# taz.de -- Bioethiker über Datenschutz: „Nicht gleich das Messer schwingen�… | |
> Der Medizinrechtler und Bioethiker Nils Hoppe meint, wir sollten uns | |
> damit abfinden, dass es keinen allumfassenden Datenschutz gibt. | |
Bild: Begehrter Stoff für Genomforscher: Blutproben in Reagenzröhrchen. | |
taz: Herr Hoppe, die Menge an Gesundheitsdaten, die zu Forschungszwecken | |
erhoben, gespeichert und verknüpft werden, verdoppelt sich in Deutschland | |
jährlich. Selbst Menschen, die bereit sind, der Wissenschaft Angaben über | |
sich und ihren Körper zu machen, haben Zweifel, ob ihre Daten sicher sind. | |
Können Sie ihnen diese Sorge nehmen? | |
Nils Hoppe: Leider nicht. Es gibt das geflügelte Wort, dass man nichts in | |
eine E-Mail schreiben sollte, das man nicht auf eine Postkarte schreiben | |
würde. Das Gleiche gilt inzwischen doch für alle elektronisch verarbeiteten | |
Daten. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir hoch persönliche Daten | |
online nicht hundertprozentig sicher bekommen. | |
Wie kann das sein? | |
Man hat lange versucht, über eine krude Anonymisierung der Daten Sicherheit | |
herzustellen. Deswegen hat man, etwa bei den Volkszählungsdaten aus den | |
1980er Jahren, Geburtsangaben und regionale Daten von Erhebungsbögen | |
entfernt. Bei den Gesundheitsdaten, über die wir jetzt sprechen, reicht das | |
nicht mehr. Wenn die Datendichte über ein Individuum hoch genug ist, ist es | |
irrelevant, ob Sie den Namen haben oder nicht. Es gibt dann genug andere | |
individuelle Parameter, um die Person eindeutig zu identifizieren. | |
Klingt beunruhigend. | |
Finden Sie? Ich frage mich eher, ob es noch zeitgemäß ist, Menschen, die | |
sich an wissenschaftlichen Studien beteiligen, eine hohe Datensicherheit zu | |
versprechen. | |
Was sollte daran anachronistisch sein? | |
Öffentlich betriebene Gesundheitsforschung ist ein extrem hohes | |
gesellschaftliches Ziel. Da lohnt es sich, eine Güterabwägung | |
durchzuführen. Vielleicht muss der individuelle Datenschutz mitunter | |
hintenanstehen, weil sonst die Forschung und sogar die klinische Versorgung | |
behindert würden – und gerade das wäre ja ganz und gar nicht im Interesse | |
der Patienten. | |
Wieso? | |
Je mehr Informationen, desto höher die Patientensicherheit: Wir können auf | |
diese Weise etwa verhindern, dass Ärzte in identischen Krankheitsfällen | |
zweimal die falsche Entscheidung treffen. Oder Untersuchungen | |
unnötigerweise doppelt durchführen. Das gelingt aber nur, indem wir Daten | |
sowohl verknüpfen als auch auf die Probanden zurückgreifen können. | |
Warum ist die Erreichbarkeit der Probanden wichtig? | |
Angenommen, ich habe während eines Forschungsprojekts einen Zufallsbefund | |
erhoben, den ich mitteilen möchte – nur, leider kann ich den Patienten | |
nicht mehr identifizieren! Dann tue ich ihm doch unrecht. | |
Weil Sie ihm Informationen vorenthalten, die der Patient vielleicht nicht | |
wissen wollte? | |
Natürlich muss man den Patienten vorher fragen, wie mit Zufallsbefunden | |
umgegangen werden soll. Was ich dagegen für nicht länger hinnehmbar halte: | |
Bisher argumentierten Wissenschaftler, sie seien erstens keine Kliniker, | |
und weil sie zweitens die Patienten auch nicht reidentifizieren könnten, | |
müssten sie generell keine Zufallsbefunde mitteilen. So ist zum Beispiel | |
vorstellbar, dass etwa Frauen mit den Brustkrebsgenen BRCA1 und BRCA2 gar | |
nicht erfahren, dass sie eine 80- oder 90-prozentige Wahrscheinlichkeit | |
haben, an Brustkrebs zu erkranken. Das geht natürlich nicht. Man muss sich | |
schon im Vorfeld vernünftig und individuell mit der Frage beschäftigen, ob | |
und wie der Patient informiert werden möchte. Gleichzeitig muss allen klar | |
sein, was genetische Informationen wirklich können und was nicht. | |
Was wäre ein richtiger Umgang mit Forschungsdaten und -befunden? | |
Die Herangehensweisen in Europa sind unterschiedlich. Viele deutsche | |
Projekte tendieren dazu, nur solche Probanden in Studien einzuschließen, | |
die sich vorab einverstanden erklären, alle Befunde – auch zufällige – | |
wissen zu wollen. In Großbritannien ist das anders. Dort werden Menschen, | |
die Kenntnis erlangen wollen über ihre Befunde, oft erst gar nicht | |
aufgenommen. | |
Und jetzt? Was wiegt schwerer? Das Recht auf Wissen oder das Recht auf | |
Nichtwissen? | |
Eine sehr gute Frage, die in der wissenschaftlichen Diskussion seit über 50 | |
Jahren gestellt wird. Ich werde sie hier und in drei knappen Sätzen sicher | |
nicht beantworten. Je nach Projekt kann man individuell gewiss zu guten | |
Lösungen kommen. Was wir jedoch global ändern müssen, und darum geht es | |
mir, das ist die Art und Weise, wie wir mit Daten umgehen und wie wir mit | |
Patienten umgehen. Wir werden künftig in allen Lebensbereichen mit immer | |
größeren Datenmengen forschen und arbeiten. Die Geschwindigkeit wird sich | |
ändern, mit der wir die Daten bearbeiten. Entsprechend muss sich auch | |
unsere Denke über Daten ändern. | |
Können Sie das konkretisieren, was sich da verändern muss? | |
Wir müssen damit leben, dass die Daten da draußen sind, und dürfen nicht | |
allzu nervös sein. | |
Sollen Patienten mehr Mitsprache haben? | |
Selbstverständlich. Politik und Gesundheitssysteme müssen sich Gedanken | |
machen, warum wir in der Interaktion mit Patienten und Probanden immer noch | |
in den 60er Jahren stecken. Wir machen hoch technologische, extrem teure | |
Hochleistungsforschung, aber die Einwilligungsinformationen generieren wir | |
wie in den 60er Jahren – über Papierformulare. Diese verschwinden dann in | |
Schubladen und machen jede spätere Rückkopplung mit den Patienten | |
außerordentlich schwer. | |
Was schlagen Sie stattdessen vor? | |
Probanden sind mündig. Was spricht dagegen, Informationen mit ihnen zu | |
teilen? Das erhöht nicht nur die Datensicherheit, sondern führt auch dazu, | |
dass Verantwortung geteilt wird. | |
Sicher, die Wissenschaftler sind dann fein raus. Aber was ist mit dem | |
Patienten, der ein Datenpaket kriegt und erfährt, dass sein Risiko für | |
Alzheimer stark erhöht ist? Oder dass er an einem Prostatakarzinom leidet, | |
das ihm möglicherweise nie im Leben Beschwerden gemacht hätte? | |
Das ist ein Problem. Ganz geräuschlos können solche schweren | |
gesellschaftlichen Fragen in der Regel nie gelöst werden. Aus Studien zu | |
Bildgebungsverfahren im Forschungskontext wissen wir, dass diese Verfahren | |
in Extremfällen bis zu 80 Prozent Zufallsbefunde generieren. Beim | |
Neuroimaging sind in es der Regel 3 bis 12 Prozent, im Abdominal- und | |
Brustbereich bis zu 30 Prozent. Und damit geraten wir in eine | |
medizinethisch-philosophische Debatte: Ein solcher Befund kann das Leben | |
von Menschen, die bislang als komplett gesund galten, zweifellos massiv | |
verändern. Aber die Gegenfrage lautet: Wer dürfte entscheiden, dass die | |
Information diese Menschen so sehr überfordert, sodass wir sie ihnen besser | |
vorenthielten? Ich hielte es für wünschenswert, dass die großen Biobanken | |
die Informationen sowohl dem Probanden als auch seinem Hausarzt zur | |
Verfügung stellten. Damit wäre auch eine klinische Betreuung gewährleistet. | |
Werden künftig mehr Risiken denn Krankheiten behandelt? | |
Mit Sicherheit. Mir tut der Hausarzt leid, der vom Patienten seine | |
Genanalyse aus den USA vorgelegt bekommt und handeln soll. Allerdings gilt: | |
Auch bei einer Brustkrebs-Gendiagnose muss man nicht gleich das Messer | |
schwingen wie bei Angelina Jolie. Sondern man kann auch sagen, wir wissen | |
jetzt, dass da etwas ist, und deswegen erhöhen wir die Vorsorge. Die | |
Entscheidung ist aber stets eine individuelle, sehr auf die Patientin | |
bezogene Entscheidung. | |
Andere genetische Diagnosen eröffnen keine solchen Handlungsoptionen – | |
sondern tragen höchstens zur Verunsicherung bei. | |
Ach was. Das ist sicherlich auch einfach ein Missverständnis über die | |
Aussagekraft der meisten genetischen Daten. Ich bin überzeugt, dass wir | |
alle in absehbarer Zeit unser komplettes Genom sequenziert bekommen, ohne | |
dass Menschen in tiefe Krisen stürzen. Daraus wird sich ein Großteil der | |
Antworten ergeben, die wir für unsere Gesundheitsbehandlung brauchen. | |
Wichtig ist, dass Menschen wissen, wie genetische Informationen | |
funktionieren, wie sie gespeichert werden, wie sie sie kontrollieren und | |
frei entscheiden können, wer über sie wie verfügen darf. Die Qualität der | |
gesellschaftlichen Teilhabe freilich wird künftig darunter leiden, je | |
weniger Daten jemand von sich zur Verfügung stellt. | |
Haben Sie selbst Ihre Gene untersuchen lassen? | |
Ja. Dank des Gentests einer bekannten kalifornischen Firma weiß ich, dass | |
ich unter anderem ein deutlich erhöhtes Risiko habe für Herzerkrankungen. | |
Mein Risiko liegt bei 64,5 Prozent, das des Bevölkerungsdurchschnitts bei | |
46,8 Prozent. Gleichzeitig sagt mir der Gentest, dass ich auf einen | |
Blutverdünner, der bei Herzbeschwerden in Notaufnahmen standardmäßig | |
gegeben wird, genetisch bedingt keine Reaktion zeige. Sollte mir etwas | |
passieren mit dem Herzen, könnte ich idealerweise also zumindest schauen, | |
dass sie mir im Krankenhaus einen anderen Wirkstoff geben. Realistisch | |
gesehen werde ich im Akutfall aber wahrscheinlich andere Sorgen haben, als | |
den behandelnden Ärzten Vorschriften über die Medikamentengabe zu machen. | |
Hat das neue Wissen weitere Auswirkungen auf Ihr Leben gehabt? | |
Ich würde gern sagen, dass es dazu geführt hat, dass ich öfter ins | |
Fitnessstudio gehe – aber das ist nicht der Fall. | |
7 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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