# taz.de -- Gemeinützige Gen-Datenbank: Creative Commons für Gene | |
> Ein Open-Source-Projekt will die Genomforschung revolutionieren. Mit | |
> einer „übertragbaren Einverständniserklärung“ sollen genetische Daten … | |
> Allgemeingut überführt werden. | |
Bild: Eingelagerte Bioproben in einer Sammlung im britischen Manchester. | |
BERLIN taz | Der ehemalige Pharmaforscher Stephen Friend will die | |
medizinische Genomformung revolutionieren. Er setzt dabei nicht auf neue | |
und schnellere DNA-Sequenziermaschinen oder ähnliche technische | |
Errungenschaften. Dem Biologen geht es um die Struktur und den freien | |
Zugang zu möglichst großen Biodatenbanken, vollgefüllt mit genetischen | |
Genomsequenzen und medizinischen Krankenakten, sowie dem freien Austausch | |
der damit gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Friend will ähnlich | |
wie im Software-Bereich eine „open biology“-Bewegung kreieren. | |
Der Kernpunkt für sein open-biology-Projekt ist eine gemeinnützige | |
Biodatenbank. Jeder Mann und jede Frau sind aufgerufen ihre genetischen | |
Daten und ihre Krankengeschichte für Forschungsprojekte zur „Verfügung“ zu | |
stellen. Quasi als Spende an die Allgemeinheit: Denn grundsätzlich soll das | |
ganze Vorhaben als Non-Profit-Projekt laufen. | |
Forscher bekommen freien Zugriff auf die Datensammlung, sie müssen vorab | |
jedoch zusichern, dass sie ihre daraus gewonnenen Forschungsergebnisse als | |
„open Source“ auch anderen zur weiteren Nutzung unentgeltlich zur Verfügung | |
stellen, heißt es in einem Bericht im [1][Economist]. | |
## Die Allgemeinheit soll profitieren | |
Letztendlich, so das Prinzip dieses Projekts, sollen die individuellen Gen- | |
und Gesundheitsdaten mit der vom Spender abgegebenen „übertragbaren | |
Einwilligungserklärung“ in ein Gemeingut überführt werden - ähnlich der im | |
Internet immer beliebter werdenden „[2][creative commons]“-Lizenzen. | |
„Datenspender“, die sich an dem Projekt beteiligen, können somit sicher | |
sein, dass nicht ein einzelnes Forschungsinstitut, eine Klinik oder eine | |
Pharmafirma von seinen Daten profitiert, sondern die Allgemeinheit. | |
Vor drei Jahren schon gründete Stephen Friend die gemeinützige Organisation | |
[3][Sage Bionetworks] mit Sitz in Seattle, im US-Bundesstaat Washington. | |
Friend, der auch schon bei seinem früheren Arbeitgeber, dem | |
US-Pharmakonzern Merck, an Genomdatenbanken arbeitete, will mit seinem | |
neuen Projekt die medizinsche Forschung beschleunigen. Er weiß, wie wichtig | |
bei der Erfoschung zahlreicher „Volkskrankheiten“ umfangfreiche | |
Datensammlungen sind, um neue Erkenntnisse über Entstehung, Diagnostik oder | |
gar Therapien zu gewinnen. | |
Sein Werben um Teilnehmer zielt somit auch ausdrücklich auf Pharmafirmen. | |
Sie können bei der Entwicklung von neuen Medikamenten davon profitieren, | |
dass sie Zugang zu den umfangreichen Gen- und Krankendaten bekommt. Das | |
allein würde den Nachteil, dass sie die Ergebnisse auch zwingend | |
veröffentlichen müssen, wieder ausgleichen, heißt es in einer | |
Projekterklärung. | |
Pharmaunternehmen sollen aber auch etwas in das Projekt hinein bringen. Das | |
könnten zum Beispiel die Daten von Kontrollgruppen sein, die für klinische | |
Tests gesammelt wurden. Die Daten der Probanden aus den klinischen Studien | |
werden die Pharmaunternehmen nicht zur Verfügung stellen, das weiß auch | |
Friend. Die Konkurrenz könnte dann schlussfolgern, welche Medikamente in | |
der Pipeline sind. | |
Nicht aus der Projektbeschreibung hervor geht jedoch, was zum Beispiel bei | |
der Patentierung von neuen Forschungsergebnissen oder Medikamenten zu | |
beachten ist. Ist die Patentierung hier überhaupt erlaubt? Und wer bekommt | |
später die Lizenzgebühren? | |
## Daten werden pseudoanonymisiert | |
Ein ganz anders Problem ist die Datensicherheit. Die Gendaten und | |
Patientenakten sollen zwar anonymisiert werden, besser gesagt | |
pseudoanonymisiert. Denn grundsätzlich lassen sich genetische Daten nicht | |
gänzlich anonymisieren. Denn allein aufgrund der Gensequenzen kann mit | |
entsprechenden Aufwand häufig der dazu gehörige Mensch identifiziert | |
werden. Bei der Polizei gehört das mittlerweile ja schon zum Alltag. | |
Die Gefahr, dass diese Daten zum Beispiel von einem Arbeitgeber oder einer | |
Versicherungsgesellschaft verbotenerweise genutzt werden, ist deshalb auch | |
nicht nicht ganz von der Hand zu weisen. Zugesichert wird den | |
„Datenspendern“ auch, dass sie jederzeit aus dem Projekt wieder aussteigen | |
können, die eingespeisten Daten werden dann vernichtet. Sage Bionetworks | |
selbst sagt aber auch sehr deutlich, dass mit dem Löschen der Daten nicht | |
gewährleistet werden kann, dass sie auch komplett vernichtet worden sind; | |
denn irgendwo auf irgendeinem Server kann noch einen Kopie vorhanden sein. | |
Im Mai diesen Jahres soll das Projekt anlaufen. Obwohl es mittlerweile in | |
Amsterdam auch schon einen [4][europäischen Ableger von Sage Bionetworks] | |
gibt, sollen erst einmal in den USA Freiwillige geworben werden - 25.000 | |
hofft Stephen Friend im ersten Jahr gewinnen zu können. Später soll die | |
Datenbank dann 10 oder auch 100 mal so groß werden. | |
30 Apr 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.economist.com/node/21553418?frsc=dg%7Ca | |
[2] http://de.creativecommons.org/ | |
[3] http://sagebase.org/ | |
[4] http://sagebase.eu/ | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Löhr | |
## TAGS | |
Datenschutz | |
Schwerpunkt Überwachung | |
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