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# taz.de -- Debatte über Wolfabschuss: „Nicht im Beutespektrum“​
> Die Behörden wollen einen Wolf in Bayern abschießen lassen. Wolfexperte
> Uwe Friedel vom Bund Naturschutz erklärt, warum das Unsinn ist.
Bild: Wie gefährlich ist ein Wolf?
taz: In der Traunsteiner Gegend hat in letzter Zeit ein Wolf mit dem
schönen Namen GW2425m von sich reden gemacht. Was wissen Sie über das Tier?
Uwe Friedel: Der Wolf, ein mindestens ein Jahr alter Rüde, stammt aus
Österreich oder Italien. Im Dezember ist er sieben- oder achtmal im
Chiemgau aufgefallen und dabei meistens auch in die Nähe von Siedlungen
gekommen. In fünf Fällen hat er Nutztiere gerissen, obwohl es in der Nähe
auch reichlich Rotwild gegeben hätte. In einem Fall kam es sogar zu einer
Begegnung mit einem Menschen. Da hat er sich eine Ziege aus einem
Unterstand geschnappt, der direkt am Hofgebäude war. Als der Landwirt aus
dem Haus kam, ist der Wolf sofort geflüchtet.
Die Regierung von Oberbayern hat den Wolf zum Abschuss freigegeben – eine
Entscheidung, die jetzt – unter anderem auf Ihre Klage hin – [1][bis zum
endgültigen Urteil vom Verwaltungsgericht kassiert wurde]. Warum haben Sie
gegen den Abschuss geklagt?
Der angeführte Grund für die Entnahme des Wolfes, wie es in der Amtssprache
heißt, war ja, dass er angeblich für Menschen gefährlich sei – oder werden
könnte. Deshalb haben wir die Sache sehr genau geprüft, um zu sehen, ob es
dafür tatsächlich Anzeichen gibt. Wir haben allerdings nichts gefunden.
Woran hätten Sie es festmachen können?
Die entscheidende Frage ist: Zeigt dieser Wolf ein ungewöhnliches
Verhalten? Hat er sich irgendwie an Menschen gewöhnt? Und das ist ganz klar
nicht der Fall – auch wenn er sich Siedlungen genähert hat. Menschen, die
im Haus oder im Auto sind, erkennt er nicht als solche. Und in dem einen
Fall, wo es zu einer wirklichen Begegnung kam, ist er sofort geflüchtet.
Der Wolf sucht sich was zu fressen, der interessiert sich nicht für
Menschen; wir kommen in seinem Beutespektrum nicht vor. Gerade durch die
Schnelligkeit, mit der das Gericht jetzt entschieden hat, fühlen wir uns in
unserer Haltung bestätigt.
Wir wissen, was mit Rotkäppchen und der Großmutter passiert ist: Ist es
tatsächlich nur ein Märchen, [2][dass Wölfe dem Menschen gefährlich werden
können]?
Der Wolf ist natürlich ein Tier, vor dem man Respekt haben muss – wie auch
vor verwilderten Hunden oder Wildschweinen. Global gesehen gibt es immer
wieder Fälle, in denen Menschen von Wölfen angegriffen und auch getötet
werden. Aber da muss man genau unterscheiden. Die meisten Fälle sind auf
Tollwut zurückzuführen, die es bei uns praktisch nicht mehr gibt. Dann gibt
es in bestimmten Regionen, beispielsweise in Indien, tatsächlich Wölfe, die
Menschen, vor allem Kinder, als Beute jagen. Das hängt mit speziellen
Faktoren wie einem extremen Mangel an Wild und einer sehr hohen Dichte der
Landbevölkerung ab. Das ist bei uns alles nicht relevant. In Spanien gab es
in den Sechzigerjahren ein paar Fälle, wo Wölfe, die durch Schlachtabfälle
einer Hühnerfabrik angelockt und an den Menschen gewohnt wurden, Kinder
getötet haben. Heutzutage kommt es noch zu Unfällen, wenn Touristen Wölfe
für ein schickes Foto anfüttern. Aber in den vergangenen 20 Jahren ist in
Europa kein Mensch von einem Wolf getötet worden. Zum Vergleich: Allein in
Deutschland wird im Schnitt jährlich ein Mensch von einem Wildschwein
getötet.
Wie kann ein Jäger überhaupt sicher sein, dass es der richtige Wolf ist,
den er da vor der Flinte hat?
So gut wie gar nicht. In Niedersachsen ist in einem solchen Fall auch schon
mal mindestens ein falscher Wolf erschossen worden. Anders als Luchse zum
Beispiel, die man anhand der Fellzeichnung ganz gut identifizieren kann,
sehen sich die Tiere viel zu ähnlich. Für den Jäger kann das dann natürlich
eine juristisch heikle Sache werden. Das ist allerdings ein Problem, für
das ich keine Lösung wüsste – auch in Fällen, in denen ich einen Abschuss
unterstützen würde.
Wann wäre dies denn der Fall?
Nehmen wir an, der Wolf hätte sich einem Spaziergänger genähert und
Interesse an dem Menschen gezeigt. Dann müsste man wohl sagen: Okay, wir
wollen wirklich jedes Risiko ausschließen – auch wenn auch dieser Wolf mit
sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht gefährlich werden würde. In einem
solchen Fall hätten wir nicht geklagt.
Den Wolf lebend zu fangen ist keine Option?
Das ist prinzipiell möglich, aber nicht ganz einfach. Und selbst wenn es
gelingt: wohin mit dem Tier? Einen in der Wildnis aufgewachsenen Wolf in
ein Gehege zu stecken wäre eine Qual für das Tier. Und es woanders
auszusetzen, würde nichts bringen, weil es dort aller Voraussicht nach
dasselbe Verhalten an den Tag legen würde.
Glauben Sie, dass der Wolf überhaupt noch in der Gegend ist? Seit den
Vorkommnissen Mitte Dezember gibt es ja kein Lebenszeichen mehr von ihm.
Schwer zu sagen. Vielleicht ist er schon ganz woanders. Theoretisch könnte
er jetzt auch irgendwo in Brandenburg herumlaufen. Oder er ist noch in der
Gegend, hält sich inzwischen aber bei der Verpflegung ans Wild. Oder er ist
schon tot.
Sie meinen, illegal geschossen?
Das kommt vor.
Wie sieht es denn aktuell mit dem Bestand in Bayern aus?
Wir haben 13 territoriale Wölfe, zwei Rudel, sprich Paare mit Nachwuchs,
zwei welpenlose Paare und ein Einzeltier. In Bayern sind wir noch ganz am
Anfang der Besiedlung, hier lebt etwa jeder dreißigste Wolf in Deutschland,
in Ostdeutschland und Niedersachsen haben wir wesentlich mehr Tiere.
Wie sicher ist der Bestand in Deutschland?
Genetisch gesehen ist die deutsche Wolfspopulation noch nicht über den
Berg. Man sagt, dass es 1000 erwachsene Tiere braucht, damit ein Bestand
mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit sicher ist. Da sich Wölfe allerdings
gut vermehren und wir in den Wäldern so viel Wild haben, mache ich mir um
den Bestand keine allzu großen Sorgen.
Ging es denn bei der Abschussentscheidung wirklich um den Schutz der
Menschen oder mehr darum, die in Sachen Wolf in der Region [3][teilweise
recht erhitzten Gemüter] wieder etwas zu kühlen?
Aus unserer Sicht ist es eine politische Entscheidung gewesen, der Druck
war sehr hoch. Die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber
hat sich ja vermehrt geäußert, dass dieser Wolf abgeschossen gehört, und
dementsprechend hat man dann nach einer Begründung gesucht. Das ist
zumindest unser Eindruck.
27 Jan 2022
## LINKS
[1] https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-traunstein-wolf-abschuss-urteil-1…
[2] /Woelfe-in-Deutschland/!5385189
[3] /Woelfe-im-Norden/!5817083
## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
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Schwerpunkt Artenschutz
Jagd
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Naturschutz
Landwirtschaft
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