# taz.de -- Gesundheits-Studie: „Ein kleiner Betrag“ | |
> Eine Mammutstudie durchleuchtet 200.000 Menschen, um Volkskrankheiten zu | |
> erforschen. Ein Gespräch über gesundes Altern, teure Infrastruktur und | |
> sichere Daten. | |
Bild: Wolfgang Ahrens ist Mitglied des wissenschaftlichen Vorstands der "Nation… | |
taz: Die „Nationale Kohorte“ will die Gesundheit von 200.000 Deutschen in | |
einer Langzeitstudie intensiv untersuchen. Überdurchschnittlich viele | |
kommen aus Bremen. Sind die BremerInnen besonders leicht zu erforschen oder | |
besonders repräsentativ, Herr Ahrens? | |
Wolfgang Ahrens: Weder noch! Es geht bei der Studie aber auch nicht um | |
Repräsentativität für die Gesamtbevölkerung, sehr wohl aber für die | |
BremerInnen. | |
Aber wie wollen Sie dann den Ursachen all der Volkskrankheiten auf die Spur | |
kommen? | |
Es geht schon darum, verallgemeinere und belastbare Ergebnisse zu erzielen. | |
Die Teilnehmer im Alter von 20 bis 69 Jahren werden per Zufallsstichprobe | |
ausgewählt. Da wir wissen, wie die Allgemeinbevölkerung sich verteilt, | |
können wir am Ende durchaus Rückschlüsse ziehen. Eine bundesweite | |
Repräsentativerhebung würde den Kostenrahmen völlig sprengen. | |
Das Mammutvorhaben kostet auch so über 200 Millionen Euro. Warum nutzt man | |
nicht bestehende Kohorten und Daten? | |
Das ist sehr intensiv diskutiert worden. Aber die bestehenden Kohorten sind | |
in ihren Fragestellungen und Fallzahlen sehr begrenzt. Damit lässt sich die | |
Komplexität der vielen Faktoren, die Gesundheit und Krankheit beeinflussen, | |
nicht wirklich erforschen. Wir wollen ja die Kombination aus sozialen | |
Faktoren, Verhalten und Lebensstil der Menschen bis hin zu biologischen und | |
physiologischen Faktoren oder genetischen Markern untersuchen. Dadurch | |
haben wir viel mehr Möglichkeiten, später Zusammenhänge aufzudecken und | |
Risikofaktoren zu erkennen. Wenn man da belastbare Aussagen machen will, | |
braucht man eine große Stichprobe. Die Frage ist: Was unterscheidet jene, | |
die ohne große Beschwerden alt werden von den Menschen, die sich mit | |
chronischen Erkrankungen herumschlagen? Es geht darum, die Prävention und | |
die Früherkennung zu verbessern, darum, die Krankheitslast im Alter zu | |
vermindern. | |
Und um welche Krankheiten geht es konkret? | |
Die besten Chancen, Ursachen und Zusammenhänge aufzudecken hat man in einer | |
solchen Studie bei häufigen Erkrankungen: Krebs, | |
Herz-Kreislauf-Beschwerden, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, | |
neurokognitiven Störungen wie Demenz. | |
Für diese Studie werden mit sehr viel Geld fünf Kernspin-Tomographen (MRT) | |
angeschafft, es werden Ganzkörper-Scans aller Teilnehmer gemacht. Demenz | |
etwa kann man damit aber gar nicht diagnostizieren. Wie passt das zusammen? | |
Die Demenz lässt sich so nicht diagnostizieren. Aber vielleicht kann man | |
frühzeitig Veränderungen identifizieren, die Anzeichen einer späteren | |
Erkrankung sein können. | |
Wie stehen Sie zu der Kritik, dass die Studie zu viel Geld für solche | |
Großgeräte ausgibt? | |
Diese Kritik kann ich nicht teilen. Die Kernspin-Tomographie kostet | |
inklusive Personal etwa 20 Millionen Euro, knapp zehn Prozent des | |
Gesamtbudgets. Sie müssen das mal ins Verhältnis setzen zu den Kosten des | |
Gesundheitssystems – das sind 300 Milliarden Euro, jedes Jahr. Und wir | |
reden hier über einen Untersuchungszeitraum von zehn Jahren. Es geht zwar | |
um viel Geld für eine Studie, aber um einen kleinen Betrag, gemessen an | |
dem, worum es hier geht. Es gibt auch viele Untersuchungen im Rahmen der | |
Studie, die mit geringem Aufwand informative Ergebnisse liefern. So werden | |
wir die Handgreifkraft messen, um die körperliche Fitness einzuschätzen. | |
Das Gerät dafür kostet etwa 300 Euro. | |
Setzt die Studie zu sehr auf leicht messbare Daten und vernachlässigt den | |
Stand der sozialmedizinischen Forschung, wie etwa Grüne monierten? | |
Ich glaube, die Kombination aus beiden macht’s. Wir legen großen Wert auf | |
quantifizierbare Daten. Aber wir erheben auch viele Daten zur psychischen | |
Verfassung und den sozialen Lebensumständen. | |
Ist überhaupt genügend Zeit, um bei 200.000 Menschen komplexe Ursachen | |
komplexer Krankheiten zu erforschen? | |
Es sind ja keine Patienten, die zu uns kommen, sondern es ist die | |
Normalbevölkerung. Aber der Umfang der Informationen, die wir erheben | |
können, ist natürlich begrenzt. Trotzdem versuchen wir, uns ein umfassendes | |
Bild über die Lebensumstände zu machen. Dazu ziehen wir dann auch | |
Umweltmessdaten heran, etwa aus dem Lärmkataster. | |
Dass Lärm krank macht, ist aber nicht neu. | |
Nein. Wir wissen aber nicht, wie Lärm mit anderen Faktoren zusammenwirkt, | |
wie viel Lärm wie krank macht. Solch ein komplexes Wirkungsgefüge bei der | |
Entstehung von Krankheiten können wir hier untersuchen. | |
Wird die Studie nicht dazu führen, dass es noch mehr teure und bisweilen | |
umstrittene Untersuchungen, etwa im MRT, geben wird als heute schon? | |
Das glaube ich nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass solche Untersuchungen | |
sehr viel gezielter erfolgen. | |
Gilt da nicht auch der Satz: Wer gesund ist, wurde nur nicht gründlich | |
genug untersucht? | |
Es gab vorab eine lange Debatte um die Frage der Zufallsbefunde. Die | |
Teilnehmer haben das Recht auf Nicht-Wissen – außer es geht um eine akute | |
Lebensgefahr. Wir machen aber keine Diagnostik. | |
Da werden sehr viele sehr persönliche Daten erhoben. Wie sicher sind die | |
bei Ihnen? | |
Wir haben ein umfangreiches Datenschutzkonzept für diese Studie erstellt, | |
der Bundesdatenschützer hat das abgesegnet. So ist keiner gezwungen, an | |
allen Elementen der Studie teilzunehmen, die Zustimmung kann jederzeit | |
widerrufen, erhobene Daten wieder gelöscht werden. | |
Aber meine Daten gehören erst einmal dem Trägerverein der „Nationalen | |
Kohorte“, oder? | |
Ja. | |
Woher weiß ich, dass der die Daten nicht weiter verkauft oder an | |
Versicherungen weitergibt? | |
Das dürfen wir gar nicht! Eine kommerzielle Nutzung der Daten ist explizit | |
ausgeschlossen. Aber das ist ja eine für viel Geld geschaffene | |
wissenschaftliche Infrastruktur. Da ist es natürlich denkbar, das | |
wissenschaftliche Einrichtungen – und das müssen nicht nur Universitäten | |
sein – die Daten anfordern. | |
Also auch solche, die von der Industrie finanziert werden? | |
Das ist nicht ausgeschlossen. Wer eine Projektidee hat, muss sich an den | |
Verein wenden. Wenn alle Regeln der Studie eingehalten werden, kann der | |
Interessent Daten teilweise und temporär bekommen. Er darf sie aber nicht | |
für andere als die vom Verein genehmigten Zwecke nutzen, dauerhaft behalten | |
oder weitergeben. Sonst macht er sich strafbar. | |
26 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
## TAGS | |
Gesundheit | |
Studie | |
Bremen | |
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