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# taz.de -- Der Atomkonflikt: Eine unendliche Geschichte
> Mit riesigen Subventionen wurde einst in Deutschland die Atomenergie
> durchgedrückt. Jetzt geht der Streit beim Umgang mit dem Atommüll weiter.
Bild: Die Anti-AKW-Bewegung formiert sich: Besetzter Bauplatz bei Wyhl (31. Mä…
Berlin taz | In drei Jahren wird das letzte Atomkraftwerk auf deutschem
Boden abgeschaltet. Dann ist Schluss mit der Atomenergie in Deutschland.
Von wegen! Denn dann beginnt die Ära des Rückbaus der Atommeiler und der
sicheren Endlagerung ihrer nuklearen Hinterlassenschaften. Eine gigantische
technische Aufgabe steht an, die derzeit in einer umfassenden
Vorlesungsreihe an der Freien Universität Berlin beleuchtet wird.
Unter den Titel [1][„Der Atomkonflikt in Deutschland – bis in alle
Ewigkeit?“] spannt das Forschungszentrum für Umweltpolitik (FFU) der Freien
Universität Berlin in Kooperation mit dem [2][Netzwerk für Nukleares
Gedächtnis (NeNuG)] in hochkarätigen Expertenvorträgen den Bogen von der
Frühzeit der Kerntechnik in den 50er-Jahren über die große energie- und
gesellschaftspolitischen Widerstandsbewegung gegen die Atomkraft bis hin
zum Ausblick in das „Erblast“-Zeitalter.
Die Reihe wolle einen „Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit leisten,
jedoch nicht dabei stehenbleiben“, sagt FFU-Energieforscher und Organisator
Achim Brunnengräber. „Die Erinnerungen an Vergangenes sollen vielmehr dabei
helfen, dass wir uns daran erinnern, was besser gemacht werden kann und was
noch zu tun ist.“
Die zivile Nutzung der Atomkraft in Deutschland entsprang an ihrem Beginn
keinem energiewirtschaftlichen Interesse, sondern war eine politische
Setzung, wie der Bielefelder Historiker [3][Joachim Radkau] in Erinnerung
brachte. „Das erste Atomprogramm von 1957 war ein glatter Fehlschlag“,
berichtete Radkau. Von den unterschiedlichen Reaktortypen, die im
„Eltviller Programm“ des Bundesatomministeriums – dem Vorläufer des
Forschungsministeriums – aufgelistet waren, stießen nur wenige auf
Interesse der deutschen Energieunternehmen, die mit ihren Kohlekraftwerken
zur Stromproduktion eigentlich ganz zufrieden waren.
Mit massiven finanziellen Anreizen und dem Aufbau einer staatlich
getragenen Forschungsinfrastruktur, wie den damals entstandenen
Kernforschungszentren in Karlsruhe, Jülich und Geesthacht, sollte der
Industrie die Atomkraft schmackhaft gemacht werden. Die
Umweltschutzorganisation Greenpeace hat berechnet, dass im Zeitraum 1950
bis 2010 insgesamt 151 Milliarden Euro von staatlicher Seite in die
wissenschaftliche Förderung und wirtschaftliche Subventionierung der
Kernkraft geflossen sind.
## „Plutonium – das war das Ziel“
In Fortsetzung seiner umfangreichen Recherchen zu „Aufstieg und Krise der
deutschen Atomwirtschaft“, so der Titel des von ihm verfassten
Standardwerks, hat Radkau inzwischen auch einen weiteren Motivationstreiber
für das Interesse der Politik am Atomkomplex ausfindig gemacht: die
Herstellung von Plutonium als Rohstoff für die Atombombe. So belege der
Briefwechsel des Atomphysikers Werner Heisenberg mit dem damaligen
Bundeskanzler Konrad Adenauer das erkennbare Interesse des Politikers an
der Waffenoption. Radkau: „Plutonium – das war das Ziel.“
Vor diesem Hintergrund wurde die Entwicklung des [4][Schnellen Brüters] von
der Forschungspolitik massiv vorangetrieben, letztlich erfolglos. Auch der
Bau einer deutschen Atombombe wäre unter dem Einfluss der Amerikaner
niemals möglich gewesen.
Als dann die Wirtschaft die Atomkraft zu ihrer Sache gemacht hatte –
insgesamt wurden in Deutschland seit den 60er-Jahren 37
Kernkraftwerks-Blöcke betrieben, derzeit sind noch sieben am Stromnetz –,
war die Elektrizität aus der Kernspaltung keineswegs der ökonomische
Renditebringer.
Der Ökonom [5][Christian von Hirschhausen vom Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW)] in Berlin hat sich Finanzierungsstrukturen der
Atomkraftwerke in Deutschland und international angeschaut. Sein Befund:
„Keiner der rund 600 Reaktoren weltweit war jemals wirtschaftlich
wettbewerbsfähig.“ Vergünstigungen und Subventionen haben überall die hohen
Kosten des Atomstroms bis heute verschleiert. Mit dem Vordringen der
erneuerbaren Energien aus Sonne und Wind und ihren sich jährlich
verbessernden Produktionskosten wird die wirtschaftliche Lage der Atomkraft
immer aussichtsloser. Das große Geld-Thema der nächsten Jahre, das von
Hirschhausen mit einem Forschungsprojekt begleitet, wird die Finanzierung
der Entsorgung sein.
Zu diesem Thema hatte die FU-Ringvorlesung an diesem Mittwoch einen
prominenten Referenten: Jürgen Trittin, erster grüner Bundesumweltminister,
stellte den [6][„Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“
(KENFO)] vor, dessen Kuratorium er angehört. Aus den Mitteln des vor zwei
Jahren eingerichteten Fonds sollen bis zum Ende des 21. Jahrhunderts die
Entsorgungskosten bestritten werden.
Grundstock des Fonds ist die Überweisung von 24,1 Milliarden Euro durch die
Kraftwerksbetreiber Eon, RWE, EnBW und Vattenfall, die sie bisher an
Rückstellungen gebildet hatten. „Dieses Geld liegt jetzt bei der Bundesbank
und ist damit konkursfest“, berichtete Trittin. Hintergrund war die
Besorgnis, das bei Insolvenz der Energieunternehmen auch ihre
Entsorgungsrücklagen in der Konkursmasse verschwinden.
## Ein Milliarden-Fond
Dem sollte mit dem KENFO-Fonds begegnet werden. Mit seinem Volumen von 24,1
Milliarden Euro stellt der Fonds die größte öffentlich-rechtliche Stiftung
in Deutschland dar. Trittin gab Einblicke in die derzeitige Anlagestrategie
des Fonds, der seine Mittel in ökologisch korrekte Investments anlegen
will, um im Jahresschnitt um zwei Prozent zu wachsen. Damit könnte bis 2099
ein Fondvolumen von rechnerisch 131 Milliarden Euro erreicht werden.
Zur Abdeckung der kompletten Entsorgungskosten wird das aber nicht reichen.
So wird von den KENFO-Experten die Endlagerung mit einem Kostenaufwand von
169 Milliarden Euro kalkuliert, die Stilllegung und der Rückbau der
Reaktoren mit 19,7 Milliarden. Die Kosten für die Transportbehälter
(Castoren) tauchen mit 4,5 Milliarden Euro in der Rechnung auf.
DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert war in der FU-Diskussion dagegen
skeptisch, ob sich die Zukunft der Atomenergie so genau berechnen lässt.
Nicht auszuschließen sei, dass über die Entsorgungsfrage letztlich ein
„Kosten-Tsunami“ hinwegfegen werde.
Die interessante [7][FU-Reihe] wird am kommenden Mittwoch um 17 Uhr
fortgesetzt, dann mit Vertretern der neuen Klimaprotestgeneration Fridays
for Future, die sich dazu äußern, wie Jugendliche in die Standortsuche nach
einem Atomendlager einbezogen werden können. Am 12. Juni geht es um das
Thema „Atommüll in der Europäischen Union – eine Gemeinschaftsaufgabe?“,
eine Woche später geht es dann um den Berliner Forschungsrekator am Wannsee
und das dortige „Dialogverfahren zum Rückbau“.
Nach einem weiteren Vortrag zu „Beteiligungsverfahren im Realexperiment“
schließt die Reihe am 3. Juli mit dem „Ausblick: Von der Zwischen- zur
Endlagerung – was bringt die Zukunft?“ mit dem Präsidenten des Bundesamtes
für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) Wolfram König, und der
grünen Bundestagsabgeordneten Sylvia Kotting-Uhl.
9 Jun 2019
## LINKS
[1] https://www.fu-berlin.de/sites/offenerhoersaal/sose-2019-kalender-atomkonfl…
[2] http://nenug.de/
[3] http://www.joachim-radkau.de/
[4] /Vergnuegungspark-um-schnellen-Brueter/!5098729
[5] https://www.diw.de/de/diw_01.c.87779.de/ueber_uns/menschen_am_diw_berlin/hi…
[6] http://www.entsorgungsfonds.de/
[7] https://www.fu-berlin.de/sites/offenerhoersaal/sose-2019-kalender-atomkonfl…
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Atomenergie
Plutonium
Schwerpunkt Atomkraft
Anti-AKW
Subventionen
Lesestück Recherche und Reportage
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Schleswig-Holstein
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Greta Thunberg
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