# taz.de -- „Datenspenden“ für die Forschung: Einwilligung soll wegfallen | |
> Solange Patient*innen nicht aktiv widersprechen, sollen ihre | |
> Behandlungsdaten Forscher*innen zur Verfügung stehen. Bislang ist | |
> Zustimmung nötig. | |
Bild: Blutprobenanalyse einer Person in Behandlung kann viel über sie verraten | |
HAMBURG taz | Wer schweigt, soll zugestimmt haben – diese eigenwillige | |
Logik, genannt „Widerspruchslösung“, scheint für PolitikerInnen und | |
wissenschaftliche BeraterInnen zunehmend attraktiv zu werden. | |
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der SPD-Medizinexperte Karl | |
Lauterbach hätten solch eine Regelung gern [1][für die | |
Transplantationsmedizin] eingeführt. Ihre Idee: Menschen, die ihre | |
Bereitschaft zur Organentnahme zu Lebzeiten nicht geäußert haben, gelten im | |
Fall des „[2][Hirntods“] automatisch als mögliche SpenderInnen. Der | |
entsprechende Gesetzentwurf fand im Januar 2020 aber keine Mehrheit im | |
Bundestag. | |
Nun empfehlen ausgewählte Fachleute ein ähnlich konstruiertes Modell – und | |
zwar im Interesse medizinischer Forschung. Darauf aufmerksam machte die | |
Universität Kiel. Ihre Pressemitteilung vom 14. August, über die kaum | |
berichtet wurde, erklärt: „In einem [3][Gutachten für das | |
Bundesgesundheitsministerium (pdf-Datei)] sprechen sich Kieler | |
Wissenschaftler für ein Widerspruchsmodell aus.“ | |
Klingt eher spröde, ist aber inhaltlich brisant. Zur Disposition stellen | |
diese Fachleute nämlich das grundlegende Rechtsprinzip der „informierten | |
Einwilligung“ – das ja, zumindest formal, sicherstellt, dass PatientInnen | |
nach seriöser Aufklärung freiwillig entscheiden können, ob sie ihre | |
Behandlungsdaten und molekulargenetisch auswertbare Körpersubstanzen, etwa | |
Proben von Blut, Urin und Gewebe, für bestimmte Forschungsprojekte zur | |
Verfügung stellen. Und ob sie damit einverstanden sind, dass ihre Daten auf | |
Vorrat gespeichert und gesammelt werden. | |
Eine „Alternative zum derzeit praktizierten Einwilligungsmodell“ haben sich | |
die Kieler Professoren Sebastian Graf von Kielmansegg (Jura) und Michael | |
Krawczak (Medizininformatik) ausgedacht; die Pressestelle ihrer Universität | |
bringt den Vorschlag so auf den Punkt: „Bei dieser Variante wird die | |
Zustimmung der Patientinnen und Patienten zur Sekundärnutzung ihrer | |
Versorgungsdaten für die medizinische Forschung vorausgesetzt, es sei denn, | |
sie wird explizit verweigert.“ Daten, die bei der Behandlung in Unikliniken | |
entstehen, sollten ungefragt auch für medizinische Forschung zur Verfügung | |
gestellt werden – so lange, bis die „Datenspender“ der Nutzung im | |
Nachhinein ausdrücklich widersprechen. | |
Die beiden Experten finden ihr Modell zielführender als das neue, von der | |
Medizininformatik-Initiative (MII) angestoßene, fragwürdige Vorgehen, alle | |
PatientInnen kurz nach der Aufnahme im Krankenhaus [4][um die Einwilligung | |
in die „Datenspende“ für unbekannte Forschungsprojekte zu bitten.] | |
## Ein Grundgebot der Autonomie | |
Medizinrechtler Kielmansegg hält das vor einer Untersuchung oder Operation | |
für unpassend: „Sie müssen ohnehin viele Dokumente unterschreiben, und dann | |
bekommen sie auch noch ein Formular zum Thema Forschung. Das ist eine | |
beträchtliche Belastung.“ In so einer Situation liege es nahe, „dass das | |
Formular entweder blind oder gar nicht unterschrieben wird“. Vor diesem | |
Hintergrund plädiert der Jurist dafür, den Vorgang der „Datenspende“ | |
zeitlich und räumlich von einer medizinischen Behandlung zu entkoppeln. | |
Kielmansegg und der als Mitbegründer der [5][Kieler Biomaterialbank PopGen] | |
in Fachkreisen bekannte und vernetzte Medizininformatiker Krawczak meinen, | |
dass auch ihr Widerspruchsmodell das „Grundgebot der Autonomie“ | |
aufrechterhalten würde, sofern PatientInnen ebenso viele Informationen | |
bekommen würden wie im Einwilligungsmodell. | |
Die beiden vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) mitbeauftragten | |
„Datenspende“-Gutachter sind zuversichtlich, dass der Gesetzgeber | |
perspektivisch eine Regelung nach Muster ihres Widerspruchsmodells schaffen | |
könnte. | |
Zu erkennen ist dies noch nicht. Aber dass Minister Spahn das | |
Auftragsgutachten, wofür das BMG rund 113.000 Euro bewilligt hatte, | |
inzwischen auch auf der BMG-Webseite hat veröffentlichen lassen, sei „schon | |
mal ein ermutigender Schritt“, denken Kielmansegg und Krawczak, und sie | |
fügen hinzu: „Das wäre wahrscheinlich nicht passiert, wenn es nicht auch | |
grundsätzlich die Bereitschaft gäbe, das Thema Datenspende politisch | |
aufzugreifen.“ | |
Bekannt ist, dass Spahn wiederholt an die BürgerInnen appelliert hat, | |
Gesundheitsdaten für Zwecke der Forschung zur Verfügung zu stellen. Die | |
Option einer „Datenspende“ brachte er auch ins Gespräch, als er im April | |
2018 – kurz nach Antritt seines Ministeramts – auf der IT-Branchenmesse | |
conhIT in Berlin seine Pläne zum Ausbau der Digitalisierung des | |
Gesundheitswesens vorstellte. Eine seiner zentralen Aussagen damals: „Im | |
Kern geht es darum, dass wir die Daten, die wir bereits haben, nutzbar | |
machen.“ Und während der conhIT-Messe behauptete Spahn auch: „Übertriebene | |
Datenschutzanforderungen verunmöglichen an bestimmten Stellen eine bessere | |
Versorgung.“ | |
Professor Krawczak ist auch Vorsitzender der „Technologie- und | |
Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V.“, kurz | |
TMF. Ziel des vom Bundesforschungsministerium finanziell geförderten | |
Vereins ist es unter anderem, Management und Sicherung der Qualität | |
„medizinischer Forschung voranzubringen, beispielsweise im Bereich | |
klinischer Studien und im Biobanking“. | |
Am 26. August erschien [6][auf der TMF-Webseite ein ausführliches | |
„Interview“,] dass TMF mit den fünf Autoren des Datenspende-Gutachtens | |
gleichzeitig geführt hat. Die Gutachtergruppe um Krawczak und Kielmansegg | |
beantwortete alle Fragen gemeinsam. | |
Zur Frage des TMF, ob von den per „Widerspruchslösung“ erlangten Daten nur | |
die universitäre Forschung profitieren würde oder ob diese auch von | |
Pharmaunternehmen und Start-ups verarbeitet werden könnten, erklärt die | |
Gutachtergruppe unter anderem: „Die Datenspende sollte nicht an einzelne | |
Projekte, Einrichtungen oder gar an einzelne Forscher gebunden, sondern | |
grundsätzlich an die medizinische Forschung insgesamt gerichtet sein.“ | |
Das „Beispiel der häufig aus dem akademischen Umfeld gegründeten Start-ups�… | |
verdeutliche, „dass wir andernfalls die Übertragung von | |
Forschungsergebnissen in konkrete Innovationen verhindern“, sagen die fünf | |
Gutachter. Bei „Kooperation zwischen öffentlicher Grundlagenforschung und | |
privatwirtschaftlicher innovativer Produktentwicklung“ solle es etwa darum | |
gehen, Impfstoffe und personalisierte Therapien „in kurzer Zeit“ zu | |
entwickeln. | |
Notwendig sei zudem eine „Kultur des Datenteilens, um das Versprechen der | |
datengetriebenen medizinischen Innovation auch wirklich einlösen zu | |
können“. Voraussetzung dafür sei aber ein „gesellschaftlicher Diskurs“. | |
Dieser müsse nach Meinung der fünf Gutachter nicht nur mit „Stakeholdern | |
aus Wissenschaft und Industrie“ stattfinden. Auch die betroffenen | |
PatientInnen müssten „ihre Ansprüche an Transparenz und Effektivität der | |
geplanten Datennutzung einbringen können“. | |
Ende Oktober veröffentlichte das Life-Sciences-Magazin transkript einen | |
Namensbeitrag von Professor Krawczak. Unter der Überschrift „Wichtiger denn | |
je: Datenspende für die medizinische Forschung“ räumt der | |
Medizininformatiker zwar ein, dass der Begriff der „Spende“ für Daten | |
„zweifellos problematisch“ sei. „Die positive Konnotation des Begriffs“, | |
schreibt Krawczak, „spricht jedoch dafür, ihn auch für das Überlassen | |
medizinischer Daten an die Forschung zu verwenden – nicht zuletzt, weil er | |
die Anerkennung des Spenders für das Anliegen des Empfängers der Spende | |
(also Forschung) zum Ausdruck bringt.“ Empirische Untersuchungen legen laut | |
Krawczak zudem nahe, „dass die Mehrzahl der Patienten in Deutschland bereit | |
ist, solche Daten für die medizinische Forschung zur Verfügung zu stellen – | |
gegebenenfalls auch ohne explizite Einwilligung“. | |
14 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Widerspruchsloesung-fuer-Organspender/!5536320 | |
[2] /Stellungnahme-des-Deutschen-Ethikrates/!5018726 | |
[3] http://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikatione… | |
[4] /Nutzung-von-Gesundheitsdaten/!5693589 | |
[5] /Mangelnder-Datenschutz-in-Biobanken/!5158846 | |
[6] https://www.tmf-ev.de/News/articleType/ArticleView/articleId/4567.aspx | |
## AUTOREN | |
Klaus-Peter Görlitzer | |
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