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# taz.de -- 20 Jahre Patent auf Tiere: Die Harvard-Maus
> 20 Jahre ist es her, als die Krebs-Maus patentiert wurde. Sie brachte der
> Forschung wenig, ist aber fast so berühmt wie das Klon-Schaf Dolly.
Bild: Die Krebs-Maus auf dem Gipfel der Forschung. Zwanzig Jahre ist sie nun sc…
MÜNCHEN dpa | Kann ein Tier eine Erfindung sein? Lange zögerten die
europäischen Patentprüfer, ehe sie vor 20 Jahren erstmals ein Patent auf
ein Tier erteilten: die Harvard-Krebsmaus. Sie erkrankt wegen eines
veränderten Gens an Krebs und sollte der Forschung dienen.
Nur das Klonschaf Dolly war als Versuchstier berühmter: Vor 20 Jahren wurde
die Harvard-Krebsmaus als erstes Tier in Europa patentiert. Forscher der
Harvard-Universität hatten der Maus menschliche Brustkrebsgene übertragen.
An dem Tier sollten neue Therapiemethoden getestet werden. Der Erfolg für
die Forschung blieb allerdings gering. Die Entscheidung des Europäischen
Patentamts (EPA) ebnete aber den Weg für eine ganze Welle von
Patentanmeldungen auf Tiere. „Das war ein Türöffner für all die Patente,
die jetzt erteilt werden“, sagt der Greenpeace-Berater Christoph Then.
Tausende Patente auf Tiere wurden den Gegnern zufolge seitdem beim EPA
beantragt, gut Tausend wurden erteilt - auf ganze Tiere, Zellen oder Gene.
Auch auf menschliches Erbgut gibt es Patente, ebenso auf adulte Stammzellen
oder Humaninsulin. „Kein Technologie ist a priori vom Patentschutz
ausgenommen“, sagt EPA-Sprecher Rainer Osterwalder. Ethische Grenzen gibt
es fast nur beim Menschen: Das Klonen etwa oder die Geschlechtsauswahl bei
der Zeugung sind beim Menschen verboten.
Patente auf Tiere und Pflanzen - wie die Schrumpel-Tomate für die
Ketchup-Produktion oder extra-gesunden Brokkoli - sorgen immer wieder für
Proteste. Umweltverbände und Tierschützer, christliche Gruppen und
Entwicklungshilfeorganisationen, Züchter und Bauern warnen vor einem
Monopol der Patentinhaber und steigender Marktmacht großer Konzerne.
Bauern gerieten in Abhängigkeit, mittelständische Züchter würden vom Markt
gedrängt, Patentgebühren könnten Lebensmittelpreise auch in der Dritten
Welt hochtreiben. Laut Ruth Tippe von „Kein Patent auf Leben“ sind viele
Nahrungspflanzen von Gemüse über Weizen und Reis bis Gerste patentiert -
„alles, was tägliches Brot ist“.
## Gegen Patente auf Pflanzen und Tiere
„Wir schauen nicht auf die Wirtschaftlichkeit einer Erfindung“, betont
EPA-Sprecher Rainer Osterwalder. Hinter den Patentanmeldungen stehen nach
Ansicht der Gegner jedoch vorwiegend wirtschaftliche Interessen.
Umweltschützer, Politiker und Bauern fordern einstimmig eine Änderung der
Vorschriften. „Wir sind gegen Patente auf Pflanzen und Tiere“, sagt
Bauernpräsident Gerd Sonnleitner. „Die EU-Biopatentrichtlinie muss strenger
gefasst werden.“
Ein parteiübergreifendes Bündnis hatte dazu eine Resolution ins Europäische
Parlament eingebracht. Sie wurde am 10. Mai in Brüssel verabschiedet.
Patente auf traditionell gezüchtete Tiere und Pflanzen soll es in der EU
demnach nicht geben, gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere wie die
Krebsmaus blieben weiter patentierbar.
Die Stellungnahme des Europaparlaments ändert allerdings nichts am
bestehenden Recht. Mit ihr fordern die Parlamentarier vielmehr eine
Auslegung des EU-Gesetzes in ihrem Sinne und legen eine Position für eine
mögliche künftige Überarbeitung fest. Der Deutsche Bundestag hatte bereits
im Januar 2011 eine ähnliche Erklärung verabschiedet.
Erforschung und Bekämpfung von Krebs zum Wohl der Menschheit seien von
übergeordneter Bedeutung, argumentierte das EPA, als es vor 20 Jahren am
13. Mai 1992 das zunächst abgelehnte Patent auf die Maus doch erteilte.
Vermutlich auch wegen der Lizenzgebühren machten Forscher aber wenig
Gebrauch von dem Tiermodell. Patente auf Versuchstiere könnten die
Entwicklung behindern, lautet die Kritik.
## Kein Durchbruch mit der Maus
„Wenn man Profitgier in den Vordergrund stellt und einzelne Gene patentiert
werden, dann blockiert das die Freiheit der Forschung in einem Maße, das
nicht der Gesellschaft dient“, warnt Professor Bernd Gänsbacher, Direktor
des Instituts für Experimentelle Onkologie der Technischen Universität
München. Die medizinische Bedeutung der Krebsmaus sei gering geblieben.
„Einen Durchbruch hat sie nicht gebracht.“ Die Maus habe nur ein einziges
Krebs-Gen gehabt.
„Es ist eine Illusion, dass man von "dem einen" Brustkrebs spricht. Es gibt
20 bis 40, vielleicht 100 verschiedene Brustkrebsarten bei Frauen, die man
auf molekularer Ebene definieren kann. Wenn da 60 Gene eine Rolle spielen
und jedes einzelne ist patentiert - dann ist die Forschung auf diesem
Gebiet blockiert“, so Gänsbacher. Dennoch müsse jedes Patent im Einzelfall
geprüft werden. „Für mich ist es wichtig, dass die Menschen, die solche
Fragen beurteilen, immer daran denken: Was ist der Hintergrund dieses
Patentverfahrens.“
Für heftigen Protest sorgte 2009 ein Patent bei Schweinen, die
natürlicherweise ein bestimmtes Gen haben. Es soll für saftigeres Fleisch
sorgen, das beim Braten weniger schrumpft. Das Patent bezog sich nur auf
ein Verfahren, diese Gen-Variante zu identifizieren. Allerdings haben viele
Schweine dieses Gen - die Bauern fürchteten, dass all diese Tiere unter das
Patent fallen. Aus Protest zogen sie mit rosa-schwarzen
Schwäbisch-Hällischen Landschweinen vor das EPA. Das Patent wurde von der
Inhaberfirma zurückgenommen.
Kürzlich hatte eine weitere Beschwerde vor dem EPA Erfolg: Am 3. Mai entzog
das Amt einer US-Firma ein bereits erteiltes Patent auf Auswahl und Kühlung
von Sperma zur gezielten Zeugung weiblicher oder männlicher Tiere. Der
Sprecher der Grünen/EFA im Europäischen Parlament, Martin Häusling, sprach
von einem „Etappensieg im Kampf gegen die Monopolisierung im Zuchtbereich“.
Gegen das Krebsmaus-Patent gab es 17 Einsprüche von Gruppen aus
Deutschland, Österreich und der Schweiz; die Verfahren zogen sich über ein
Jahrzehnt hin. Als das EPA im Juli 2004 das Patent endgültig bestätigte,
war der Patentschutz schon erloschen. Er besteht nach der Erstanmeldung 20
Jahre - und diese stammte vom 22. Juni 1984, wie EPA-Sprecher Osterwalder
berichtet. „Wahrscheinlich war es einer der Fälle mit der längsten
Rechtsgeschichte am Europäischen Patentamt.“
11 May 2012
## TAGS
Klontiere
Europäisches Patentamt
Patent
Brustkrebs
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