# taz.de -- Debatte Commons: Die gemeinsame Alternative | |
> Die gemeinschaftliche Nutzung von Commons ist nicht die Lösung für alle | |
> Probleme. Doch sie eröffnen neue Wege in eine Welt jenseits von | |
> Marktlogik und Profitzwang. | |
Der Begriff Commons wird von verschiedenen Menschen mit unterschiedlichen | |
Bedeutungen gefüllt und für unterschiedliche Ziele eingesetzt. Die | |
Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat Commons vor allem als Institution zur | |
gemeinsamen Nutzung begrenzter natürlicher Ressourcen beschrieben, dabei | |
jedoch den Argumentationsrahmen der liberalen Ökonomie nicht verlassen. | |
Trotzdem ist ihre Arbeit in Zeiten von Klimawandel und „Peak Everything“ | |
von Bedeutung, weil sie durch neue Perspektiven „jenseits von Markt und | |
Staat“ eine Vielzahl an Möglichkeiten eröffnet, wie Ressourcen nachhaltig | |
genutzt und dabei die Bedürfnisse der Menschen besser befriedigt werden | |
können. Das System selbst wird dabei allerdings nicht in Frage gestellt. | |
Die Weltbank setzt inzwischen auf Commons und der britische Premierminister | |
David Cameron beruft sich auf die Kraft der Gemeinschaft, um Kürzungen des | |
Sozialbudgets zu legitimieren. Das Konzept „nachhaltiger Regionen“ setzt | |
ebenso auf das Engagement lokaler Gemeinschaften, weil die Staaten nicht | |
mehr in der Lage sind, die durch den ständigen Wettbewerbsdruck des | |
globalisierten Kapitalismus entstehenden sozialen Verwerfungen zu | |
kompensieren. Sind Commons also das Allheilmittel, das den Kapitalismus vor | |
sich selbst rettet? | |
Der Blick auf Commons als Institutionen blendet gesellschaftliche | |
Machtverhältnisse ebenso aus wie die Strategie hegemonialer Macht, Ideen, | |
Begriffe und Konzepte, die aus den sozialen Bewegungen kommen, für die | |
Erreichung eigener Ziele zu vereinnahmen. Commons sind aber nicht nur | |
Institutionen zur Ressourcenverwaltung, sondern spielen auch eine wichtige | |
Rolle für soziale Kämpfe um die Verschiebung von Machtverhältnissen. | |
Deshalb lohnte es sich, die Vielschichtigkeit des Begriffes auszuloten. | |
## Schutz vor den Krisen | |
Commons sind eine Art und Weise Gesellschaft zu reproduzieren, die der | |
Marktlogik entgegensteht, Privateigentum, Profit und Konkurrenz in Frage | |
stellt und daher auf eine zukünftige Gesellschaftsform jenseits des | |
Kapitalismus verweist. Da das kapitalistische System nicht in der Lage ist, | |
sich selbst zu erhalten, braucht es notwendigerweise solche Bereiche, vor | |
allem in Krisensituationen. Dehnen sich diese jedoch zu sehr aus, werden | |
sie zur Bedrohung, weil sie den Beteiligten die Macht geben, die Zumutungen | |
von Lohnarbeit und Marktkonkurrenz zurückzuweisen. | |
Commons sind also auch Räume der kollektiven Selbstermächtigung. Das galt | |
für das gemeinsam genutzte Weideland im Feudalismus ebenso wie für das | |
Internet heute. Aus diesem Grund sind Commons immer ambivalent – sie können | |
den Beteiligten die Kontrolle über ihre Lebensumstände zurückgeben, sie | |
können aber auch vom Kapital instrumentalisiert oder mit repressiven | |
Mitteln zurückgedrängt werden. | |
Kämpfe um Commons sind Kämpfe um Autonomie und Menschenwürde und richten | |
sich gegen jede Art von Herrschaftsverhältnissen. Diese Kämpfe sind selbst | |
schon eine Form des Commoning – ein Klimacamp, ein G-8-Protest, die | |
Widerstände gegen den Castor-Transport und die Zeltstädte der | |
Occupy-Bewegung, sie alle stellen Praxen des Commoning dar, in denen | |
alternative und widerständige Verhaltens- und Subjektivierungsweisen | |
entwickelt und erprobt werden können und die Werte und soziale Beziehungen | |
hervorbringen, die sich von denen kapitalistischer Gesellschaften | |
grundlegend unterscheiden. | |
## Meist im überschaubaren Rahmen | |
Bei der Suchen nach Alternativen als Antwort auf die aktuelle | |
Krisensituation entstehen nun zahlreiche Initiativen, die begrenzte | |
Bereiche ihres Lebens nach dieser Logik organisieren, was nahezu immer – | |
Internetcommunities ausgenommen – im überschaubaren Rahmen persönlicher | |
Beziehungen geschieht. Diese Praktiken als Blaupause für die | |
Neuorganisation von Gesellschaft zu sehen wäre freilich naiv. | |
Aber die Veränderung der Machtverhältnisse, die durch diese Praktiken | |
erfolgt, die Erfahrungen, die dabei gemacht werden, die Werte und | |
Beziehungen, die dabei entstehen, sind die Voraussetzung dafür, dass auf | |
gesellschaftlicher und globaler Ebene neue Institutionen und neue | |
Organisationsformen entwickelt werden können, die auf der Logik der Commons | |
aufbauen. | |
Das „jenseits von Markt und Staat“ bedeutet nicht, dass Markt und Staat | |
keine Rolle mehr spielen dürfen und alles von allen selbst organisiert | |
werden muss. Das Besondere der Commons-Idee ist ein Perspektivenwechsel. | |
Anstatt nach Wachstumschancen und Profitmöglichkeiten zu fragen, geht die | |
Commonsperspektive von den Bedürfnissen der Menschen und den vorhandenen | |
natürlichen Ressourcen aus und fragt, wie mit diesen Ressourcen jene | |
Bedürfnisse am besten befriedigt werden können und wie möglichst alle der | |
Betroffenen darüber mitentscheiden können | |
## Der Staat als Treuhänder, Verwalter oder Mediator | |
In den Institutionen, die sich dann entwickeln, kann der Staat | |
unterschiedliche Rollen einnehmen. Er kann Treuhänder, Verwalter oder | |
Mediator sein. Die Entscheidungen darüber und über die Modalitäten der | |
Produktion und Verteilung müssen jedoch von allen BürgerInnen | |
gleichberechtigt getroffen werden. Was die jeweils beste Organisationsform | |
ist, hängt von der Situation und von der Ressource ab. | |
So mag zum Beispiel im ländlichen Raum eine regionale Energiegenossenschaft | |
eine gute Lösung sein, während es in einer Großstadt sinnvoller sein kann, | |
wenn die Energieversorgung im Eigentum der Stadt bleibt, wie das der | |
Berliner Energietisch vorschlägt. Es kommt nicht auf die Rechtsform an, | |
sondern darauf, wer letztlich das Sagen hat und ob alle Zugang zu | |
leistbarer Energie haben. | |
Wie diese Institutionen ausschauen und ob sie den Menschen die Kontrolle | |
über ihre Lebensumstände zurückgeben, ob sie der Bedürfnisbefriedigung oder | |
nur der Befriedung von Widerständen dienen, das kann nur in jedem | |
Einzelfall und nur von den Beteiligten selbst entschieden werden. Hier eine | |
Art Gebrauchsanweisung zu verlangen hieße, die Idee der Commons | |
misszuverstehen. Commons sind nicht die Lösung, sondern der | |
Perspektivenwechsel, der neue Lösungen möglich macht. | |
30 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Kratzwald | |
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