| # taz.de -- Debatte Präsidentschaftswahl im Iran: Jetzt hilft nur noch beten | |
| > Der Atomdeal hat dem Iran kein Wirtschaftswunder beschert. Nun könnte an | |
| > diesem Freitag ein Extremist neuer Präsident werden. | |
| Bild: Iranische Frauen lieben Präsident Rohani – nur für Außenstehende wir… | |
| Die Iranerinnen verfügen über die erstaunlichsten Fähigkeiten. Sie können | |
| sich beispielsweise [1][Präsident Hassan Rohani] ohne Turban und grauem | |
| Rauschebart vorstellen und zu dem Schluss kommen, er sähe „ziemlich gut“ | |
| oder sogar irgendwie „cool“ aus. | |
| Manchem weiblichen Fan entfährt sogar ein Kreischen, wenn er bei den in | |
| Lila getauchten Wahlkampfveranstaltungen auf die Bühne tritt. Und zwar | |
| spätestens dann, wenn er solche Dinge sagt wie: „Wir werden keine | |
| Diskriminierung von Frauen und keine Unterdrückung von Frauen akzeptieren. | |
| Wir wollen soziale und politische Freiheit.“ | |
| Natürlich wissen alle, dass es hier im Iran nicht um die Freiheit geht, wie | |
| sie auf den Straßen von New York, Paris oder Berlin herumspaziert. Rohani | |
| ist schließlich ein schiitischer Kleriker, ein ausgewiesener Held der | |
| islamischen Revolution von 1979 und ein Getreuer von Revolutionsführer | |
| Ajatollah Chomeini. | |
| Doch an diesem Freitag stehen im Iran Präsidentschaftswahlen an. | |
| Amtsinhaber Rohani mag für das untrainierte Auge genauso aussehen wie sein | |
| wichtigster Herausforderer Ebrahim Raisi: zwei ältere Herren in den langen | |
| Gewändern schiitischer Geistlicher. Der eine trägt einen weißen, der andere | |
| einen schwarzen Turban. | |
| ## Drohender Rollback | |
| Doch der Unterschied zwischen den beiden Kandidaten könnte kaum größer, | |
| aufwühlender und auch gefährlicher sein. Rohani steht für eine Öffnung zum | |
| Westen, einen moderaten Umgang mit den islamischen Regeln und für den | |
| Atomdeal mit der internationalen Gemeinschaft. Er hat als Erster ein Tabu | |
| gebrochen und direkt mit dem Erzfeind USA verhandelt. | |
| Raisi hingegen ist ein Mann, der als Generalstaatsanwalt für das Wegsperren | |
| und die Exekution Tausender Oppositioneller zuständig war. Er will die Uhr | |
| zurückdrehen, am besten bis zur Revolution, und er will eine härtere Linie | |
| fahren, insbesondere gegenüber den USA. Er fantasiert sogar davon, Mauern | |
| auf der Straße bauen, um die Männer und Frauen voneinander trennen. Er ist | |
| ein Extremist – und zwar von der Sorte, gegen die Marine Le Pen wie eine | |
| freundliche Kindergärtnerin wirkt. | |
| Was noch mehr erschauern lässt als Raisis Vergangenheit: Es wird davon | |
| ausgegangen, dass der Hardliner weit, weit mehr im Sinn hat als nur das | |
| Präsidentenamt. Im Iran ist das letzte Wort in allen Dingen dem Obersten | |
| Religionsführer vorbehalten, der neben der eigentlichen Regierung des | |
| Landes ein zweites Machtzentrum bildet. Es ist, als würde der Papst als | |
| oberste Instanz und religiöses Korrektiv über der italienischen Regierung | |
| schweben (und selbstverständlich auch jeden einzelnen Kandidaten auf seine | |
| katholische Korrektheit hin überprüfen). | |
| Und wie der Papst, so wird auch der Oberste Religionsführer im Iran von | |
| einem exklusivem Zirkel religiöser Würdenträger gewählt. Gelingt es Raisi, | |
| Präsident zu werden, empfiehlt er sich als Nachfolger für den | |
| gesundheitlich angeschlagenen Ali Chamenei, den derzeitigen | |
| Religionsführer. Denn schon der hatte seinerzeit seine Inthronisierung ganz | |
| ähnlich eingefädelt. Auch Chamenei war Präsident, bevor er ins höchste | |
| Staatsamt aufstieg. | |
| Innenpolitisch hätte ein Sieg des Hardliners, der als Chameneis Favorit ins | |
| Rennen geht, dramatische Folgen. Statt der lebensbejahenden | |
| Islam-Auslegung, für die Präsident Rohani plädiert, müsste man sich auf | |
| einen gewaltigen Rollback einstellen. Die iranische Gesellschaft ist tief | |
| gespalten. Auf der einen Seite stehen Unterstützer der islamischen | |
| Republik, vor allem die religiösere, ärmere, weniger gebildete und eher | |
| ländliche Bevölkerung. | |
| Und auf der anderen steht die aufstrebende urbane Mittelschicht, die | |
| persönliche Freiheit und politische Partizipation verlangt – und die als | |
| wahrscheinlich am wenigsten antiamerikanische Gruppe im gesamten Nahen | |
| Osten gelten kann. Ein Konflikt zwischen diesen Gruppen könnte eine noch | |
| härtere Unterdrückungswelle hervorrufen. Doch auch außenpolitisch wäre | |
| Raisis Sieg ein großes Sicherheitsrisiko. | |
| Schon jetzt hat US-Präsident Donald Trump das Atomabkommen mit dem Iran in | |
| Zweifel gezogen und in Aussicht gestellt, ihn einfach mit neuen Sanktionen | |
| vom Tisch zu wischen. Konkret sind den großspurigen Ankündigungen | |
| glücklicherweise zwar noch keine Taten gefolgt. Doch mit einem Extremisten | |
| als neuen iranischen Präsidenten könnte hier ein toxisches Gemisch | |
| entstehen – militärische Eskalation inklusive. | |
| ## Unsichtbare Schattenmacht | |
| Präsident Rohanis größte Schwachstelle bei seiner Bewerbung für die | |
| Wiederwahl ist die ökonomische und soziale Lage im Land. Nach dem Atomdeal | |
| konnte er die Wirtschaft zwar stabilisieren und die Inflation, die bereits | |
| schwindelerregende Höhen erreicht hatte, eindämmen. Doch das große | |
| Wirtschaftswunder blieb aus. Viele westliche Unternehmensdelegationen sind | |
| gekommen, doch wenig konkrete Projekte sind aus den freundlichen Kontakten | |
| hervorgegangen. Wer will schon investieren, solange unklar ist, ob die | |
| Amerikaner nicht doch noch eine Kehrtwende hinlegen? | |
| Bei den TV-Duellen, die es inzwischen – [2][und zwar in verblüffender | |
| Offenheit] – auch im Iran gibt, ist die nach wie vor desolate | |
| Wirtschaftslage und die hohe Arbeitslosigkeit die große Schwachstelle | |
| Rohanis. Genüsslich stochern die erzkonservativen Kandidaten mit Raisi an | |
| der Spitze in der offenen Wunde. Na, wo sind sie denn, all die schönen | |
| Arbeitsplätze, die nach dem Ende dem Atomdeal angeblich kommen sollten?, | |
| ätzen sie. | |
| Doch die iranische Einmischung in Syrien, die eskalierende Rolle, die das | |
| Land an allen Ecken und Enden im Nahen Osten spielt, macht es für | |
| wohlwollende Regierungen in Europa nicht gerade einfach, Rohani offensiv zu | |
| unterstützen. Für viele politisch Verantwortliche ist allein schon sehr | |
| schwierig nachzuvollziehen, dass es neben den sichtbaren Ministern und | |
| Politikern, die man in Teheran treffen kann, diese unsichtbare | |
| Schattenmacht gibt, die im Hintergrund auch noch ein paar Fäden zieht. | |
| Welche Auswirkungen ein Machtwechsel in Teheran auf die regionalen | |
| Konfliktparteien hätte, ist dabei noch gar nicht einkalkuliert. Ein | |
| Präsident Raisi würde in jeder Hinsicht ein mittelschweres Erdbeben | |
| bedeuten. Im Grunde hilft jetzt nur noch beten. | |
| 19 May 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Silke Mertins | |
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