# taz.de -- Debatte um Berliner Hochhausleitbild: Wer hat den Größten? | |
> Das Baukollegium überarbeitet die Vorgaben für neue Großprojekte. Bei der | |
> Überarbeitung könnte der Anteil für gemeinwohlorientierte Nutzung | |
> wegfallen. | |
Bild: Ein Phallus am S-Bahn-Ring: Die Baustelle des Estrel-Towers in Neukölln | |
Berlin taz | Schon jetzt hat der noch im Bau befindliche Turm die Schwelle | |
zum Wolkenkratzer geknackt. Bis Ende nächsten Jahres soll er dann | |
fertiggestellt werden. Mit 176 Metern wird der Estrel Tower an der | |
Neuköllner Sonnenallee bald Berlins höchstes Gebäude sein. Selbst [1][den | |
„Amazon Tower“ an der Warschauer Brücke] wird der Hotelturm dann überrage… | |
Doch die Frage, wo Hochhäuser in Berlin stehen sollen und welche Regeln für | |
ihren Bau gelten, bleibt umstritten. „Ich finde, dass dieses Hochhaus in | |
Neukölln, was jetzt gerade entsteht, schwer begründbar ist“, sagte Ephraim | |
Gothe (SPD), Baustadtrat von Mitte, bei einer Sitzung des Baukollegiums am | |
Montag. Das Gremium gab bei der Sitzung erste Empfehlungen für die | |
Überarbeitung des Hochhausleitbildes. | |
2020 hatte der damalige rot-grün-rote Senat das bis heute gültige | |
Hochhausleitbild beschlossen. Der aktuelle Senat hat verabredet, es | |
weiterzuentwickeln. Das Leitbild legt die Planungsschritte inklusive | |
Öffentlichkeitsbeteiligung auf dem Weg zu einem Hochhausbau fest und soll | |
einen Ausgleich schaffen zwischen Investoreninteressen und den Bedarfen der | |
Stadtgesellschaft. | |
Zur Anwendung kommt es überall, wo die in der Umgebung vorzufindenden | |
Gebäudehöhen um mehr als die Hälfte überschritten werden sollen. Bei der in | |
den Innenstadtquartieren üblichen Berliner Traufhöhe ist das schon ab 35 | |
Meter der Fall. Nicht zur Anwendung kommt es, wo es zuvor schon einen | |
Bebauungsplan für das Areal oder eine Baugenehmigung für ein Hochhaus gibt | |
– wie beim Estrel Tower in Neukölln. | |
## Jahrzehntealte Debatte | |
Seit Jahrzehnten wird in Berlin über Hochhäuser gestritten. Genauso lang | |
schon [2][bleiben schwindelerregende Pläne im märkischen Sand oder in | |
Insolvenzverfahren stecken]. Vom Kollhoff-Plan, der in den 90ern noch eine | |
Stadtkrone um den Alexanderplatz von dreizehn Hochhäusern vorsah, ist mit | |
dem von Covivio bislang nur eins im Bau. | |
Am Kurfürstendamm, unweit von Zoofenster und Upper West, die einst ganz | |
ohne städtebaulichen Wettbewerb hochgezogen worden sind, wollte Signa | |
ursprünglich drei neue Hochhäuser bauen. Nach der Insolvenz des | |
österreichischen Konzerns hat der Berliner Senat für künftige Interessenten | |
festgelegt, dass am ehemaligen Signa-Standort nur noch ein Hochhaus | |
entstehen soll. | |
Die Proteste gegen den vergangenes Jahr eröffneten Amazon Tower an der | |
Warschauer Brücke zeigen: So manch einem ist es gar nicht so unlieb, wenn | |
Berlin am Boden bleibt. Ganz anders sieht es der Regierende Bürgermeister | |
Kai Wegner (CDU). Berlin müsse sich mehr trauen, sagte Wegner Anfang des | |
Monats, als er während seiner USA-Reise auf das über 500 Meter hohe New | |
Yorker „One World Trade Center“ starrte. | |
Dass Wegner sich für mehr Hochhäuser ausspricht, erstaunt nicht. Im | |
November vergangenen Jahres hatte sich bereits die CDU auf ihrer | |
Fraktionsklausur in Warschau für eine deutlich höhere „Skyline“ | |
ausgesprochen. Entstehen könnten neue Hochhäuser entlang des Berliner | |
S-Bahn-Rings, so der CDU-Vorschlag. | |
## Höhenrausch der CDU | |
Von Warschau hatte sich die CDU dabei nicht unbedingt inspirieren lassen. | |
In der polnischen Hauptstadt clustern sich die Hochhäuser in der | |
Stadtmitte. Auch in anderen europäischen Hauptstädten sind die Standorte, | |
wo Hochhäuser gebaut werden und wo eben nicht, deutlich abgegrenzt. In | |
Berlin ist das aufgrund der verschiedenen Zentren der Stadt schwerer zu | |
erkennen. | |
Gothe, der damals schon [3][den Höhenrausch der CDU] als „unseriös“ | |
kritisierte, mahnte am Montag, dass die Entscheidungen, wo besonders hohe | |
Hochhäuser gebaut werden, nicht abhängig sein darf von den „Sherpas der | |
Investoren, die besonders gut verdrahtet sind“. Er betonte, dass Berlin mit | |
dem Potsdamer Platz, Alexanderplatz, Breitscheidplatz, dem Europaplatz am | |
Hauptbahnhof und dem Arena-Platz am Ostbahnhof bereits fünf Cluster für | |
Hochhäuser habe. | |
In dieselbe Kerbe schlug dann auch das Baukollegium, das den Senat in | |
städtebaulichen Fragen berät. „Wir halten es für richtig, die hohen | |
Hochhäuser auf diese Cluster zu konzentrieren und nicht überall in der | |
Stadt zuzulassen“, sagte Architekt Jörg Springer. Es ist eine der | |
Empfehlungen, die das Gremium für eine Überarbeitung des Berliner | |
Hochhausleitbilds ausgibt. | |
Die überwiegende Mehrheit der Beteiligten in Bezirk und bei den Investoren | |
schätze das Leitbild, weil es die Diskussion versachliche und Transparenz | |
in den Prozess bringe, hieß es von der Senatsbauverwaltung. Bisher gibt es | |
allerdings noch kein einziges Hochhaus, das nach dem Leitbild gebaut wird. | |
Laut der Senatsbauverwaltung sind derzeit berlinweit aber 50 Hochhäuser in | |
den ersten Schritten der Planung. Die meisten davon sollen bis zu 60 Meter | |
hoch werden. Fünf Türme könnten einmal über 100 Meter hoch ausfallen. | |
Auffällig ist: Die Hälfte der Hochhäuser sollen vorrangig als Bürogebäude | |
gebaut werden. | |
## Gemeinwohl-Anteil reduziert | |
So auch [4][der Central Tower des Immobilienentwicklers HB Reavis an der | |
Jannowitzbrücke], der das erste Hochhaus nach den Vorgaben des Leitbildes | |
werden dürfte. Der Investor will hier 115 Meter in die Höhe bauen. Unter | |
anderem aus dem Baukollegium kam im Frühjahr die Kritik, solch ein hoher | |
Turm würde die Sichtachsen auf den Fernsehturm einschränken und nicht in | |
die Umgebung passen. Das Landesdenkmalamt hatte eine Höhe von 95 Meter als | |
noch vertretbar angesehen. Auch Bezirksbaustadtrat Ephraim Gothe (SPD) | |
hatte sich für ein Stutzen der Pläne ausgesprochen. | |
Im Oktober forderte die Bezirksverordnetenversammlung in Mitte mit Stimmen | |
der CDU und Grünen das Bezirksamt auf, einen nötigen Aufstellungsbeschluss | |
in die Wege zu leiten, damit zügig ein Bebauungsplan für den Central Tower | |
erarbeitet werden kann. An den 115 Metern störte man sich nicht wegen der | |
von HB Reavis vorgesehenen Mischnutzung für das Gebäude. So sollen neben | |
den 70 Prozent Flächen für Büros, die restlichen 30 Prozent des Gebäudes | |
für soziale Nutzungen, Kultur, Wohnungen und Einzelhandel bereitgestellt | |
werden. | |
Eine Mischnutzung, wie sie vom Berliner Hochhausleitbild vorgesehen wird, | |
aber möglicherweise bei einer Überarbeitung gestrichen werden könnte. So | |
hält auch das Baukollegium die Vorgabe von 30 Prozent Gemeinwohlflächen für | |
schwer umsetzbar angesichts der Diskrepanz zwischen hohen | |
Quadratmeterpreisen und den geringen Mieten, die beispielsweise eine | |
Musikschule zahlen könne. | |
Bezirksbaustadtrat Gothe sagte, das Leitbild arbeite zwar mit „schönen | |
Begriffen“, die am Ende aber „leere Versprechen“ blieben. Nachdem man beim | |
Central Tower lange gerätselt habe, wie diese 30 Prozent Gemeinwohlnutzung | |
überhaupt erfüllt werden können, hätte man festgestellt, dass man auf den | |
Flächen bei Mieten über 30 Euro pro Quadratmeter lande. Es sei deshalb | |
wichtig, dass sich ein Hochhausleitbild ehrlich mache. „Diese schönen | |
Nutzungen wünschen wir uns zwar, die werden aber nicht erfüllbar sein bei | |
einem teuren Hochhaus“, sagte Gothe. | |
27 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Yannic Walther | |
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