# taz.de -- Vorwürfe gegen Rammstein: Das „lyrische Ich“ und die Realität | |
> Gegen die Band Rammstein gibt es Vorwürfe der sexualisierten Gewalt. | |
> Zuvor schon hatte Sänger Till Lindemann mit einem Gedicht zum Thema | |
> kokettiert. | |
Bild: Till Lindemann von Rammstein, Volksparkstadion Hamburg, 2022 | |
Jetzt also Till Lindemann. Eine Frau namens Shelby Lynn, die nach eigenen | |
Angaben ein Rammstein-Konzert in Vilnius besucht hat, sagt online, sie sei | |
backstage unter Drogen gesetzt worden, der Sänger habe sie zum Sex | |
aufgefordert und wäre sauer geworden, als sie ablehnte. [1][Dazu postete | |
sie Fotos von Verletzungen] mit der Angabe, sie könne sich nicht daran | |
erinnern, wie diese zustande gekommen seien. [2][Die Band dementierte den | |
Vorfall per Twitter]. Gleichzeitig gibt es immer mehr Frauen, die von | |
Gewalterfahrungen mit Rammstein berichten. Als Journalistin muss ich sagen: | |
Lindemann und seine Leute sind mutmaßliche Täter, weil sie nicht verurteilt | |
sind, sondern bisher nur beschuldigt werden. Als Kolumnistin sage ich, dass | |
ich den mutmaßlichen Opfern glaube. | |
Ich glaube ihnen, weil falsche Vergewaltigungsvorwürfe sehr selten sind, | |
die Anschuldigungen glaubhaft klingen, seit Jahren derartige Geschichten | |
kursieren und immer mehr Frauen (meist anonym) von ähnlichen Erfahrungen | |
berichten. Und ich habe noch einen weiteren Grund: Erstaunlich oft gehen | |
(mutmaßliche) Täter mit ihren (mutmaßlichen) Taten hausieren, weil sie, | |
gerade wenn sie Stars sind, wissen, dass sie fast unberührbar sind. Damit | |
meine ich nicht nur das übermaskuline Gehabe, das Rammstein seit | |
Jahrzehnten zur Schau trägt (gepaart mit Fascho-Ästhetik, aber das ist ein | |
anderes Thema). | |
Vor allem spreche ich vom Buch „100 Gedichte“ von Till Lindemann, das der | |
KiWi Verlag vor drei Jahren veröffentlichte; aus lyrischer Sicht ziemlich | |
unterdurchschnittliche Gedichte. Relevant ist aber nicht ihre | |
Literarizität, sondern der Inhalt. Unter anderem schildert er darin | |
Vergewaltigungsfantasien wie „Ich schlafe gerne mit dir, wenn du | |
schläfst/Wenn du dich überhaupt nicht regst“, die sehr nah an dem sind, was | |
der Band jetzt vorgeworfen wird. [3][Marilyn Manson wird Vergleichbares | |
vorgeworfen.] Und auch er hat schon über sexuelle Übergriffe auf | |
bewusstlose Frauen geschrieben, 1998 in seiner Autobiografie „The Long Hard | |
Road Out Of Hell“. | |
Als die „100 Gedichte“ publiziert wurden, gab es einige User*innen auf | |
Twitter (auch ich gehörte dazu), die den Verlag kritisierten. Daraufhin | |
sprangen viele Lindemann zur Seite, mit der Begründung, es handele sich um | |
sein lyrisches Ich, [4][Dichterin Nora Gomringer sprach von einer | |
„Hypermoralisierung“], und auch [5][Helge Malchow, Editor-at-Large bei | |
KiWi, beklagte die „moralische Empörung“ und „Diffamierung des Autors“… | |
Selbst wenn es sich doch „nur“ um Lindemanns lyrisches Ich handelt: Muss | |
man Vergewaltigungsfantasien veröffentlichen? | |
Jahrelang kamen Leute wie Lindemann und Manson problemlos damit durch, mit | |
ihren Gewaltfantasien zu kokettieren, und seien sie verpackt in lyrische | |
Ichs. Teils wurden sie sogar verteidigt. Es sagt viel über unsere Rape | |
Culture aus, dass so was überhaupt durchgeht. | |
29 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/Shelbys69666/status/1661534775729967105?ref_src=twsrc%5… | |
[2] https://twitter.com/RSprachrohr/status/1662932645657944065 | |
[3] https://www.derstandard.de/story/2000123858684/vorwuerfe-gegen-marilyn-mans… | |
[4] https://www.freitag.de/autoren/nora-gomringer/lindemanns-heidenroeslein | |
[5] https://twitter.com/KiWi_Verlag/status/1246031728776556544 | |
## AUTOREN | |
Isabella Caldart | |
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