# taz.de -- Debatte um Rammstein-Konzerte in Berlin: „Awareness muss von inne… | |
> Nach Missbrauchsvorwürfen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann mehren | |
> sich die Rufe nach Awareness-Teams. Kann das Frauen vor Übergriffen | |
> schützen? | |
Bild: Protest vor dem Rammstein-Konzert in München | |
taz: Frau Ahrend, Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) spricht sich dafür | |
aus, wegen der Missbrauchsvorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann | |
auf den Berliner Konzerten Awareness-Teams einzusetzen. Was halten Sie | |
davon? | |
Katharin Ahrend: Ich finde es problematisch und nicht nachhaltig, dass die | |
Debatte über die Vorfälle um Rammstein in einer Forderung nach mehr | |
Awareness-Teams endet. Awareness-Teams sind eine super Sache, aber sie | |
können nicht die Lösung für diese tiefgehenden strukturellen Probleme sein. | |
Hier klebt man ein Pflaster auf eine tiefe Wunde und hofft, es werde so | |
schnell besser. Awareness ist aber ein ganzheitlicher Reflexionsprozess und | |
Übernahme von Verantwortung. | |
Was genau meinen Sie damit? | |
Awareness-Teams sind nur ein kleiner Teil eines Awareness-Konzepts auf | |
einer Veranstaltung. Sie leisten vor Ort Unterstützung, wenn es zu | |
Grenzüberschreitungen gekommen ist. Es muss aber ganz viel im Vorfeld | |
passieren, vor allem in den internen Strukturen. Das betrifft also alle | |
Ebenen, allen voran die Band und das Management. | |
Was muss dort passieren? | |
Die müssen sensibilisiert und in Verantwortung genommen werden. Man muss | |
die eigenen Strukturen reflektieren und sich die eigenen Werte bewusst | |
machen. Es geht um Präventionsarbeit. Wenn Menschen mit Macht keine | |
Verantwortung übernehmen, helfen Awareness-Teams nicht. Da ist der Diskurs | |
fehlgeleitet. | |
Hätten Awareness-Teams die mutmaßlichen Vorfälle um Rammstein also gar | |
nicht verhindern können? | |
Nein, hätten sie nicht. Ein Awareness-Konzept, das machtkritisch und | |
reflektiert ist, hätte das schon geschafft. Aber der Fehler besteht ja | |
schon darin, dass überhaupt Strukturen entstehen konnten, die junge Frauen | |
für Sex rekrutieren. | |
Was sind die Grundsätze von Awareness-Arbeit? | |
Die Bedürfnisse der betroffenen Person stehen im Zentrum allen Handelns. | |
Sie bestimmen, was sie in der Situation brauchen, und die Betroffenen | |
definieren auch, ab wann eine Grenzüberschreitung stattgefunden hat. | |
Awareness ist also immer parteilich mit den Betroffenen, nicht mit den | |
Betreiber:innen oder den Bands. | |
Wenn ich auf eine Party oder ein Konzert gehe, wie erkenne ich, dass es ein | |
Awareness-Konzept gibt? | |
Im Idealfall merkt man das schon beim Buchen des Tickets. Da sollte man | |
finden, für welche Werte die Veranstaltung steht und wo die | |
Awareness-Stelle zu finden ist. Auf der Veranstaltung sollte es dann ein | |
Informationssystem und niedrigschwellig erreichbare Teams geben. Die müssen | |
dann auch überall ansprechbar sein – vom Eingang bis hinter die Bühne. | |
Wie „aware“ ist denn die Berliner Partyszene? | |
Die Berliner Kulturbranche ist sehr vielfältig und genauso heterogen sind | |
die Zustände bei der Awareness-Arbeit. Seit wir 2020 die Arbeit in der | |
Awareness-Akademie aufgenommen haben, sehe ich aber eine riesige | |
Veränderung. Unsere Weiterbildungen werden immer stärker nachgefragt und | |
wir bekommen jeden Monat mehr Anfragen für Awareness-Konzepte. Gerade | |
schulen wir zehn Berliner Clubs und es kommen immer mehr dazu. | |
Welche Clubs sind hier aktiv? | |
Anfangs waren eher die queeren und linken Clubs und Kollektive die | |
Vorreiter:innen. Aber es wird immer diverser. Das Thema ist überall | |
angekommen und lässt sich nicht mehr auf eine Szene eingrenzen. Natürlich | |
gibt es Clubs, die gerade erst anfangen, aber es ist gut, dass angefangen | |
wird! Inzwischen schwappt das Konzept auch auf die Hochkultur über. Das | |
Projekt „Diversity Arts Culture“ ist da sehr aktiv und auch die Berlinale | |
hatte zuletzt ein Awareness-Team. Die Aufmerksamkeit der größeren | |
Kulturbetriebe wächst also. | |
Ist Berlin hier ein Vorbild? | |
Das ist schwer zu sagen, aber Berlin hat im Bundesvergleich schon sehr | |
viele Akteure, die aktiv sind. Das ist auch international sicher | |
einzigartig. Und auch auf der politischen Ebene ist inzwischen verstanden | |
worden, dass diese Arbeit wichtig ist. | |
Das Awareness-Konzept kommt aus der linken Subkultur. Mit den Forderungen | |
nach Awareness-Teams auf Veranstaltungen gibt es die Befürchtung, dass | |
jetzt Awareness von oben verordnet wird. Die Awareness-Akademie wird vom | |
Senat mitfinanziert. Wie schätzen Sie die Gefahr ein? | |
Wir beschäftigen uns mit dieser Kritik sehr, es ist ein Spannungsfeld: | |
Einerseits brauchen wir diese Schutzkonzepte und die finanziellen und | |
personellen Ressourcen. Die Care-Arbeit ist sehr belastend und schwer und | |
dementsprechend muss sie auch entlohnt werden. Andererseits laufen wir | |
Gefahr, dass ein Ansatz, der aus einem politischen Kampf heraus kommt, | |
nicht mehr die ursprünglichen Werte vertritt. Also dass Betroffene von | |
sexualisierter Gewalt eine Alternative zu staatlichen Institutionen und | |
ungerechten Strukturen haben. | |
Wie wollen Sie das verhindern? | |
Die Arbeit muss auch künftig unbeeinflusst von Staat, Institutionen und | |
ökonomischen Zwängen stattfinden können. Awareness kann nicht durch einen | |
Ruf von oben kommen, sie muss intern entstehen. Und genau in diesem | |
internen Prozess begleiten wir. | |
11 Jun 2023 | |
## AUTOREN | |
Benjamin Probst | |
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