# taz.de -- Debatte um Sterbehilfe: Jedes Leben ist lebenswert | |
> Der assistierte Suizid wird kommen. Doch in evangelischen Einrichtungen | |
> sollte er nicht möglich sein. Auch aufgrund der deutschen Geschichte. | |
Bild: Sollte assistierter Suizid in evangelisch-diakonischen Einrichtungen mög… | |
Der legale assistierte Suizid wird kommen. So hat es das | |
[1][Bundesverfassungsgericht] mit seinem Urteil vom 26. Februar 2020 vom | |
Gesetzgeber eingefordert. „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schließt die | |
Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen | |
und in Anspruch zu nehmen“, so die Begründung des | |
Bundesverfassungsgerichts. Das wird nun umgesetzt, gewiss mit hohen | |
Auflagen. Aber wir werden es mit einer erheblich veränderten Rechtspraxis | |
zu tun haben. Es drängt sich daher aktuell eine weiter gehende Frage auf: | |
Wie reagiert die evangelische Kirche? | |
Darf oder gar soll auch in evangelisch-diakonischen Krankenhäusern, | |
Altenheimen, Hospizen, ambulanten Diensten, Wohneinrichtungen von Menschen | |
mit sogenannten Behinderungen, soll auch dort [2][assistierter Suizid] | |
möglich sein? Weil Bewohnerinnen, Hospizgäste und Patienten dies schlicht | |
wollen und demnächst ein Recht darauf haben. Diese Frage ist nicht | |
nebensächlich. Wir sprechen hier über den Lebens-und Arbeitsalltag von weit | |
mehr als einer Million Menschen sowie die PatientInnenperspektive von einer | |
weiteren Million Menschen. | |
Für katholische Einrichtungen stellt sich diese Frage nicht. Da gibt es ein | |
ganz klares Nein. Für die evangelische Kirche aber haben namhafte | |
TheologieprofessorInnen sowie Diakoniepräsident Ulrich Lilie in einem viel | |
beachteten Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 11. Januar | |
etwas gänzlich anderes gefordert. Im Namen der Selbstbestimmung und der | |
Freiheit müsse assistierter Suizid gerade auch in der Diakonie möglich | |
gemacht werden, natürlich in sorgfältiger qualitätsvoller Prüfung und | |
möglichst auch begleitet durch besonders ausgebildete Seelsorgerinnen und | |
Berater. Auch Landesbischof Ralf Meister unterstützt diese Position. | |
Ich persönlich sage zu diesen Vorschlägen: Nein. Als Christ sagt mir meine | |
persönliche Glaubensvorstellung: Es gibt vor Gott kein nicht lebenswertes | |
Leben. Es gibt ausschließlich lebenswertes Leben. Menschen, die sich | |
suizidieren, sind zu achten und moralisch null und gar nicht zu | |
verurteilen. Kirche und Diakonie bleiben aber gut beraten, von jeglicher | |
Mitwirkung an assistiertem Suizid die Finger zu lassen. | |
## Palliativpflege ausbauen | |
Ist dies herzlos? Diese Frage ist absolut berechtigt. Gar nicht so selten | |
höre ich als [3][Krankenhaus-und Hospizpfarrer]:„Bitte sorgen Sie mit | |
dafür, dass mein Leid bald ein Ende hat, so wie in Holland, so wie in der | |
Schweiz. Warum denn geht das hier nicht!?“ Nein, ich predige dann | |
niemandem, sie müsse durchhalten, oder gar Gott würde ihn ablehnen, wenn | |
sie den Suizid begehren. Weiß ich denn, wie ich selbst, wenn ich wirklich | |
und schon lange gar nicht mehr kann, wie ich dann schreien, elendig | |
sprechen würde? | |
Was ich aber aus jahrzehntelanger klinischer Praxis weiß: Niemand muss | |
unendlich und mit unerträglichen Schmerzen weiterleben, wenn er oder sie | |
das nicht will. Es gibt so viele Mittel. Ärztinnen und Ärzte wissen von | |
Jahr zu Jahr mehr über die Segnungen der Morphiumtherapie. Und sie trauen | |
sich immer mehr, damit klug umzugehen. | |
Unser Problem in Deutschland ist viel weniger der nichtselbstbestimmte Tod, | |
sondern der einsame Tod oder der als zu früh erlebte Tod oder jener Tod vor | |
dem Tod, den viele demenzerkrankte Menschen zu erleben und deren Familien | |
zu erleiden haben. Die Hospizbewegung und die weltweite palliative care | |
arbeiten mit großer Weisheit und Mut daran, genau an jenen Toden nicht | |
vorbeizuschauen. Politisch ist es unabdingbar, diese Entwicklungen noch | |
viel weiter auszubauen, deren Finanzierung zu sichern und die Ausbildungen | |
medizinischer und sozialer Berufe daraufhin noch weiter zu verbessern. | |
Ich habe einen Bruder, der heißt Rolf. Und seine ärztliche Diagnose lautet | |
auf schweren Schwachsinn. Außerdem war er sehr lange ein Schreikind. Vor | |
einem Jahr war ich mit ihm bei einer Gedenkveranstaltung in seiner | |
diakonischen Stiftung Scheuern bei Koblenz, am 27. Januar, dem | |
Auschwitz-Gedenktag. Weil auch aus Scheuern Menschen dereinst in grauen | |
Wägen zur Vergasung gefahren wurden. Weil Leben als „nicht lebenswert“ | |
galt. Vielleicht hole ich dieses heftige und möglicherweise fragwürdige | |
Argument auch nur daher hervor, weil die evangelische Kirche und ihre | |
Diakonie in den zwanziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts in gewiss – | |
auch – unschuldigem Engagement sich für „Gnadentod“ aus eugenischen Grü… | |
starkgemacht hat und weil sie nach dem Krieg lange Jahrzehnte gebraucht | |
hat, sich damit ehrlich und demütig auseinanderzusetzen. | |
## Wer ein kirchliches Haus betritt, sollte dort sicher sein | |
Natürlich will niemand, der dem assistierten Suizid das Wort redet, in jene | |
Zeit zurück. Es wäre unfair und töricht, dies auch nur annähernd zu | |
unterstellen. Aber ich empfinde: Die Wände sind dünn, der Schoß ist noch | |
fruchtbar und unser aller Herzen schwankender, als wir oft uns allzu sicher | |
wähnen. | |
Also: Finger vom assistierten Suizid, auf jeden Fall in kirchlichen | |
Häusern. Wir kennen dort, in Diskretion und Demut, viele andere Wege zum | |
Sterben. Zur Not die palliative Sedierung, auch in Grauzonen zuweilen | |
barmherzige Wege, die ins ärztliche Standesrecht gehören, nicht ins Straf- | |
und Erlaubnisrecht. Viele unserer Pflegenden und Ärztinnen sind im | |
allerhumansten Sinne „Fachleute für den Tod“. So wie man in kirchlichen | |
Altenheimen auch gut „den Löffel abgeben“ kann, also das tun, was heute oft | |
„Sterbefasten“ heißt. | |
Wer ein kirchliches Haus betritt (in dem – fraglos – auch mancher Mist | |
passiert, das brauchen wir hier nicht kitschig zu malen), wer ein | |
kirchliches Haus betritt, der und die sollte sicher sein dürfen: Nie stirbt | |
hier jemand durch eines anderen Menschen Hand. Hier wird jedes Leben | |
geschützt. Weil jedes Leben, jedes!, lebenswert ist. | |
10 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Gesetz-zu-Suizidassistenz/!5743968 | |
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## AUTOREN | |
Hans Bartosch | |
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