# taz.de -- Der Hausbesuch: Eine Heimat im Atelier | |
> Als Hyun-Sook Song geboren wurde, tobte der Koreakrieg. Ihre Eltern waren | |
> Reisbauern in einem südkoreanischen Dorf. Heute lebt sie in Hamburg. | |
Bild: Hyun Sook Song in ihrem Garten | |
Wie Tausende andere südkoreanische Frauen kam Hyun-Sook Song in den 70er | |
Jahren als Gastarbeiterin nach Westdeutschland, um als Krankenschwester zu | |
arbeiten. Dann nahm ihr Lebensweg eine andere Spur. Als Künstlerin stellt | |
sie ihre Werke heute auf der ganzen Welt aus. | |
Draußen: Direkt vor der Haustür beginnt der Wald. Hyun-Sook Song lebt im | |
Süden Hamburgs, am Fuße der Schwarzen Berge. Die 68-Jährige arbeitet jeden | |
Vormittag in ihrem Garten, wo alles wächst, was sie und ihr Partner zum | |
Leben brauchen: viel Salat, Porree und Kürbis sowie Brombeeren, koreanische | |
Kräuter und wilde Sesamblätter. Breitbeinig steht Song mitten in ihren | |
Gemüsebeeten – Blumen gibt es hier kaum. Ein Maulbeerbaum erinnert sie an | |
die Seidenraupenzucht ihrer Kindheit. Und das Quaken der Frösche im Teich | |
weckt in ihr Erinnerungen an die endlosen Reisfelder in Südkorea. | |
Drinnen: In dem holzverkleideten Atelier der Künstlerin riecht es angenehm | |
nach Tempera, einer Verbindung aus Eiern, Leinöl, Dammarfirnis und Wasser. | |
Dammar ist ein Laubbaumharz. Auf den Tischen liegen ausgewaschene Pinsel | |
und kleine Töpfe mit Farbpigmenten. Der Boden des hohen Raumes ist mit | |
gebrauchten Leinwänden ausgelegt, die Song als „nicht gelungen“ bezeichnet. | |
Früher habe sie sich über das Misslungene geärgert, „aber jetzt sage ich | |
mir, das war eine Übung, versuche es noch einmal“. Wenn Song sich | |
körperlich stark genug fühlt, verschwindet sie am frühen Abend in ihrem | |
Atelier und arbeitet dort bis ein oder zwei Uhr morgens. | |
Bauerntochter: Song kam 1951 in der Pflanzenapotheke ihrer Großeltern zur | |
Welt. Ihre Mutter hatte in dem Geschäft der Eltern Zuflucht gesucht – | |
mitten im Koreakrieg, der bis 1953 andauerte. Der Vater, Kriegsverweigerer, | |
versteckte sich in den Bergen. | |
Die Erde: Aufgewachsen ist Song im südkoreanischen Bergdorf Mu-Worli in der | |
Provinz Süd-Jeolla. Ihre Eltern waren Reisbauern. Vielleicht ist es Song | |
deshalb so wichtig, „dass man die Erde gesund hält“. Einer ihrer Brüder | |
bestellt noch heute die Reisfelder in ihrem Herkunftsdorf. | |
Geister: Als Kind war Song mager und oft krank. Häufig träumte sie vom | |
Krieg. Die Ferien verbrachte sie bei den Großeltern, die sie mit | |
Pflanzenmedikamenten stärkten. „Das sind für mich gute | |
Kindheitserinnerungen. Die hatten dort elektrisches Licht, was es in meinem | |
Dorf nicht gab, das war für mich immer interessant.“ Im Vergleich mit ihren | |
sieben Geschwistern sei sie damals besonders ängstlich gewesen. „Ich habe | |
überall Geister gesehen“, erzählt Song. Ihre Mutter und Oma waren | |
schamanisch und teils buddhistisch geprägt. „In Deutschland hatte ich | |
plötzlich keine Angst mehr, und ich habe mich gefragt, woher kommt das? | |
Vielleicht, weil ich die Orte nicht kannte – so hatte ich auch keine | |
Geistererzählungen dazu.“ | |
Gastarbeiterin: 1972 kam Song mit Anfang zwanzig in die Bundesrepublik | |
Deutschland. Südkorea ging es zu der Zeit wirtschaftlich schlecht, und | |
als Frau war es umso schwerer, dort Arbeit zu finden. Also ließ sie sich | |
wie etwa zehntausend andere südkoreanische Frauen in den 1960er und 1970er | |
Jahren anwerben, um die Lücke in westdeutschen Krankenhäusern zu füllen. | |
Song landete in einer niedersächsischen Kleinstadt. Zu Beginn versuchte | |
sie, europäische Einflüsse wie etwa Fernsehen zu vermeiden. „Ich dachte, | |
ich muss so bleiben, wie ich bin und dann schnell zurück nach Korea.“ | |
Eigenes: Die Arbeit in den Krankenhäusern war hart, auch körperlich. Auf | |
ihrer ersten Arbeitsstelle rief man sie drei Jahre lang „Schwester Maria“, | |
da man ihren eigentlichen Namen für zu kompliziert hielt. Immer wenn Song | |
Heimweh hatte, zeichnete sie zum Trost ihre Erinnerungen an die alte | |
Heimat. Als sie sich mit diesen Zeichnungen an der Hochschule für bildende | |
Künste in Hamburg bewarb, wurde sie direkt aufgenommen. Mit dem Studium | |
tauchte Song in eine „völlig neue Welt“ ein, deren Lebendigkeit sie | |
faszinierte. Damit stand fest, dass sie vorerst in Deutschland bleiben | |
würde – sehr zur Enttäuschung ihrer Eltern. Erst zwölf Jahre nach ihrer | |
Ankunft kehrte Song für einen Besuch nach Südkorea zurück. | |
Rückhalt: Als Studentin schloss Song sich der Koreanischen Frauengruppe an, | |
die Ende der 70er Jahre in Frankfurt am Main gegründet worden war. Viele | |
der Frauen sind noch heute ihre engsten Vertrauten, die sie in | |
Nicht-Corona-Zeiten regelmäßig sieht. Die Selbstorganisation von | |
Migrantinnen setzte sich damals erfolgreich für ein Bleibe- und | |
Arbeitsrecht der koreanischen Krankenpflegerinnen ein, die gegen ihren | |
Willen nach Südkorea zurückkehren sollten. „Das geht nicht, dass die uns | |
erst als Gastarbeiterinnen holen und uns einfach zurückschicken, wenn sie | |
uns nicht mehr brauchen“, sagt Song. | |
Protest: Mit der Frauengruppe engagierte Song sich auch gegen die | |
Inhaftierung von Protestierenden im Kontext des Gwangju-Aufstands von 1980 | |
in Südkorea. Die Niederschlagung der Demokratiebewegung durch das | |
südkoreanische Militär hatte bis zu zweitausend Menschen das Leben | |
gekostet; viele der Demonstrierenden saßen im Gefängnis. Song kennt die | |
Stadt Gwangju gut. Als Jugendliche hat sie dort mit einigen ihrer | |
Geschwister gewohnt und eine evangelische Missionsschule für Mädchen | |
besucht. | |
Ausdruck: Tontöpfe, Pfähle, Seidenbänder – auf Songs Gemälden entstehen | |
Gegenstände aus wenigen, präzise ausgeführten Pinselstrichen, die als | |
solche erkennbar bleiben. Die verwendeten Materialien entspringen der | |
europäischen Tradition, Methode und Themen der asiatischen. Die Deutung | |
ihrer Bilder überlässt die Künstlerin den Betrachtenden. „Wenn ich male, | |
brauche ich nicht zu sprechen, aber Malerei ist auch eine Sprache“, sagt | |
sie. | |
Körper und Seele: Song arbeitet im Stehen, die Leinwand liegt auf dem | |
Boden. „Meine Malerei ist eine sehr körperliche Sache: Mein ganzer Körper | |
muss sich bewegen, ich muss die Farbe aus dem Pinsel fließen lassen, nicht | |
zu viel und nicht zu wenig. Ich muss instinktiv Körper und Seele | |
zusammenführen, und manchmal gelingt das, und manchmal nicht“, erklärt sie. | |
Für den Prozess sind Konzentration, Gelassenheit und Atmung wesentlich. Und | |
Tee: Reistee, Fencheltee, Rooibostee. Ob ein Gemälde gelungen ist, kann sie | |
erst nach ein paar Jahren sagen. | |
Ruhe: Bevor sie nach Hamburg zog, lebten sie, ihr Mann und ihr Sohn als | |
Kleinfamilie zehn Jahre in einem stillgelegten ehemaligen Bahnhof im Dorf | |
Herzhorn in Schleswig-Holstein. „Aber ich habe gemerkt, dass ich dort nicht | |
alt werden wollte“, sagt Song. Auch weil ihr Sohn Diskriminierung erlebte. | |
Also zog die Familie fort, nach Hamburg, wo Song sich wohlfühlt: „Hier kann | |
ich meinen Rhythmus und meine Ruhe finden. Heimat ist für mich dort, wo ich | |
in meinem Atelier arbeiten kann.“ | |
Akzeptanz: Song hat zahlreiche Preise für ihre Kunst erhalten, darunter den | |
Edwin-Scharff-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg. Ihre Ausstellungen | |
sind weltweit zu sehen. In Deutschland hat sie das Gefühl, nur bis zu einem | |
bestimmten Punkt akzeptiert worden zu sein. „In Deutschland ist es egal, ob | |
man eine deutsche Staatsangehörigkeit hat oder nicht – wenn man fremd | |
aussieht und einen fremden Namen hat, wird man weniger akzeptiert.“ | |
Künstlerpaar: Rückzugsmöglichkeiten sind Song sehr wichtig, auch im eigenen | |
Haus. Ihren Partner Jochen Hiltmann kennt sie seit 45 Jahren. „Gott sei | |
Dank, dass er auch Künstler ist“, sagt sie. „Beide Künstler, das kann | |
schwierig sein. Aber wir können miteinander reden und diskutieren, auch | |
über meine Malerei.“ Hiltmann darf sie scharf kritisieren, aber nicht jede | |
Kritik nimmt sie an. Der Sohn der beiden lebt in Singapur und leitet das | |
dortige Goethe-Institut. „Er macht seine Arbeit gerne und gut, darüber | |
freue ich mich sehr“, sagt Song, und fügt hinzu: „Wir sind aber froh, dass | |
er kein Künstler geworden ist.“ | |
4 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Henrike Koch | |
## TAGS | |
Der Hausbesuch | |
Reiseland Südkorea | |
Künstlerin | |
Südkorea | |
Berlin-Mitte | |
Pazifismus | |
Moon Jae In | |
Cottbus | |
Entwicklungszusammenarbeit | |
Der Hausbesuch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Südkoreas Infektionen nur zweistellig: Die 4. Welle blieb klein | |
Südkorea konnte erneut eine Corona-Infektionswelle abwehren. Entschlossenes | |
Handeln und kulturelle Faktoren trugen zum Erfolg der Ostasiaten bei. | |
Der Hausbesuch: Das dänisch-bulgarische Dreamteam | |
Nina Hall stammt aus Dänemark und ist Musikerin, Veso Portarsky aus | |
Bulgarien und Schriftsteller. Mit ihrem gemeinsamem Kind leben sie nun in | |
Berlin. | |
Der Hausbesuch: Der Krieg soll ins Museum | |
Das Anti-Kriegs-Museum in Berlin ist ein Familiending. Der Großvater | |
gründete es 1925. Die Nazis zerstörten es. Der Enkel gründete es 1980 neu. | |
Südkorea in der Coronakrise: Musterschüler vor Zerreißprobe | |
Südkorea zeigt die Fragilität des neuen Normalzustands: Christliche | |
Coronaleugner sind für hohe Infektionszahlen verantwortlich – wieder | |
einmal. | |
Der Hausbesuch: Ein Wanderlehrer auf Wanderschaft | |
Asmelash Dagne hatte in Äthiopien längst gelernt und gelehrt, wie man | |
nachhaltig Landwirtschaft betreibt. Nun studiert er es in Cottbus. | |
Der Hausbesuch: Eine Urliebe für die Freiheit | |
Salua Nour will, dass Entwicklungsgelder bei den Menschen landen. Die | |
ägyptische Berlinerin lebte lange in der Demokratischen Republik Kongo. | |
Der Hausbesuch: Was den Hof bewegt | |
Antonia Ley und Simon Arbach sind Teil eines Hofprojekts in Neu-Eichenberg | |
in Hessen, das eine solidarische Landwirtschaft betreibt. |