# taz.de -- Wahl im Iran: Und dann tanzen sie | |
> Vor der Wahl am Freitag hoffen viele junge Iraner auf zaghafte Reformen. | |
> Für ihre Freiheit kämpfen sie lieber im Privaten. | |
Bild: Anhängerinnen des iranischen Präsidenten Rohani bei einer Wahlkampfvera… | |
KARADSCH/TEHERAN taz | Der Tag, an dem Samira Nafisi geboren wurde, war ein | |
guter Tag. Der Iran-Irak-Krieg war faktisch zu Ende am 19. Juli 1988, am | |
Vortag hatte Iran den Waffenstillstand akzeptiert. Dann ging für sie alles | |
erst mal bergab. Als Fünfjährige wollte sie sich die Fingernägel anmalen. | |
Durfte sie nicht. Mit 14 musste sie einen Tschador tragen, den schwarzen | |
Ganzkörperschleier, bei dem nur das Gesicht frei bleibt. Wollte sie nicht. | |
Aber was galt schon ihr Willen. Ihr Vater sagte ihr, was sie zu tun hatte. | |
Heute sind ihre langen Fingernägel rot-weiß-orange bemalt und ihre Lippen | |
rot. Sie trägt schwarze Lackschuhe, ein dunkelbrauner Schal liegt locker | |
über ihrem Haar. Es ist etwas passiert, mit ihr, aber auch mit ihrem Land. | |
Und Äußerlichkeiten sind dabei gar nicht das Wichtigste. Wobei | |
Äußerlichkeiten hier wichtiger sind als anderswo, weil alles politisch ist. | |
Nicht zuletzt die Frage, wie sich jemand anzieht. | |
Samira Nafisi heißt eigentlich anders. Ihr Name wurde in diesem Text | |
geändert, weil sie noch Dinge sagen wird, für die man in der Islamischen | |
Republik Iran großen Ärger bekommen kann. Wer in ihr Leben eintaucht, | |
erlebt ein Land, das anders ist, als es sich viele im Westen vorstellen. | |
Wer sie und andere jungen Iraner begleitet – wie den Geschäftsmann Ali | |
Asadi und seine Freunde –, versteht, wieso es nur sachte Veränderungen | |
gibt. Wie sich junge Leute freikämpfen, ohne dass ihr Land viel freier | |
wird. | |
Am Freitag wird in Iran der Präsident gewählt, zum zwölften Mal seit 1979. | |
Wie immer wurden die Kandidaten fein ausgewählt. Von mehr als 1.600 Männern | |
und Frauen, die sich einschrieben, ließ der Wächterrat sechs Männer zu. | |
Darunter der jetzige Präsident Hassan Rohani, ein Pragmatiker, dessen | |
größte politische Leistung es ist, das Atomabkommen mit dem Westen | |
ausgehandelt zu haben. Er hat gute Chancen, wiedergewählt zu werden. Aber | |
sicher ist sein Sieg nicht, Wahlentscheidungen fällen die Iraner immer sehr | |
kurzfristig. Und auch Samira Nafisi zweifelt. | |
An diesem Morgen ist sie mit zwei Freundinnen unterwegs. Sie wollen in ein | |
Café, frühstücken. Der Verkehr in Karadsch, einer Millionenstadt, die | |
inzwischen fast mit Teheran zusammengewachsen ist, stockt. Die Frau am | |
Steuer des roten Van tippt auf ihrem Smartphone herum und hält es dann ans | |
Ohr. „Es gibt hier eine Regel, dass man das darf, wenn man weniger als 30 | |
km/h fährt“, sagt sie. Es klingt entschuldigend. | |
## Hunde auf Instagram | |
„Wenn das eine Regel ist, ist das eine schlechte Regel, man sollte sie | |
nicht einhalten.“ Samira Nafisi auf der Rückbank weiß, dass sie nicht die | |
beste Ratgeberin ist, ihren Führerschein hat sie erst im fünften Versuch | |
geschafft. Aber mit Regeln kennt sie sich aus, wie alle hier hat sie | |
gelernt, diese zu umgehen. | |
Und schon sind sie mitten drin in einer Diskussion. Die Frau am Steuer, | |
nennen wir sie Neda, sagt: „Es ist nicht alles schlecht hier, Iran ist ein | |
gutes Land. Klar, wir haben Probleme, wie jedes andere Land auch.“ – | |
„Vielleicht ein paar mehr“, sagt Samira von hinten. – „Jedes Land hat | |
Probleme.“ – „Wir haben 50 Prozent mehr.“ Neda sagt nichts mehr, sie si… | |
zusammen mit Laura Fabienne aus dem Lautsprecher „Je t’aime“, ihre | |
Großmutter ist einst aus Frankreich hergezogen. Samira Nafisi zeigt aus dem | |
Fenster. | |
Eine Baustelle, ein Gebäude mit einer riesigen Kuppel wird errichtet. Keine | |
Moschee, wie man denken könnte, sondern eine Shoppingmall. Wenn es so | |
weitergeht, hat Iran bald mehr Shoppingmalls als Moscheen. Daneben eine | |
Straße mit Restaurants, in denen sich Frauen und Männer verabreden. Am | |
Anfang der Straße eine kleine Polizeistation, die Polizisten sagen nichts. | |
Hinter hohen Mauern ein Park nur für Frauen, aber niemand geht dort | |
spazieren. | |
Wer mit Samira Nafisi und ihren Freundinnen durch die Stadt fährt, bekommt | |
ganz nebenbei eine Einführung in die Widersprüche der iranischen | |
Gesellschaft. | |
An dieser Straßenecke, erzählt sie, hat sie vor Kurzem einen abgemagerten | |
Hund gefunden. Sie hat ein Foto auf Instagram gepostet, gleich kamen | |
Anwohner und haben dem Hund Wasser gebracht und etwas zu fressen. Hunde, | |
das muss man wissen, sind haram, unislamisch. Das soziale Netzwerk | |
Instagram ist – im Gegensatz zu Facebook und Twitter – erlaubt. | |
Weiter geht’s, der Verkehr läuft jetzt flüssiger. Hätten sie nichts anderes | |
zu tun, würden sie bis in den Sonnenuntergang fahren, durch die Straßen, um | |
die Verkehrskreisel. Vielleicht würden sie dann einem Mann in einem anderen | |
Auto, der ihnen gefällt, ihre Telefonnummer auf einem Zettel zustecken. Das | |
heißt, die Älteste der Clique würde nicht mitmachen, weil sie verheiratet | |
ist. Ihr Mann ist Direktor einer Alkoholfabrik, industrieller Alkohol, | |
klar. Alkohol zu trinken ist in Iran verboten. | |
## 20 Liter Rosinenwodka | |
Erst mal frühstücken. Brot mit Tomaten, Schokoladencrêpe, türkischen | |
Kaffee. Und über die Zukunft sprechen. Neda wollte in den USA studieren, | |
aber jetzt doch nicht, wegen Trump, und außerdem will sie bleiben, sie mag | |
Iran. | |
Die drei Frauen gehören der Generation an, die 2009 politisiert wurde, als | |
für kurze Zeit eine grüne Welle der Hoffnung auf Veränderung durchs Land | |
schwappte und junge Leute auf die Straße gingen, um gegen Wahlfälschungen | |
zu protestieren. Und die ziemlich desillusioniert wurde. | |
Ali Asadi gehört auch dieser Generation an. 34 Jahre ist er alt, ein | |
kräftiger Mann mit einer sanften Stimme, er raucht viel, vor allem zu | |
Hause. Auch er und seine Freunde heißen eigentlich anders. Er wohnt in | |
Teheran, das Haus ist ein Betonklotz, aber die Wohnung ist schick. 200 | |
Quadratmeter, im Wohnzimmer ein großer Flachbildfernseher, eingerahmt von | |
zwei Boxentürmen, Sofalandschaft. Ali Asadi sitzt immer am mittleren der | |
drei Holztische, wenn er an einer neuen Idee tüftelt. Geschäfte machen ist | |
aber auch nach dem Atomdeal nicht so leicht, wie er und viele andere | |
dachten. | |
Feierabend. Er schaut auf den 20-Liter-Plastikkanister Rosinenwodka, der in | |
einer Ecke steht. Davon muss er an diesem Abend nichts beisteuern, er weiß, | |
dass die Gastgeberin selbst genug organisiert hat. Heute Abend wird | |
gefeiert. | |
Ali Asadi läuft die Treppe hinunter, ein Stück zu Fuß die Straße entlang, | |
dann hält er ein Taxi an, ein paar Straßen Fahrt. Es ist der Geburtstag | |
einer Freundin, Nazanin, sie trägt ein schwarzes Netzkleid und Ohrringe, er | |
umarmt sie zur Begrüßung. Ein paar Freunde sind in ihre Wohnung gekommen, | |
Alis Bruder ist auch da. Es gibt Schnaps aus einer grünen | |
Kristallglasflasche, verdünnt mit Wasser, in dem Erdbeeren und | |
Melonenstücke schwimmen, Eiswürfel. Dazu Kartoffelchips. | |
## Das Wort für Schmuggel | |
Eine Frau im kurzen rotgemusterten Kleid zeigt ihren Freunden auf dem | |
Smartphone Bilder von einem Ausflug mit ihrem Freund in die Berge. Und dann | |
ein paar von sich mit Hidschab, der islamischen Verschleierung, sie hat | |
sich für eine Fotoausstellung fotografieren lassen. Ganz anders sieht sie | |
aus, man erkennt sie kaum. Wie passt das zusammen, hier im Wohnzimmer die | |
Freiheit feiern und als Model die Moralvorstellungen des Regimes | |
illustrieren? „Das war doch nur zum Spaß“, sagt sie, „ein | |
Freundschaftsdienst.“ | |
2009 waren alle, die hier feiern, auf der Straße. Sie haben gegen die | |
Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad protestiert. Ali Asadi | |
erinnert sich genau, wie er „Wo ist meine Stimme?“ rief, am Anfang im | |
grünen Shirt und mit grünem Armband, das war ihm bald zu gefährlich. Er und | |
seine Freunde erlebten, wie die Demonstrationen niedergeknüppelt wurden. | |
Alle kennen sie welche, die ins Gefängnis kamen. Deswegen sind sie jetzt | |
vorsichtiger. Sie gehen wählen. Aber wen? | |
Ali Asadi erzählt, wie er jede Runde der Atomverhandlungen verfolgte, auf | |
seinem Laptop, auch wenn er am nächsten Tag früh aufstehen musste. Er | |
schaute BBC Persisch, eigentlich ist der Sender blockiert. Er hat gebangt, | |
dass der Deal funktioniert. Dass er unterzeichnet wurde, ist für ihn Grund | |
genug, dass Rohani Präsident bleiben soll. Weil Iran nun die Chance hat, | |
aufzuholen, nach dem Ende der Sanktionen. Schon bei Rohanis Wahl 2013 | |
hoffte er, dass alles besser wird. | |
Als Ahmadinedschad Präsident war, saß Ali Asadi auch oft vor dem Fernseher. | |
Da hatte er Angst, dass etwas Schlimmes passiert, dass Bomben fallen, dass | |
die Iraner bestraft werden, weil sie ihn gewählt haben. | |
Ahmadinedschad wollte noch einmal antreten, durfte aber nicht. Vom | |
Wächterrat wurden andere Hardliner und Konservative zugelassen, die Rohani | |
vorwerfen, er gefährde mit seinem Öffnungskurs die Unabhängigkeit Irans. | |
Auch deshalb, sagt Ali Asadi, müsse man Rohani wählen. „Wenn wir jungen | |
Leute nicht wählen gehen, könnte wieder ein Verrückter gewählt werden und | |
dieses Land zur Hölle machen.“ | |
## 1,7 Kinder pro Frau | |
Ali Asadi hat es auch in Ahmadinedschads Zeit geschafft, das Beste | |
herauszuholen. Er kommt aus einer wohlhabenden Familie, der Vater | |
Regierungsbeamter. Er selbst hat bis vor Kurzem auch in einem Ministerium | |
gearbeitet und nebenbei lange studiert, erst Architektur, dann Philosophie, | |
schließlich BWL. Die Arbeit war okay, ordentlich bezahlt zumal. Aber | |
irgendwann hatte er keine Lust mehr. | |
Er hat angefangen, für einen Freund zu arbeiten, Geldwechsel, | |
Import-Export. Der Freund hat ein Konto in Dubai, das braucht man, um Geld | |
zu transferieren – die Sanktionen. Es gab eine große Nachfrage an iPhones | |
in Iran, an manchen Tagen haben sie mehr als 1.000 Stück importiert. Und an | |
jedem 4 oder 5 US-Dollar verdient. Und wie haben sie die Handys | |
hergebracht? Ali Asadi sucht die englische Übersetzung für das Wort mit | |
seinem Smartphone: Schmuggel. | |
Rohani achte jetzt darauf, dass alles korrekt abläuft, sagt Ali Asadi, dass | |
Steuern gezahlt werden. Das findet er gut. Alle hier im Wohnzimmer wollen | |
Rohani wählen. | |
Aus kleinen Boxen läuft Musik, vom Smartphone abgespielt. Sie rauchen, sie | |
flirten und dann tanzen sie auch, so wie man in jeder Metropole tanzt, nur | |
dass es hier nicht erlaubt ist. Jemand trägt den Geburtstagskuchen herein, | |
eine Schokotorte, auf die eine „34“ gesteckt ist. Nazanin, das | |
Geburtstagskind, ist geschieden, sie war mit einem Fotografen verheiratet, | |
es hat nicht funktioniert. Beruflich kommt sie nicht so recht voran. Sie | |
malt, damit Geld zu verdienen ist schwer. | |
Die Geburtstagsrunde zeigt, wie sehr sich die iranische Gesellschaft | |
verändert hat: Scheidungen sind häufig geworden, auch wenn nichts gegen den | |
Willen des Mannes geht. Männer und Frauen leben zusammen, ohne verheiratet | |
zu sein. Die Geburtenrate ist stark gesunken, gerade noch 1,7 Kinder pro | |
Frau. Mehr Frauen als Männer studieren. | |
## Mussawi, die Hoffnung im Hausarrest | |
Ali Asadi ist sich sicher, dass auch die Mächtigen viele Dinge pragmatisch | |
sehen: Lieber eine Jugend, die visionslos Spaß hat, als eine, die sich | |
auflehnt. | |
Ein Grund könnte die Jugend doch wieder auf die Straße treiben: ihre | |
ökonomische Situation. Wenn die Mieten weiter steigen und die Preise, aber | |
nicht die Gehälter. Wenn das Leben einfach zu teuer wird. Noch jemand einen | |
Drink? | |
Auch Samira Nafisi, die junge Frau aus dem Auto, hat gegen den Wahlbetrug | |
demonstriert. Einmal wurde sie auf dem Unigelände von Milizen gejagt, bis | |
ihr jemand die Haustür aufmachte und sie hineinschlüpfen konnte. 2009 hatte | |
sie für Mir Hossein Mussawi gestimmt, den Reformer und Hoffnungsträger. Und | |
was ist daraus geworden? „Nein, ich werde nicht wählen“, sagt sie. Es | |
ändere sich ja ohnehin nichts. „Der Einzige, den ich wählen würde, wäre | |
Mussawi.“ Sie will keine Kompromisse, sie will einen anderen Iran. Frei und | |
selbstbestimmt. | |
Das Problem: Mussawi steht unter Hausarrest, er darf nicht mehr bei Wahlen | |
antreten. Es darf öffentlich nicht einmal sein Name erwähnt werden. | |
Kürzlich wurde er aus einem Video der Rohani-Kampagne herausgeschnitten. | |
Vom Frühstück haben die Freundinnen längst nicht alles aufgegessen, aber | |
sie müssen los. Wieder ins Auto, Samira Nafisi lässt sich bei ihrer | |
Sprachschule absetzen. Schon mit 15 Jahren hat sie Englisch unterrichtet, | |
gegen den Willen ihres Vaters. Mit einem Stipendium hat sie | |
Elektroingenieurwesen studiert, danach ein Jahr in einer | |
Telekommunikationsfirma gearbeitet. Dort achteten ihre Vorgesetzten darauf, | |
dass sie immer ordentlich verschleiert war. Sie wechselte zu einer Firma | |
für Medizinprodukte, ihr Chef wollte privat mehr, sie nicht; sie kündigte. | |
Von ihrem Freund, einem Fabrikbesitzer, hat sie sich getrennt, weil er | |
nicht wollte, dass sie arbeitet. | |
## Goodbye, have a nice day! | |
Zeit für ihr eigenes Ding. Vor zweieinhalb Jahren hat sie ihre Sprachschule | |
aufgemacht. Bald kam jemand von einer Regierungsbehörde und wollte wissen: | |
„Warum werden Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet? Das geht nicht! | |
Ich muss Ihre Schule schließen.“ Samira Nafisi antwortete: „Lassen Sie mich | |
meinen Job machen, wenn Sie noch einmal kommen, das schwöre ich zu Gott, | |
dann gehe ich in ein anderes Land.“ Der Behördenvertreter ging und kam | |
nicht wieder. So schildert es Samira Nafisi heute. Ihre Sprachschule gibt | |
es noch. | |
Sie befindet sich in einem Bürohaus, außen Spiegelglasfassade, innen | |
Plakate an den Wänden und Whiteboards, Plastikstühle, nur das Nötigste. Die | |
Räume sind gemietet, für die Ausstattung musste sie ihre Ersparnisse | |
nehmen, keine Bank wollte ihr ein Darlehen geben. Gerade ist ein | |
Englischkurs für Kinder zu Ende gegangen, zwei Mütter holen ihre | |
Fünfjährigen ab. Beide fragen sich, in was für einem Land ihre Kinder | |
aufwachsen sollen. | |
„Nicht in diesem“, sagt die eine. Sie will Iran verlassen, deshalb soll ihr | |
Sohn Englisch lernen. „Ich will, dass sich Iran verändert, und zwar zum | |
Besseren“, sagt die andere. Ihr Kind soll Englisch können, wenn Iran dann | |
mehr Kontakt mit der Welt hat. | |
Die erste Mutter sagt: „Ich hasse es hier. Ich will Freiheit, kein | |
Kopftuch.“ Sie zupft daran herum, ihre blondierten Haare schauen ein ganzes | |
Stück heraus. „Ich würde überall hingehen, wo man keinen Hidschab tragen | |
muss.“ Es spricht nichts dafür, dass der Kopftuchzwang in Iran bald fällt. | |
Denn er erinnert die Iraner jeden Tag an die Islamische Revolution. | |
Die andere Mutter: „Ich bin gegen Auswanderung. Du brauchst so viel Kraft, | |
dass du am Ende nicht auf der Straße landest.“ Außerdem kenne sie niemanden | |
im Ausland. | |
## „Ich will nicht warten, bis ich alt bin“ | |
Die beiden werden laut: „In den USA kann man in fünf Jahren mehr erreichen | |
als hier in einhundert. Ich habe fünf Jahre studiert, aber keinen Job.“ – | |
„Ich bin nicht so pessimistisch. Ich will, dass mein Kind hier aufwächst, | |
in unserer Kultur.“ | |
„Religion und Politik sind hier total vermischt. Säkular könnten wir besser | |
leben.“ – „Wir müssen geduldig sein. Vielleicht können unsere Kinder et… | |
ändern, vielleicht unsere Enkel. Jedenfalls nicht wir.“ – „Ich bin jetzt | |
35. Ich will nicht warten, bis ich alt bin. Ich will jetzt leben.“ | |
„Das Problem ist doch“, mischt sich Samira Nafisi in die Diskussion der | |
Mütter ein, „dass wir nicht gemeinsam kämpfen.“ | |
Die Mütter nehmen ihre Kinder an die Hand und verabschieden sich, Samira | |
Nafisi sagt: Goodbye, have a nice day! | |
In ihrer Familie hat sie bereits eine Menge verändert. Ihre Eltern, sagt | |
sie, finden inzwischen okay, was sie macht. Ihr Vater hält es sogar aus, | |
dass sie zwar an Gott glaubt, aber nicht an den Islam. „Der Islam ist unser | |
Problem“, sagt sie. „In zehn Jahren wird es hier keinen Islam mehr geben, | |
nur noch eine Republik.“ | |
## Nicht die richtigen Leute geschmiert | |
Ali Asadi, der Unternehmer, hoffte auf die Zukunft, als das Atomabkommen | |
unterschrieben war. Zeit für Neues! Er hat sich mit Freunden | |
zusammengesetzt, sie haben überlegt, was sie machen wollen. Sie haben den | |
Markt sondiert, Zielgruppen analysiert, ein Ladenlokal gesucht. Und dann in | |
einem Einkaufszentrum ihr Café eröffnet: eine Art iranisches Starbucks, | |
aber mit Lieferservice. „Du musst der Erste oder der Beste sein“, sagt Ali | |
Asadi. „Wir wollten die Ersten sein.“ Und gut sein wollten sie natürlich | |
auch. | |
Sie haben Transportbehälter ausgesucht, die den Kaffee warm halten, und | |
belieferten vor allem Büros. Die Kunden waren zufrieden, sagt Ali Asadi. | |
Aber das Geschäft lief schlecht. | |
Er hat sein Scheitern in einem Ordner abgeheftet, 50.000 Tausend Verlust, | |
aber besser noch, er erklärt alles an Ort und Stelle. Das Café liegt in | |
einem kleinen Einkaufszentrum, oben leuchtet das Logo, darunter glänzt das | |
weiße Rolltor, es bleibt seit ein paar Wochen zu. | |
Vieles kam zusammen. Das Café lag plötzlich in einer Zone, die bei | |
Smogalarm nicht angefahren werden durfte. Und einmal die Woche kam jemand | |
von einer Behörde mit einer neuen Regel, so erzählt es Ali Asadi. Steuern, | |
Hygiene, Preisregulierung, Genehmigung, das richtige Schild. „Der eine sagt | |
das, der andere das Gegenteil“, sagt Ali Asadi. „Manchmal kann man nur | |
sitzen bleiben und schauen, was passiert.“ | |
## Was nützt der Reformer in Gedanken? | |
Vielleicht haben sie am Ende die Lizenz auch nicht bekommen, weil sie nicht | |
die richtigen Leute geschmiert haben. Der finanzielle Verlust scheint ihn | |
nicht sonderlich zu schmerzen, er ist noch an ein paar Firmen beteiligt, | |
die Geld abwerfen. | |
„Das Problem sind die hohen Erwartungen nach dem Atomabkommen“, sagt Ali | |
Asadi. „Alle wollen schnell viel Geld verdienen.“ Die Rahmenbedingungen für | |
Investitionen sind aber immer noch schwierig. Schon allein, weil Iran immer | |
noch nicht an das internationale Bankensystem angeschlossen ist. | |
Ali Asadi hofft, dass Rohani in einer zweiten Amtszeit mehr durchsetzen | |
kann, nicht nur, was die Wirtschaft angeht. Er hatte etwa Frauen „gleiche | |
Chancen, gleichen Schutz und gleiche soziale Rechte“ versprochen. Das hat | |
er nicht gehalten. Ali Asadi nimmt ihm das nicht übel, er habe getan, was | |
er konnte. Man dürfe nie vergessen: Nur ein Teil der Macht wird überhaupt | |
gewählt. Der oberste Führer Ajatollah Chamenei, aber auch das Militär, die | |
Justiz und das Fernsehen sind fern jeder demokratischen Kontrolle. „Das | |
System ist so mächtig, wir können es nicht ändern“, sagt er. | |
Er hat lieber kleine Veränderungen, die dafür aber stabil sind. Langsam, | |
aber sicher. Bloß keine weitere Revolution. „Du weißt nie, was nach einer | |
Revolution passiert. Die Kosten sind einfach zu hoch.“ Die Generation, die | |
die Islamische Revolution nur aus Erzählungen kennt, ist revolutionsmüde. | |
Auch weil sie sehen, was aus dem Arabischen Frühling geworden ist. | |
Ali Asadi hat eine neue Geschäftsidee, er will das Asantkraut anbauen und | |
exportieren, aus ihrem Harz wird Arznei hergestellt. Aber erst mal will er | |
reisen, Sprachen lernen, Neues entdecken, das er dann in Iran umsetzen | |
kann. | |
Samira Nafisi hat sich inzwischen umentschieden. Sie wird doch wählen, | |
Rohani. Was nützt der Reformer in Gedanken? Wenn er unter Arrest zu Hause | |
sitzt und nicht zur Wahl antreten darf? Sie hat ihr Profilfoto bei Telegram | |
geändert, dem Messenger, den in Iran alle nutzen. Unter ihrem Foto steht | |
jetzt: #Rohanibis2021. „Wir müssen verhindern, dass einer der Hardliner | |
gewinnt“, sagt sie. Dem einflussreichen Kleriker Ibrahim Raissi, der auf | |
die Unterstützung der mächtigen Revolutionsgarden zählen kann, werden gute | |
Chancen eingeräumt, nachdem Teherans Bürgermeister Mohammad Bagher Ghalibaf | |
seine Kandidatur zurückgezogen hat. Er dürfte besonders auf dem Land | |
Stimmen holen, wo viele Menschen die Dinge anders sehen als in den großen | |
Städten. | |
Alles in allem sei Iran doch auf einem guten Weg, sagt Samira Nafisi: Es | |
gibt wenig Kriminalität, im Grunde keine dschihadistischen Anschläge. Die | |
Polizei muss man auch nicht mehr so sehr fürchten. Frauen und Männer können | |
heute zusammen im Café sitzen. Und ihr Vater fragt sie manchmal, warum sie | |
gerade eigentlich keinen Freund hat. | |
18 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Erb | |
## TAGS | |
Iran | |
Atomabkommen | |
Teheran | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Iran | |
Frauen | |
Iran | |
Iran | |
Wahlen im Iran | |
Wahlen im Iran | |
Iran | |
Iran | |
Wahlen im Iran | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Musiklabel für iranischen Underground: Alles außer Heimat | |
Das Hamburger Plattenlabel 30M Records vertreibt experimentelle Musik aus | |
dem Iran. Mit „Raaz“ ist gerade das erstes Album erschienen. | |
Shishabar nur für Frauen: Wellness mit Wasserpfeife | |
Wenn Frauen beim Wasserpfeife-Rauchen unter sich bleiben wollen, können sie | |
seit Kurzem ins „Lady Hookah“ in Kreuzberg gehen. | |
Politische Mode im Iran: Der weltliche Hidschab | |
Mutige Designerinnen interpretieren die strengen Kleidervorschriften der | |
Islamischen Republik neu. Das kommt nicht überall gut an. | |
Präsidentschaftswahl im Iran: Rohani gewinnt | |
Wohin steuert der Iran nach der Präsidentenwahl? Nun ist klar: Amtsinhaber | |
Rohani hat sich durchgesetzt. Der Reformer kann seinen Öffnungskurs | |
fortsetzen. | |
Debatte Präsidentschaftswahl im Iran: Jetzt hilft nur noch beten | |
Der Atomdeal hat dem Iran kein Wirtschaftswunder beschert. Nun könnte an | |
diesem Freitag ein Extremist neuer Präsident werden. | |
Präsidentschaftswahl im Iran: Fällt die Tür wieder zu? | |
Präsident Rohani steht unter Beschuss der konservativen Kleriker und | |
Hardliner. Er will die Wahl gewinnen – doch die Wirtschaft schwächelt. | |
Vor der Präsidentschaftswahl im Iran: Die Not der Armen | |
Amtsinhaber Rohani muss sich seinen Konkurrenten stellen. Sie kritisieren | |
die Zustände in den Slums, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit. | |
Präsidentschaftswahl im Iran: Ahmadinedschad darf nicht antreten | |
Der Wächterrat hat die Kandidatur des ehemaligen Staatschefs abgelehnt. | |
Amtsinhaber Hassan Ruhani bekam grünes Licht, sein Sieg ist aber nicht | |
sicher. | |
Präsidentschaftswahl im Iran: Eine Frau an der Staatsspitze? | |
Ex-Ministerin Wahid Dastscherdi könnte kandidieren. Obwohl sie | |
erzkonservativ und frauenfeindlich ist, wäre das eine Sensation. |