# taz.de -- Der Elektronik-Reparateur: Unterm Kassettendeck | |
> Uwe Wiemer repariert Recorder, Receiver und Player – Dinge, die die | |
> digitale Wegwerfgesellschaft nicht mehr braucht und an denen sie doch | |
> hängt. | |
Bild: Ein Kabel für alle Fälle: Uwe Wiemer in seiner Werkstatt | |
Auf den Regalen an den Wänden stapeln sich bis unter die Decke | |
Video-Recorder, Sat-Receiver, DVD-Player, Plattenspieler, HiFi-Boxen, ja | |
sogar Kassetten-Decks und Tonbänder. Auf den Gehäusen steht Kenwood, Sony, | |
Sharp, Maxell, Philips, Technics, Yamaha oder ein anderer Name, den man | |
fast schon vergessen oder niemals gekannt hatte. Wer die altmodisch | |
klingelnde, vergitterte Glastür zum Laden von Uwe Wiemer öffnet und den | |
ersten Schritt in den völlig zugestellten Verkaufsraum in der Oderberger | |
Straße in Prenzlauer Berg setzt, der taucht ein in eine untergehende, ja | |
vielleicht schon untergegangene Ära. | |
Obwohl: Verkaufsraum, das stimmt ja gar nicht, klärt einen der Chef später | |
auf. Mit dem An- und Verkauf von Geräten, die man heute modisch Vintage | |
nennen würde, macht die Firma Wiemer Electronic nur noch einen minimalen | |
Teil ihres Umsatzes. | |
Den Laden, den Wiemer zusammen mit seiner Frau Susanne Jagalla seit 1999 | |
betreibt, gibt es deshalb immer noch, weil er ein Versprechen einlöst. | |
Dieses Versprechen steht über der Ladenfront in Blau und Weiß: „Wiemer | |
repariert alles!“ Die Geräte, die sich im Verkaufsraum türmen, gehören zum | |
guten Teil zur Wiemer’schen Privatsammlung und sollen demonstrieren, was | |
der Chef alles reparieren kann. | |
Das kleine rote „fast“, das sich auf dem Ladenschild zwischen „repariert�… | |
und „alles“ geschmuggelt hat, das kann man getrost übersehen, behauptet Uwe | |
Wiemer: „Meine Erfolgsquote? Ich sag mal: nicht bei 100 Prozent, aber auch | |
nicht viel drunter.“ | |
Wer ein altes, lieb gewonnenes Unterhaltungselektronik-Gerät besitzt, ein | |
Haushaltsgerät oder einen nicht mehr ganz neuen Computer, irgendetwas, das | |
seit den 60er Jahren gebaut wurde und nun nicht mehr so funktioniert, wie | |
es sollte, hat gute Chancen, dass der 62-jährige Urberliner es wieder zum | |
Laufen bringt. „Ich bin bekannt dafür, dass ich Probleme löse, die andere | |
nicht lösen können – oder wollen.“ | |
Am Wollen hapert es anderswo mitunter deshalb, weil es wirtschaftlich allzu | |
oft sinnvoller wäre, einen schicken neuen Fernseher zu kaufen, anstatt den | |
alten reparieren zu lassen – für den Kunden und für den Verkäufer erst | |
recht. Aber so tickt Uwe Wiemer nicht. | |
## Spaß und Mühe | |
Der sitzt in seiner fensterlosen Werkstatt hinter dem Verkaufsraum, der | |
kein Verkaufsraum ist, an der Wand hinter ihm hängt eine stattliche | |
Sammlung Kabel, und er sagt: „Es gibt Tausend Ausreden, warum ein Gerät | |
nicht repariert werden soll. Keine Bauteile, keine Zeit, die eigenen | |
Unfähigkeit – aber ich investiere eben die Zeit, mich mit dem Gerät | |
auseinanderzusetzen. Mir macht es Spaß, rauszukriegen, was nicht | |
funktioniert. Aber es ist natürlich auch extrem mühselig, ein Allrounder zu | |
sein.“ | |
Angestaubte Elektronik wieder fit machen, das Alte bewahren: Manch einem | |
kommen da Vokabeln wie Nachhaltigkeit und Achtsamkeit in den Sinn. Nicht | |
Uwe Wiemer. Der findet zwar schrecklich, dass „die ganz aktuellen Geräte so | |
gebaut sind, dass man sie gar nicht mehr reparieren kann“, sammelt seit der | |
Teenagerzeit Schallplatten und hört zu Hause in der knappen Freizeit nur | |
Vinyl. Aber dass sein Laden mitten im Herzen des Prenzlauer Bergs liegt, | |
dort, wo es sich die Manufactum-Generation gemütlich gemacht hat, ist nicht | |
geschäftliche Strategie, sondern reiner Zufall. | |
Seinen ersten eigenen Laden eröffnete der gelernte Rundfunk- und | |
Fernsehtechniker in der Kreuzberger Pücklerstraße, das war „vielleicht | |
1986“, so genau kann er sich nicht mehr erinnern. Es folgte ein weiterer | |
Laden in Friedrichshain, „meistens hatte ich zwei Geschäfte parallel | |
laufen“, und 1999 wurden ihm die Räume in der Oderberger Straße angeboten, | |
die damals vor allem einen Vorteil hatten: Sie waren günstig. | |
Heute gibt es nur noch den Laden in der Oderberger, aber genug Kunden, | |
obwohl Wiemer keine Werbung macht und seine Website seit 2001 ganze 483 | |
Besucher zählt und aussieht, als sei sie seitdem nicht mehr aktualisiert | |
worden. Sein Auftragsbuch ist trotzdem voll, denn „Mundpropaganda ist die | |
beste Werbung“. | |
Ein bis zwei Monate müssen die Kunden warten, bis ihr Gerät | |
wiederhergestellt ist: „Die Geräte sind älter, die haben meist nicht nur | |
einen Fehler.“ Trotzdem kommt die Kundschaft aus ganz Berlin und manchmal | |
von noch weiter her angereist. Von einem Kunden aus Paris erzählt Susanne | |
Jagalla und von einem, der extra sein Tapedeck aus Indien mitgebracht | |
hatte. | |
## Was sich lohnt | |
Was gebracht wird aus nah und fern, das sind selten teure Schätze. Nur | |
wenige der Player und Recorder, denen sich Wiemer widmet, sind noch | |
nennenswerte Summen wert – jedenfalls, wenn man in Euro rechnet. Trotzdem, | |
hat Wiemer festgestellt, stellt ihm fast jeder Kunde dieselbe Frage: Lohnt | |
sich das denn noch? Eine Frage, die Wiemer nicht beantworten kann, weil er | |
sie nicht beantworten will. | |
„Woran soll ich das denn festmachen?“, fragt er. „Lohnt sich für wen? F�… | |
den Kunden? Für das Gerät? Für mich?“ Natürlich gibt es ein billigeres und | |
leistungsfähigeres Gerät im nächsten Elektromarkt, aber an dessen Bedienung | |
will sich der ältere Mensch vielleicht nicht mehr gewöhnen. Womöglich hat | |
der alte Plattenspieler auch dem geliebten Opa gehört, der Sound der | |
Kassettenspielers weckt wertvolle Kindheitserinnerungen oder die alte Möhre | |
klingt einfach besser als das neue Hightech-Equipment. | |
„Und soll ich jemandem erklären, dass sein Gerät, das fünfzig Jahre gut | |
funktioniert hat, nichts mehr taugt, nur damit er ein neues kauft, das dann | |
nach zwei Jahren kaputt ist?“, fragt Wiemer. „Also mache ich einen | |
Kostenvoranschlag – und dann muss das der Kunde selbst entscheiden.“ | |
Eine Haltung, die einerseits dazu führt, dass Wiemer in Aufträgen versinkt: | |
„Ich will ja auch niemanden in die Wüste schicken.“ Andererseits kommen er, | |
seine Ehefrau und der Laden gerade so über die Runden – und das auch nur, | |
weil die Miete dank des alten Vertrags noch überschaubar ist. Trotzdem | |
würde es sich nicht lohnen, jemanden einzustellen. Selbst als er mehrere | |
Läden betrieb, in den Hochzeiten in den 90er Jahren, als der Verkauf noch | |
eine nennenswerte Rolle spielte, hatte er maximal drei Angestellte. | |
Repariert aber hat der Chef schon immer allein: „Jemanden, der das kann, | |
was ich kann, den könnte ich mir überhaupt nicht leisten – und der würde | |
sich auch nicht hier reinsetzen.“ Sagt’s und beschreibt mit dem linken Arm | |
einen Halbkreis, der die verwinkelten dunklen Hinterzimmer absteckt, die | |
Wandregale, auf denen Ersatzteile warten, die unüberschaubar vielen kleinen | |
Schubladen mit Transistoren und Widerständen. | |
Wann Wiemer das letzte Mal Urlaub gemacht hat? Er winkt ab. Zehn Jahre ist | |
das her, vielleicht länger. „Ein guter Geschäftsmann würde das hier nicht | |
machen“, sagt Uwe Wiemer, „aber mir macht das Spaß, ich bekomme Anerkennung | |
– und ich kann halt auch nichts anderes.“ | |
22 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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