# taz.de -- Großforschungsprojekt Nationale Kohorte: Körpercheck für die For… | |
> Die medizinischen Daten von rund 200.000 Menschen sollen in den nächsten | |
> Jahren erhoben werden. Sie stehen dann der Forschung zu Verfügung. | |
Bild: Mit einem Bodyscanner werden an der Uni Halle die Körpermaße ermittelt. | |
HAMBURG taz | Die Vorarbeiten laufen seit über fünf Jahren, am 10. November | |
soll es tatsächlich so weit sein: Im Universitätsklinikum Essen wird die | |
Hauptphase des Großprojektes [1][Nationale Kohorte (Nako)] offiziell | |
vorgestellt, auch Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) wird bei | |
dieser Gelegenheit wohl reden. | |
Geplant ist, 200.000 Frauen und Männer im Alter von 20 bis 69 Jahren in den | |
nächsten Monaten zu „rekrutieren“, um der Wissenschaft freiwillig und | |
langfristig zu dienen. Die Probanden werden regelmäßig an 18 | |
kooperierenden, regionalen Studienzentren medizinisch untersucht – und sie | |
sollen Körpersubstanzen für eine zentrale Biomaterialienbank zur Verfügung | |
stellen. | |
Dabei sein kann nur, wer per Zufallsverfahren aus dem | |
Einwohnermelderegister ausgewählt und anschließend von einem Studienzentrum | |
schriftlich eingeladen wurde; sollte auch sie einen entsprechenden Brief | |
erhalten, werde sie „gerne als Teilnehmerin mitwirken“, hatte Wanka bereits | |
2013 erklärt. | |
Die Werbung läuft auf Hochtouren: „Forschung zum Mitmachen“ steht etwa üb… | |
einer gemeinsamen Pressemitteilung von Nako-Geschäftsstelle, Uniklinikum | |
Heidelberg und Deutschem Krebsforschungszentrum. „Der Erfolg der Studie | |
steht und fällt mit dem Engagement der Bevölkerung. Jeder Teilnehmer zählt | |
und trägt mit dazu bei, die Gesundheitssituation in ganz Deutschland, aber | |
auch speziell in Mannheim zu verbessern.“ | |
Ähnliche Aufrufe wurden auch in Berlin, Brandenburg, Bremen, Freiburg, | |
Halle, Kiel, Leipzig und Regensburg via Medien verbreitet. Das Uniklinikum | |
Greifswald appellierte sogar an Firmen in der Region Neustrelitz, die Nako | |
aktiv zu unterstützen. | |
„Eine Freistellung für den Besuch im Studienzentrum durch den Arbeitgeber“, | |
so Studienleiter Henry Völzke, „erhöht erfahrungsgemäß die | |
Teilnahmebereitschaft der zufällig ausgewählten Probanden.“ Je nach | |
Untersuchungsprogramm müssten die Beschäftigten zwischen dreieinhalb und | |
fünf Stunden aufwenden. „Gut investierte Zeit“, erklärt der Professor, de… | |
auch die Wirtschaft profitiere ja von einer Verbesserung der | |
Gesundheitssituation. | |
## Gesucht werden Krankheitsursachen | |
Welche Forschungsprojekte dazu im Einzelnen beitragen sollen, benennen | |
bisher weder Epidemiologe Völzke noch seine Kollegen aus dem | |
Kohorten-Netzwerk. Die Vorhaben der kommenden 20 bis 30 Jahre werden eher | |
allgemein kommuniziert: „Ziel ist es, Ursachen und Risikofaktoren für die | |
wichtigsten Volkskrankheiten genauer zu erforschen“, schreibt die Nako, die | |
mit 210 Millionen Euro aus Steuergeldern gefördert wird. „Neben den | |
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind das unter anderem Krebs, Diabetes, Demenz | |
und Depressionen.“ | |
Anschaulicher ist die Öffentlichkeitsarbeit zu den Checks, die auf | |
Probanden warten. Das Faltblatt „Helfen Sie mit!“, verantwortet vom | |
Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie, Bremen, zählt | |
zum Beispiel auf: Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Gedächtnistests, | |
umfangreiche Untersuchungen zu häufigen Krankheiten wie Diabetes, Krebs und | |
Infektionen. | |
Befragung zu Familie, Ausbildung, medizinischer Vorgeschichte, | |
Medikamenten, persönlichem Lebensstil. Außerdem: „Gewinnung von Blut, Urin, | |
Speichel, Stuhl und Durchführung eines Nasenabstrichs.“ | |
## Ethik-Kodex für das Forschungsprojekt | |
Wozu gespendete Proben und Daten genutzt werden dürfen, regelt die | |
Einwilligungserklärung, die Probanden unterschreiben. Wie die Papiere | |
formuliert sein sollen, gibt ein „Ethik-Kodex“ vor, den sich die Nako | |
selbst gegeben hat. | |
„Da es unmöglich ist, alle zukünftigen medizinisch-biologischen | |
Forschungsfragen vorherzusehen“, so der Kodex, „wird die | |
Einwilligungserklärung so gestaltet, dass ein möglichst breites | |
Forschungsfeld offengehalten wird, inklusive der Nutzung von biologischen | |
und genetischen Markern in Blutproben und weiteren Biomaterialien.“ | |
Einwilligungsvordrucke sucht man auf den Internetseiten der Zentren bislang | |
vergeblich. Immerhin hat Nako-Pressesprecherin Julia Geulen auf Anfrage ein | |
Exemplar geschickt, das Probanden im Studienzentrum Neustrelitz vorgelegt | |
wird. Es umfasst neun DIN-A4-Seiten, dazu gibt es eine 17 Seiten lange | |
„Teilnehmerinformation“. | |
Eine sorgfältige Lektüre der Papiere kann nicht schaden. Grundsätzlich ist | |
es möglich, im Ankreuzverfahren auszuwählen, welche der angebotenen | |
Untersuchungen man absolvieren will und welche nicht. Zudem müssen | |
Teilnehmer entscheiden, ob sie ihre Haus- und Fachärzte von der | |
Schweigepflicht entbinden wollen – zwecks Übermittlung von Informationen | |
über bestehende oder neu auftretende Erkrankungen an die Kohorte. | |
## Blankoscheck für Forscher | |
Wer am gesamten Programm teilnimmt, gibt Forschern eine Art Blankoscheck | |
für die Zukunft. Mit seiner Einwilligung stimmt ein Proband zu, dass | |
Untersuchungsdaten – getrennt von Name und Anschrift – in den | |
Nako-Datenzentren an der Universitätsmedizin Greifswald und dem Deutschen | |
Krebsforschungszentrum in Heidelberg „langfristig“ gespeichert werden – u… | |
zwar unter einer Kodenummer (Pseudonym), um Vertraulichkeit zu | |
gewährleisten. Entnommene „Bioproben“ – Blut, Urin, Speichel, | |
Nasenabstrich, Stuhlprobe – werden grundsätzlich in der zentralen | |
Nako-Biobank am Helmholtz-Zentrum in München pseudonymisiert gelagert; | |
außerdem soll ein Teil in den jeweiligen Studienzentren bleiben. | |
Die verschlüsselten Daten und Proben können gemäß Einwilligungserklärung | |
auch verwendet werden, „um genetische Risikofaktoren für Erkrankungen und | |
deren Vorstufen zu analysieren“. Laut Teilnehmerinformation sind | |
„Untersuchungen geplant, die sich über Ihr gesamtes Erbgut erstrecken und | |
der Erforschung der genetischen Variabilität dienen“. | |
Passieren soll das im Rahmen – noch nicht definierter – Projekte zur | |
Erforschung „häufiger Volkskrankheiten“, die im In- und Ausland stattfinden | |
können; die Zustimmung der Betroffenen auch vor Beginn der jeweiligen | |
Studien einzuholen, ist nicht vorgesehen. | |
## Bioproben gehören Nako | |
Mit der Einwilligungserklärung sollen die Untersuchten unterschreiben, dass | |
ihre Bioproben zum Eigentum der Nako werden und „gegebenenfalls auch in | |
kommerziellen Zusammenhängen (zum Beispiel für die Entwicklung von | |
Medikamenten und Diagnostika)“ genutzt werden dürfen. Sollten dabei | |
verwertbare Produkte entstehen, dürfen Patente oder andere gewerbliche | |
Schutzrechte nur mit Einverständnis der Nako angemeldet werden. | |
Von alledem haben die Probanden nichts. Ihre Teilnahme ersetze auch keine | |
individuelle Gesundheitsuntersuchung durch einen Arzt, stellt die | |
Einwilligungserklärung klar. Allerdings können Teilnehmer „zeitnah“ eine | |
schriftliche Mitteilung über Resultate der Checks im Studienzentrum | |
erhalten. | |
Wer den Brief bekommen möchte, erklärt vorab auch dies: „Mir ist bewusst, | |
dass die Kenntnisnahme meiner Untersuchungsergebnisse unter Umständen mit | |
Nachteilen für mich verbunden sein kann, zum Beispiel im Zusammenhang mit | |
dem geplanten Abschluss einer privaten Krankenversicherung oder einer | |
Risikolebensversicherung.“ | |
## Neue Untersuchung nach einigen Jahren | |
Grundsätzlich nicht informiert werden Kohortenteilnehmer über Ergebnisse | |
von Bioprobenanalysen und Bildauswertungen, die ja womöglich erst Jahre | |
nach der Erstuntersuchung stattfinden. Werden dabei Veränderungen entdeckt, | |
die „Hinweise auf eine schwere Gefährdung“ der Gesundheit des Probanden | |
oder seiner Nachkommen liefern, erhalten die Betroffenen dazu keine | |
Nachricht. | |
Die Probanden sollen nach einigen Jahren zur erneuten Untersuchung ins | |
Studienzentrum kommen, zwischenzeitlich werden sie gebeten, „Kurzfragebögen | |
zur Beobachtung Ihres Gesundheitszustandes“ auszufüllen, die ihnen „in | |
größeren Abständen“ zugeschickt werden. | |
Wer einmal seine Teilnahme erklärt hat, kann jederzeit ohne Angabe von | |
Gründen aus der Kohorte aussteigen und seine Einwilligung beim | |
Studienzentrum schriftlich widerrufen. Tut ein Betroffener dies | |
vollständig, müssen alle gesammelten Daten gelöscht und noch vorhandene | |
Bioproben vernichtet werden – mit einer Einschränkung: Daten aus Analysen, | |
die vor dem Widerruf bereits vollzogen waren, werden gemäß | |
Einwilligungsvordruck aus dem Fundus der Kohorte nicht entfernt. | |
7 Nov 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.nationale-kohorte.de/ | |
## AUTOREN | |
Klaus-Peter Görlitzer | |
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