehr als Beschleuniger denn
als Ursache des Wertewandels in den 60ern. Hinzu kommt, dass auch die Linke
akzeptiert hat, dass die RAF ein Nebenprodukt von "1968" war und die
Revolte insofern gehörig an Glanz verloren hat - während umgekehrt Rechte
wie Eberhard Diepgen ihr Positives abgewinnen. Der endlose Grabenkampf um
"1968" scheint zu Ende zu gehen.
Wer in dieser entspannten Lage doch noch Erregungswellen auslösen will,
muss zu schwerem Gerät greifen. Und das sicherste Mittel, um hierzulande
Aufmerksamkeitsgewinne zu erzielen, ist noch immer der Nazi-Vorwurf. "Unser
Kampf" heißt daher Götz Alys Anti-68er-Polemik.
Die Vorwürfe lauten ungefähr so: Die 68er waren vor allem Kinder ihrer
Nazi-Eltern. Sie haben, wie NS-Studenten in den 30er-Jahren, jüdische
Professoren drangsaliert. Sie haben sich mit aller Kraft gegen die
Aufklärung von Auschwitz gestemmt und daher logischerweise "USA-SA-SS"
gebrüllt. Sie sind dem Massenmörder Mao hinterhergelaufen, so wie ihre
Väter Hitler. Die Rätedemokratie, von der sie träumten, war keine libertäre
Utopie, sondern eine verkleidete Neuauflage des NS-Ständestaats.
Handfest bewiesen wird eigentlich nichts, dafür wird viel nahegelegt,
insinuiert und assoziativ verbunden. Um diese steilen Thesen plausibel zu
machen, greift Aly öfter zu Begriffen wie "erinnert an" oder "analog". So
erinnert ihn Dutschkes Fantasie, wie die Studentenbewegung die Macht
übernehmen könnte, an Hitlers Machteroberung. Er verweist darauf, dass sich
"die nationalsozialistische Studentenbewegung ebenfalls Studentenbewegung
nannte". "Analog" zu der Frage, was die Deutschen über den Judenmord wissen
konnten, ergibt sich "für die Mao-Bewunderer die Frage, was sie hätten
wissen können".
Zweifellos ist interessant, was 1968 im Westen verlässlich über den Terror
der Kulturrevolution bekannt war. Aber ist es wirklich vergleichbar mit der
Frage, was die Deutschen von 1933 bis 1945 wussten, mit ansahen oder von
ihren Söhnen und Ehemännern aus dem Osten hörten? Kann man den kollektiven
Verdrängungsprozess, der einschloss, bei der Reichkristallnacht die Tür
zuzumachen und die antisemitische Propaganda zu überhören, mit dem Treiben
von ein paar tausend Studenten "analog" setzen, die in den 70er-Jahren ihre
Zeit damit verplemperten, morgens um fünf am Werkstor Arbeiter mit
Mao-Elogen anzuöden?
Die Wiedergänger
Eigentlich nicht. Doch Aly will die Maoisten unbedingt als Wiedergänger
ihrer Nazi-Eltern dingfest machen. Der Maoismus war eine totalitäre
Ideologie, allerdings war er auch eine globale Erscheinung, die von der
Türkei über Peru bis zu den Philippinen reichte. Bei Aly erscheint der
Maoismus als deutscher Psychodefekt. "Unser Kampf" ist überhaupt ein sehr
deutsches Buch. Dass "68" ein internationales Ereignis war, kommt der
Einfachheit halber kaum vor. Denn das würde womöglich die tonnenschwere
Schuld relativieren, die die deutschen "68er" auf sich geladen haben. Und
Schuld relativieren, das kommt hier keinesfalls in Betracht.
"Unser Kampf" ist ein Anti-68er-Buch, das in seiner Mischung aus Hypermoral
und Schnodderton selbst ziemlich 68erhaft wirkt. Es zielt auf Skandal, will
provozieren, ist tendenziös und verbindet hochfahrenden Wahrheitsanspruch
mit entschlossener Verengung des Blicks. Denn in "Unser Kampf" geht es fast
nur darum, an dem, was die Kader der Bewegung so dachten, kein gutes Haar
zu lassen, kaum aber um Sex, Musik, Kultur und Alltag. Alys Ironie hat auch
nichts Entspanntes, sie ist schneidend und arrogant. Wir dürfen uns den
Studenten Aly als rabiaten jungen Linksextremisten vorstellen, der auch mal
handgreiflich wurde und Studienräte schockierte. Und wir können uns den
60-jährigen Herrn Aly als nun zum Konservativen gereiften Privatgelehrten
vorstellen, der noch immer gerne Studienräte auf die Palme bringt.
Ein Irrtum ist allerdings, dass die These von den 68ern als Wiedergängern
der NS-Studentenbewegung von Aly stammt. Genau dies hat z. B. vor zehn
Jahren, anlässlich der "30 Jahre 1968"-Feier, der CSU-Haudegen Peter
Gauweiler in der taz vertreten. Die 68er hätten, so Gauweiler, durch
"öffentliche Provokationen, als Stürmer und Dränger gewirkt. Die
Stimmungsparallele zu deutschen Generationsideen früherer Jahrzehnte - man
denke an den als 19-Jährigen bei einer anderen Revolte erschossenen
Studenten Horst Wessel - oder früherer Jahrhunderte, als die Leiden des
jungen Werther literarisch veredelt wurden, sind offensichtlich: Gegen das
Hausvaterleben, für eine neue Zeit." Viel anders liest es sich auch in
"Unser Kampf" nicht. Allerdings ist Gauweilers Ton eher lyrisch, der Alys
schroff wie vor Gericht. Das Copyright für die Formel "SDS = SA" liegt
übrigens bei der Springer-Presse. 1967 druckte sie eine Karikatur, in der
die Studenten als rasender SA-Mob erschienen - und der Springer-Konzern
entsprechend als Opfer, als "Juden".
"Unser Kampf" ist das Buch eines Renegaten, daher der Hang zur
Überkompensation. Viele 68er missachteten die staatlichen Institutionen -
deshalb hebt Aly zu einem Loblied auf die bundesdeutsche Justiz an, die in
vorbildlicher Weise tat, was die 68er unbedingt verhindern wollten:
NS-Täter jagen. Dass die bundesdeutsche Justiz keinen einzigen NS-Juristen
je verurteilte, dass sie sich frech selbst amnestierte, wird schlicht
verschwiegen - ebenso wie die Verdienste des SDS in den frühen 60ern um
Aufklärung von NS-Verbrechen.
Die 68er waren allerdings nicht nur heimliche Nazis, sondern vor allem
totale Versager - nämlich Sozialbetrüger, Berufsrevolutionäre, Maoisten und
Müsliesser. Typisch waren Karrieren wie die der "mit 40 Jahren
frühpensionierten, vormals kommunistischen Lehrerin, die sich bei ehedem
vollen Bezügen in eine Landkommune zurückzog." Der rot-grüne Senat in
Westberlin hatte, so Aly höhnisch, einzig den Zweck, "linke Projekte mit
Steuergeldern zu berieseln".
Ziemlich rätselhaft bleibt dabei, wie die hippiehafte
Wohlstandsbequemlichkeit und der schauerliche Mangel an Leistungswillen,
den Aly seiner Generation bescheinigt, zu der Nazi-Analogie passt. Waren
die 68er nun zu allem entschlossene Finsterlinge oder eher Schlaffis, denen
eine Weltrevolution echt zu viel Stress war?
Niemand findet Gnade vor diesem Richter, der nur Delinquenten entdeckt, die
es in ihrer Selbstkritik bis heute an der gebotenen an Schärfe fehlen
lassen. Das gilt für den Exautonomen und heutigen Welt-Chefredakteur Thomas
Schmid ebenso wie für die Grüne Antje Vollmer, die Aly in fast religiösem
Eifer als antisemitische Totalitäre überführen will. Kann es sein, dass
hinter dieser stets in Oberlehrerton vorgetragener Verachtung für seine
Generationsgenossen ein bisschen Selbstverachtung steckt? Oder gar Neid auf
die "Postenjägervereine" (Aly), die es zu Unikarrieren brachten?
Haltloses mit Schwung
Sportlich gesehen verdient dieses Buch eine gewisse Hochachtung. Aly
vertritt seine ziemlich haltlosen Thesen mit beachtlichem Schwung, das Buch
ist rasant geschrieben, mit Gehässigkeiten gespickt und unterhaltsam wie
ein Donald-Duck-Heft.
"Unser Kampf" ist eigentlich ein unernstes Buch über ein ernstes Thema: das
Verhältnis der zweiten Generation nach dem Holocaust zu den Eltern und der
NS-Vergangenheit. Die Revolte war keineswegs, wie lange viele glaubten,
einfach nur der tapfere Aufstand der Jüngeren gegen die Verdrängung der
NS-Zeit. Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit rückte in der neuen Linken
1966/67 in den Hintergrund, Vietnam und der Kampf gegen den Staat rückten
nach vorn. Der inflationäre Faschismusbegriff vernebelte lange einen klaren
Blick für konkrete Schuld. Es gab in Familien auch kaum gelungene Dialoge
zwischen Eltern und Kindern - und selbstgerecht waren nicht nur die Eltern.
Die Beziehung der zweiten Generation zur NS-Zeit und den Eltern war
zwiespältig und doppeldeutig - und konnte gar nicht anders sein.
Das Buch, das die Geschichte dieser Generation sachlich und kühl erzählt,
muss noch geschrieben werden.
18 Feb 2008
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.