# taz.de -- Nutzung von Gesundheitsdaten: Sammeln auf Vorrat | |
> Von Patienten „gespendete“ Daten und Biomaterialien sollen für | |
> Forschungsprojekte genutzt werden. Doch über die Ziele erfährt der | |
> Patient nichts. | |
Bild: Die BürgerInnen müssen es wissen: Was geschieht mit ihren medizinischen… | |
HAMBURG taz | Das Bundesforschungsministerium (BMBF) fördert, mit rund | |
160 Millionen Euro und vorerst bis zum Jahr 2021, eine sogenannte | |
Medizininformatik-Initiative (MII). Ihr erklärtes Ziel ist es, | |
„Forschungsmöglichkeiten und Patientenversorgung“ durch „innovative | |
IT-Lösungen“ zu verbessern. | |
Die MII besteht aus vier „Konsortien“ mit Partnern an über 30 Standorten | |
hierzulande. Sie sollen sich digital vernetzen und Daten aus | |
Krankenversorgung, klinischer und biomedizinischer Forschung austauschen | |
und nutzen; beteiligt sind zahlreiche Universitätskliniken und | |
Forschungseinrichtungen sowie das Robert Koch-Institut (RKI), außerdem | |
einige Unternehmen, darunter Siemens Healthcare GmbH und die Bayer AG. | |
Mitten in der Coronakrise, am 27. April, gab die MII einen „Meilenstein für | |
den Forschungsstandort Deutschland“ bekannt, per Pressemitteilung erklärte | |
sie, quasi in eigener Sache: „Medizininformatik-Initiative erhält grünes | |
Licht für bundesweite Patienteneinwilligung“. Besagtes Signal habe ihr die | |
Konferenz der Datenschutzbeauftragten aus Bund und Ländern gegeben – und | |
zwar für einen deutschlandweit einheitlichen, von der MII selbst | |
entworfenen Mustertext zum Datensammeln auf Vorrat. | |
Das von der MII ausgearbeitete Standardpapier soll allen volljährigen und | |
[1][einwilligungsfähigen PatientInnen], die in eine Universitätsklinik | |
aufgenommen werden, künftig „vor Behandlungsbeginn oder am Anfang des | |
Behandlungsprozesses“ routinemäßig vorgelegt werden. Sie können es nach | |
„ausreichend Bedenkzeit“ unterschreiben, sie müssen dies aber nicht tun. | |
Der 11-seitige Mustertext, der neben der Einwilligungserklärung auch eine | |
„Patienteninformation“ enthält, ist keine einfache Lektüre, schon gar nic… | |
für juristische Laien. Begehrt wird die „Einwilligung in die Nutzung von | |
Patientendaten, Krankenkassendaten und Biomaterialien (Gewebe und | |
Körperflüssigkeiten) für medizinische Forschungszwecke“. | |
## Daten, Befunde und Gewebeproben | |
Im Mustertext wird aufgezählt, welche Informationen und Materialien man zur | |
Verfügung stellen soll, zum Beispiel: Daten aus Arztbriefen, persönliche | |
Krankengeschichte, medizinische Befunde, Laborergebnisse, auch | |
Untersuchungen der Erbsubstanz, falls durchgeführt. Außerdem | |
molekulargenetisch analysierbare Biomaterialien wie Blut, Urin, Speichel, | |
Hirnwasser oder Gewebe, inklusive Tumoren. | |
Zudem werden PatientInnen gebeten, ihre Krankenkasse zu ermächtigen, Daten | |
für „wissenschaftliche Nutzung“ zu übermitteln, etwa über ärztliche | |
Leistungen und Arzneimittel, die ihnen in den vergangenen fünf | |
Kalenderjahren vor Aufnahme in die Uniklinik verschrieben wurden. | |
Zum Datenschutz erklärt die MII, dass „alle unmittelbar Ihre Person | |
identifizierenden Daten“ wie Name, Geburtsdatum und Anschrift „durch eine | |
Zeichenkombination ersetzt (Codierung)“ werden. | |
Welche Forschungsfragen mit den bereitgestellten Daten und Körpersubstanzen | |
genau und von welchen WissenschaftlerInnen oder Unternehmen untersucht | |
werden sollen, lässt die „Patienteninformation“ offen. Statt Details über | |
konkrete Projekte liest man: „Ihre Patientendaten sollen im Sinne eines | |
breiten Nutzens für die Allgemeinheit für viele verschiedene medizinische | |
Forschungszwecke verwendet werden.“ | |
Diese sogenannte „breite“ Einwilligung ist wohl innovativ, aber durchaus | |
fragwürdig; bisher gilt ja auch in der klinischen Forschung das rechtliche | |
Prinzip der „informierten Einwilligung“, was bedeutet, dass jeder Proband | |
verständlich aufgeklärt werden muss, worauf er sich mit der Teilnahme an | |
einer Studie genau einlässt. | |
Anders die MII-„Patienteninformation“, sie erklärt: „Zum jetzigen Zeitpu… | |
können dabei noch nicht alle zukünftigen medizinischen Forschungsinhalte | |
beschrieben werden; diese können sich sowohl auf ganze Krankheitsgebiete | |
(z. B. Krebsleiden, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des Gehirns) | |
als auch auf heute zum Teil noch unbekannte einzelne Krankheiten und | |
Veränderungen in der Erbsubstanz beziehen. Es kann also sein, dass Ihre | |
Patientendaten für Forschungsfragen verwendet werden, die wir heute noch | |
gar nicht absehen können.“ | |
Ausdrücklich erklärt wird aber, dass Daten und Biomaterialien „ab dem | |
Zeitpunkt Ihrer Einwilligung“ für 30 Jahre gespeichert und gelagert werden; | |
und auch, dass das Eigentum an gespendeten Körperflüssigkeiten und Geweben | |
an die jeweiligen Träger der Biomaterialbanken übertragen werde – die | |
ihrerseits berechtigt seien, künftigen NutzerInnen aus Wissenschaft und | |
forschenden Unternehmen „eine angemessene Aufwandsentschädigung“ in | |
Rechnung zu stellen. Wobei die Weitergabe der gespendeten Daten und | |
Biomaterialien auch „für Forschungsprojekte im Ausland“ möglich sein soll. | |
Außerdem stellt die „Patienteninformation“ klar: „Sollte aus der Forschu… | |
ein kommerzieller Nutzen, z. B. durch Entwicklung neuer Arzneimittel oder | |
Diagnoseverfahren, erzielt werden, werden Sie daran nicht beteiligt.“ | |
Zugesichert wird immerhin, dass man auf der Webseite | |
[2][www.medizininformatik-initiative.de/datennutzung] jederzeit erfahren | |
kann, welche Studien im MII-Rahmen mit Hilfe der gespendeten Daten und | |
Biomaterialien aktuell laufen – und dass die erteilte Einwilligung | |
jederzeit widerrufbar ist, „ohne Angabe von Gründen“. | |
Allerdings gilt das Widerrufsrecht nur für die „künftige“ Verwendung | |
gespeicherter Patientendaten und gelagerter Biomaterialien. „Daten aus | |
bereits durchgeführten Analysen können nachträglich nicht mehr entfernt | |
werden“, steht im MII-Mustertext, außerdem der Hinweis: Falls eine | |
Datenlöschung „nicht oder nicht mit zumutbarem technischem Aufwand möglich | |
ist, werden Ihre Patientendaten anonymisiert“. Dazu gibt es eine | |
Erläuterung, die man nicht übersehen sollte: „Die [3][Anonymisierung Ihrer | |
Patientendaten] kann allerdings eine spätere Zuordnung von – insbesondere | |
genetischen – Informationen zu Ihrer Person über andere Quellen niemals | |
völlig ausschließen.“ | |
Sorgfältiges Lesen und eine gesunde Portion Skepsis können also nicht | |
schaden. Die eingangs erwähnte MII-Pressemitteilung zitiert hingegen nur | |
solche Professoren, die das Muster für die „bundesweite | |
Patienteneinwilligung“ offenbar richtig gut finden und auch in den vom BMBF | |
geförderten Konsortien mitwirken. | |
Zum Beispiel Roland Eils, Gründungsdirektor des 2018 am Berliner | |
Uniklinikum Charité etablierten Zentrums für „Digitale Gesundheit“. | |
Professor Eils, ausgewiesen als Experte für biomedizinische Informatik, | |
Genomik und personalisierte Medizin, erklärt: „Es ist nicht weniger als | |
eine kleine Revolution, dass wir klinische Daten nun in großem Umfang für | |
die Gesundheitsforschung verwenden dürfen. Ein wichtiger Meilenstein auf | |
dem Wege, Digitale Gesundheit made in Germany als international sichtbare | |
Marke zu entwickeln.“ | |
3 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Arzneimittelstudien-mit-Dementen/!5351154 | |
[2] https://www.medizininformatik-initiative.de/datennutzung | |
[3] /Ungeschuetzte-Patientendaten/!5648845 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Peter Görlitzer | |
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