| # taz.de -- Vergleich von Patientendaten: Eine Biobank für die Forschung | |
| > Um Krankheiten wie Krebs und Diabetes zu untersuchen starten Forscher das | |
| > bisher größte Biobankprojekt in Deutschland - 200.000 Menschen sollen | |
| > erfasst werden. | |
| Bild: Ein DNA-Sequenz-Analyser, zur Entschlüsselung des genetischen Codes. | |
| BERLIN taz | Rund 200.000 Menschen sollen als Probanden für die | |
| "Helmholtz-Kohorte" (HK) gewonnen werden, deren Vorbereitung dieser Tage | |
| begonnen hat. Über einen Zeitraum von mindestens zwanzig Jahren soll unter | |
| der Leitung des Münchener Helmholtz-Zentrums und des Deutschen | |
| Krebsforschungszentrums Heidelberg der Gesundheitszustand dieser - | |
| zahlenmäßig der Bevölkerung einer deutschen Großstadt entsprechenden - | |
| Gruppe beobachtet werden. | |
| Geplant ist, nach einer dreijährigen Vorbereitungsphase ab 2012 in | |
| ausgewählten Regionen der Bundesrepublik nicht nur Blut- und Urinproben | |
| gesunder Freiwilliger zu sammeln, sondern auch Daten zu deren Lebenswandel | |
| und sozialem Hintergrund zu erheben. | |
| Die Kosten der ersten zehn Jahre des Projektes werden auf 100 bis 200 | |
| Millionen Euro geschätzt, eine Finanzierung aus Steuergeldern wird | |
| erwartet. Die Anschubfinanzierung in Höhe von 20 Millionen Euro kommt von | |
| der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren. Das Projekt soll | |
| Erkenntnisse über "chronische Erkrankungsrisiken" liefern, und zwar "in | |
| Bezug auf den Lebensstil, psychosoziale Faktoren, umweltbedingte | |
| Belastungen und Stoffwechselmarker - alleine oder im Zusammenspiel mit | |
| individuellen genetischen Risikofaktoren". | |
| Anvisiert sind dabei so unterschiedliche Krankheiten wie Krebs, Diabetes, | |
| neurodegenerative, rheumatoide und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die | |
| einzelnen Forschungsprojekte können konkret aber erst beginnen, wenn auch | |
| die ersten Menschen erkranken. "Das ist die Idee einer prospektiven | |
| Kohorte", erklärt Koordinator Rudolf Kaaks vom Deutschen | |
| Krebsforschungszentrum in Heidelberg. "Wir beginnen mit Gesunden, um später | |
| Vergleiche machen zu können zwischen denjenigen, die Krankheiten | |
| entwickeln, und denjenigen, die gesund geblieben sind." Deshalb seien auch | |
| viele Teilnehmer notwendig. "Es wird ja nicht jeder krank", erklärt der | |
| Initiator der HK, Erich Wichmann vom Helmholtz-Forschungszentrum für | |
| Gesundheit und Umwelt in München. "Um valide Aussagen machen zu können, | |
| brauche ich eine ausreichend große Zahl." | |
| Der wissenschaftliche Wert dieser Methode allerdings ist umstritten. | |
| Kritiker stellen vor allem die Brauchbarkeit der Daten in Frage: Sie werden | |
| nach unspezifischen Kriterien erhoben, Hypothesen fehlen zum Zeitpunkt der | |
| Datensammlung. Um komplexe, genetisch-epidemiologische Fragestellungen auf | |
| so unterschiedlichen Krankheitsfeldern bearbeiten zu können, seien | |
| spezifische Daten notwendig, so das Argument. Diese Kritik ist nicht von | |
| der Hand zu weisen: Von dem in Estland vor acht Jahren gestarteten | |
| Biobank-Großprojekt beispielsweise sind heute ein paar tausend Proben und | |
| Datensätze übrig, mit denen niemand etwas anfängt. | |
| Eine Vielzahl ungenutzter Kapazitäten gibt es auch in der Bundesrepublik. | |
| "Mittlerweile legt praktisch jedes Forschungsprojekt, das sich mit der | |
| Identifizierung von genetischen Risikofaktoren oder Fragen der genetischen | |
| Epidemiologie befasst, seine eigene Biobank an", so Regine Kollek, | |
| Professorin am Hamburger Forschungsschwerpunkt Biotechnik, Gesellschaft und | |
| Umwelt (Biogum), in einer Stellungnahme zum Entwurf der Bundesregierung für | |
| ein Gendiagnostikgesetz. Der Gesetzesentwurf, der voraussichtlich Ende des | |
| Monats in die zweite und dritte Lesung geht, soll den Umgang mit DNA-Proben | |
| und genetischer Diagnostik regeln und den Schutz der Persönlichkeitsrechte | |
| gewährleisten. Die Forschung jedoch fällt ausdrücklich nicht in den | |
| Regelungsbereich des Gesetzes. | |
| Das sei angesichts der "bemerkenswerten quantitativen und qualitativen | |
| Ausweitung" insbesondere der Biobankforschung in den letzten Jahren "schwer | |
| nachvollziehbar", so Ethikratsmitglied Kollek. Eine Regelung des Umgangs | |
| mit DNA-Proben in diesem Bereich sei im Gegenteil "zwingend erforderlich", | |
| weil Grundprinzipien des Datenschutzes hier in der Regel nicht greifen. So | |
| seien Datensätze mit zunehmendem Informationsgehalt "prinzipiell nicht mehr | |
| anonymisierbar". Häufig könnten weder eine Zweckbindung erhobener Daten | |
| noch die Möglichkeit des Widerrufs gewährleistet werden. Die Dezentralität | |
| der Speicherung, Grundprinzip des praktischen Datenschutzes, ist gar ein | |
| Hindernis für die mit Biobanken verfolgten Forschungsansätze; geeignet sind | |
| dafür vielmehr zentrale Großsammlungen wie die HK. | |
| Eine Reihe von Verbänden und Institutionen hält Vorschriften für den Umgang | |
| mit DNA-Proben in der Forschung daher für unerlässlich, darunter der | |
| Bundesverband der Verbraucherzentralen, die Lebenshilfe und der | |
| Bundesdatenschutzbeauftragte. Auch der Bundesrat forderte die | |
| Bundesregierung in seiner Stellungnahme zum geplanten Gentestgesetz mit | |
| Nachdruck auf, ihre Position zu revidieren. Die aber sieht dafür "derzeit | |
| keine Notwendigkeit". In ihrer unangemessen kurzen Antwort auf die Kritik | |
| des Bundesrates spricht sie von unklaren Auswirkungen gesetzlicher | |
| Regelungen auf die "Durchführung von Forschungsarbeiten" und wiederholt, | |
| was auch die pharmazeutische Industrie als Argument gegen zu viel | |
| Persönlichkeitsschutz ins Feld führt: Es ginge um die "allgemeine | |
| Erforschung von Ursachenfaktoren menschlicher Eigenschaften" und nicht um | |
| "konkrete Maßnahmen gegenüber einzelnen Personen". Zudem gewährleisteten | |
| die Datenschutzgesetze "einen umfangreichen Schutz vor möglichen Gefahren" | |
| in der genetischen Forschung. | |
| Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar ist da anderer Ansicht. Er | |
| verweist darauf, dass die genannten Gesetze nur allgemeine Vorschriften | |
| enthalten. Anforderungen an den Schutz der Persönlichkeitsrechte im | |
| Zusammenhang mit Biobanken fehlen sogar gänzlich. Und was hinzukommt: | |
| Forschungsdaten genießen hierzulande keinen Schutz vor staatlicher | |
| Einsichtnahme. Dass daran aber Interesse besteht, beweist zurzeit Schweden: | |
| Das dortige Biobankgesetz wird gerade geändert, um die vorhandenen | |
| Datensätze polizeilichen Ermittlungen zugänglich zu machen - immerhin waren | |
| sie das bisher ausdrücklich nicht. | |
| Erich Wichmann von der HK verweist darauf, dass erhobene Daten durch die | |
| ärztliche Schweigepflicht geschützt sind. Die allerdings findet bekanntlich | |
| ihre Grenzen im neuen BKA-Gesetz, nach dem sie "bei konkreter Gefahr für | |
| eine terroristische Straftat" außer Kraft gesetzt werden kann. Auch scheint | |
| dem Initiator des Projektes nicht klar zu sein, dass datenschutzrechtlich | |
| ein grundsätzlicher Unterschied besteht zwischen einer Patientenakte und | |
| den Informationen, die in die Datenbanken der Forscher einfließen: | |
| Forschungsdaten fallen grundsätzlich nicht unter die ärztliche | |
| Schweigepflicht. | |
| 19 Feb 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Uta Wagenmann | |
| ## TAGS | |
| Forschung | |
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