# taz.de -- Der Hausbesuch: Das dänisch-bulgarische Dreamteam | |
> Nina Hall stammt aus Dänemark und ist Musikerin, Veso Portarsky aus | |
> Bulgarien und Schriftsteller. Mit ihrem gemeinsamem Kind leben sie nun in | |
> Berlin. | |
Bild: Vesselin Portarsky und Nina Hall mögen Mitte | |
Nie wird das Rätsel gelöst werden, ob sich Gegensätze anziehen oder sich | |
doch gleich und gleich gern gesellen. Nina Hall und Veso Portarsky betonen | |
erst mal die Unterschiede. Was daraus folgt, ist noch unklar. | |
Draußen: Die Fashion-Highlights der Saison: Eine Modemarke präsentiert ihre | |
neue Kollektion, eine andere wirbt für ihre neue „Schwarze Serie“. Für den | |
„Sommer Trend“ der diversen Kleidermarken stehen die Menschen Schlange, | |
nicht zuletzt, weil das Angebot gerade lautet „Kaufe 3, Zahle 2“. Der Weg | |
führt in den Innenhof einer Seitenstraße mit direktem Blick auf den | |
Fernsehturm am Alexanderplatz. Der wirkt zum Anfassen nah. Und mit jedem | |
Stockwerk im Treppenhaus, kommt er näher. | |
Drinnen: Fast alle, die schließlich die Wohnung im Dachgeschoss betreten, | |
sind zuallererst versucht zu überprüfen, wie wohl der Fernsehturm aus dem | |
Fenster von hier oben aussieht. Einen besseren Blick kann man kaum finden. | |
Vom Tisch ihres Wohnzimmers direkt am Fenster genießen Veso Portarsky, 47, | |
und Nina Hall, 39, mit ihrem kleinen Sohn den Anblick, wenn der Vollmond | |
den Fernsehturm in grelles Licht taucht, wenn der Nebel ihn dicht umhüllt | |
oder wenn Krähen den Turm umschwirren. Oft strahlt das Berliner Stadtsymbol | |
in bunten Farben, eine Freude für das Kind. Doch den Panoramablick genießen | |
Portarsky und Hall besser im Sitzen. Gemessen an ihrer eigenen Körpergröße | |
– beide sind weit über 1,80 Meter – hat das Paar vielleicht nicht ganz die | |
passende Wohnung gewählt. Die Decke ist so niedrig, dass sie mit ihren | |
Köpfen leicht die zentral hängende kleine Kristalllampe berühren. | |
Illusion: Wie lebt ein Schriftsteller? Portarsky hatte eine sehr eigene | |
Vorstellung davon, etwa wie ein Bild aus einem Kinofilm, das sich in seinem | |
Kopf ständig drehte. So fantasierte er davon, dass er in einem schönen | |
Apartment mit Terrasse in Barcelona seine Geschichten schrieb. Dann fand er | |
sich plötzlich in Marrakesch wieder, um sich an der nicht weit entfernten | |
marokkanischen Küste von Meer und Wind inspirieren zu lassen. Tags schreibt | |
er seine Bestseller. Abends speist er in einem Fischrestaurant mit | |
Marmorboden und unterhält sich mit Prominenten in den Cocktailbars der | |
Luxushotels. Schön wär’s. | |
Realität: Aktuell verkauft der bulgarische Autor in Berlin Proteinriegel, | |
um seine Familie ernähren zu können. Sein Geschäftsmodell läuft gut. Er | |
stellt die Kontakte zwischen dem deutschen Markt und einem bulgarischen | |
Hersteller in Sofia her. Er schwärmt von den Snacks mit Datteln und | |
Kokosnuss, von denen seine Schränke voll sind. Verkaufen kann er aufs | |
Trefflichste. Zehn Jahre lang hat er die Fifa-VIP-Programme internationaler | |
Fußballevents an reiche osteuropäische Kunden verhökert. | |
Prominenz: Mit Prominenten hat er sich tatsächlich getroffen. „Prominenz“ | |
heißt denn auch sein neuestes Buch mit lustigen Kurzgeschichten aus dem | |
Leben berühmter Menschen wie Zinédine Zidane und Herta Müller. | |
„Der Bulgarische Kaminer“: Auch seiner Begegnung mit dem Schriftsteller und | |
DJ Wladimir Kaminer hat er in seinem Buch ein Kapitel gewidmet. Nicht ganz | |
zufällig wird Portarsky auch der „Bulgarische Kaminer“ genannt. Wie Kaminer | |
macht er sich lustig über die Deutschen und die Bulgaren. „Kaminer trifft | |
den Nerv der Gesellschaft“, sagt Portarsky. Das wollte Portarsky auch. Doch | |
der Vergleich half ihm nicht wirklich weiter. Portarsky wollte von Kaminers | |
Bekanntheit, von seinen Kontakten zu Verlagen und Agenten profitieren, wie | |
er in seinem Buch gesteht. „Aber ich höre nie vom ihm“, sagt er Vielleicht | |
liege dies daran, dass Kaminer Bulgaren nicht möge, denkt sich Portarsky. | |
Zumal Kaminer Bulgaren in seinen Erzählungen oft wie als Türken getarnte | |
Dönerverkäufer darstelle. Portarsky fühlt sich jedoch generell von | |
russischen Prominenten ignoriert. Und während er früher für die von einer | |
deutschen Lektorin kreierte Bezeichnung „Bulgarischer Kaminer“ dankbar | |
war, beschreibt er nun in seinem Buch, wie naiv diese Vorstellung war. | |
Seine Selbstironie macht ihn sympathisch. | |
Balkan gegen Skandinavien: Nina Hall schätzt am meisten, wenn ihr Mann | |
ehrlich und direkt sagt, was er auf dem Herzen hat. In der dänischen | |
Gesellschaft hat Nina gelernt, vorsichtig und distanziert zu sprechen. „Man | |
will seine Komfortzone nicht verlassen und anderen nicht zu nahe treten“, | |
sagt sie. Auf dem Balkan sei es andersrum, man habe keine Angst oder | |
Hemmungen, meint sie. Obwohl es manchmal auch zu viel sein könne, ergänzt | |
Portarsky. „So sagt man einer Person alles, was man über sie denkt, dann | |
beschimpft man sich gegenseitig, um am Ende gemeinsam zu trinken“, sagt | |
Portarsky. Es seien halt „weit entgegengesetzte Mentalitäten – Balkan und | |
Skandinavien“. Wäre ihre Beziehung in Dänemark oder in Bulgarien | |
vorstellbar gewesen? Beide sind skeptisch, weil die Gesellschaften dort | |
starken Einfluss ausüben würden. „Berlin gibt uns den Freiraum.“ | |
Berlin: Menschen ziehen nach Berlin, weil sie ihren Träumen folgen wollen. | |
So hat Nina Hall ihr Diplom von der Business School in Kopenhagen zu Hause | |
gelassen, ihren Job gekündigt, ihren Freund verlassen, mit dem sie sieben | |
Jahre zusammen war, um genau das zu tun. Um Musik zu machen. In Dänemark | |
hätte sie sich das nicht vorstellen können. Der gesellschaftliche Druck sei | |
zu hoch gewesen, vor allem von Seiten ihres strengen Vaters. Eine Frau | |
müsse in der dänischen Kultur selbstständig und stark sein. „Mir wurde | |
immer wieder eingebläut, dass singen und Piano spielen kein Geld bringt“, | |
sagt sie. Dies schaffe keine finanzielle Unabhängigkeit für die Frau. Und | |
doch macht sie jetzt genau das, was sie stark, unabhängig und selbstbewusst | |
macht. Eigentlich müsste ihr Vater stolz auf sie sein. | |
Musik: „Wenn man so eine starke Frau sein will, dann gibt es keinen Platz | |
für einen starken Mann in diesem Leben“, sagt Hall. Mit ihren Songs will | |
sie heute andere Menschen dazu bringen, dass sie innehalten und darüber | |
nachdenken, wie sie die kostbare Zeit ihres Lebens verbringen. Hall | |
zweifelt nicht mehr an ihrem Leben mit Portarsky. Oft tritt sie mit auf, | |
wenn ihr Mann seine Geschichten vorliest. Ihre Musik passt eigentlich nicht | |
zu seinem Erzählungen, ihre Songtexte sind nachdenklich, seine Geschichten | |
sind lustig, sie singt melancholisch, er lacht laut. „Doch. Das ist die | |
beste Mischung für das Publikum“, sagt Portarsky. | |
Akzeptanz von Diversität: Sie legen viel Wert auf „Gemeinsames“. Sie | |
schätzen Akzeptanz und Vielfalt. Nicht nur in ihrem kreativen Leben, | |
sondern in ihrer Familie, und vor allem für die Umgebung, in der ihr | |
vierjähriger Sohn aufwächst. Er besucht eine Kita, in der die Kinder aus | |
verschiedenen ethnischen und kulturellen Familien kommen. Das ist der beste | |
Weg, damit Kinder ohne Vorurteile aufwachsen, glauben die Eltern. | |
Ein Gesicht und eine Sprache: „Sprachen sind wichtig für die Vielfalt. | |
Mehrere Sprachen zu sprechen, öffnet Türen für andere Kulturen“, sagt Hall, | |
die selber zweisprachig aufgewachsen ist in ihrer dänisch-englischen | |
Familie. Jetzt redet sie als Mutter mit ihrem Sohn ausschließlich dänisch, | |
der Vater bulgarisch. Die Eltern sprechen englisch miteinander. Und Deutsch | |
ist die Sprache im Kindergarten. „Ein Gesicht und eine Sprache“, sagt Hall. | |
„Doch unser Sohn wird immer schlauer und provoziert uns gerne, weil er | |
sowohl Dänisch als auch Bulgarisch versteht“, sagt Portarsky. Damit hat er | |
seinen Eltern etwas voraus, denn beide sprechen die Muttersprache ihres | |
Partners gar nicht. | |
Humor: Die Eltern befürchten, dass die nahende Schulzeit kaputtmachen | |
könne, was sie aufgebaut haben. „Man muss Diversität in der Schule | |
integrieren, damit Kinder sich nicht verloren fühlen, nur weil sie anders | |
sind“, meint Portarsky. Rassismus entstehe durch die Angst, etwas zu | |
verlieren, sagt er, deshalb seien Ignoranz und Entfremdung in den Menschen | |
so tief verankert. „Durch Humor kann man Stereotype aufbrechen“, sagt | |
Portarsky. Dies will er seinem Sohn und seinen Leser*innen beibringen. | |
26 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Tigran Petrosyan | |
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