# taz.de -- Darbende Einkaufsstraßen und Corona: 800 Meter Tristesse | |
> In der Osnabrücker Johannisstraße gab es schon vor der Pandemie viel | |
> Leerstand. Wie soll es an einem solchen Ort weitergehen? | |
Bild: Fast menschenleer und das schon vor der Pandemie: die Osnabrücker Johann… | |
OSNABRÜCK taz | „Vorübergehend geschlossen“: Solche Schilder hängen seit | |
dem Ausbruch der Coronapandemie überall an verrammelten Türen von | |
Geschäften. Und auch wenn der Shutdown nun langsam gelockert wird, sind die | |
wirtschaftlichen Folgen überall enorm. Was aber macht die Zwangspause mit | |
Orten, die schon zuvor mit Pleiten und Leerstand gekämpft haben? Orten wie | |
der Johannisstraße in Osnabrück? | |
Sie ist knapp 800 Meter lang, benannt nach der Kirche auf halber Strecke, | |
eine der Hauptradialen der Stadt. Die Straße ist eng und es ist laut. Bus | |
reiht sich an Bus, die meisten davon husten Dieselabgase. Viel Grün ist | |
Baumaßnahmen zum Opfer gefallen, der Rest ist spärlich. Das Flickwerk der | |
Fahrbahndecke zeugt von Fehlplanung. Vor dem Supermarkt und einer | |
Beratungsstelle der Caritas kreisen Flaschen. Müll ist ein Problem. | |
Besonders auffällig sind die vielen Leerstände. Überall sind Schaufenster | |
mit Zeitungen und Packpapier beklebt oder hängen Schilder, die über | |
Räumungsverkäufe informieren. Modeläden, das alte Hotel oder die Apotheke | |
sind längst dicht. | |
Die Geschäfte, die sich hier halten können, zumindest für einige Zeit, sind | |
Handyläden, Wettbüros, Euro-Shops, Imbisse und ein paar altbackene Kneipen | |
wie die „Ewige Lampe“. Hier ein Spielsalon, dort ein Goldankauf, ein | |
Nagelstudio, ein Callshop. Dazwischen finden sich Exoten wie das Büro des | |
SPD-Europaabgeordneten Tiemo Wölken und ein etwas weltfernes Antiquariat. | |
## Ständige Bauarbeiten | |
Auch das Sozialkaufhaus „Jonathans Laden“liegt hier. Wer das Kaufhaus in | |
der Johannisstraße 88 betritt, kommt in eine hübsch arrangierte Welt. Möbel | |
und Kleidung gibt es in dem sozialen Kaufhaus, Bücher und Kinderwagen, | |
Geschirr und Spielzeug. Bedürftige kommen, dazu Gutverdiener, die | |
Solidarität zeigen wollen. Wochenlang war das Kaufhaus wegen Corona | |
geschlossen, jetzt hat es wieder geöffnet. | |
„Die Situation stellt uns vor extreme Probleme“, sagt Geschäftsführer | |
Johannes Bösken. „Schon vorher war es schlimm; die ständigen Bauarbeiten | |
hier in der Straße haben uns seit 2018 ein Drittel unserer Einnahmen | |
gekostet.“ Viele seiner Mitarbeiter sind Langzeitarbeitslose, die hier fit | |
gemacht werden für den Arbeitsmarkt. Wie sie während des Shutdowns ihre | |
Tage verbracht hätten, weiß er nicht. „Das bedrückt schon.“ | |
Doch die Pandemie ist hier nur ein neuer Tiefpunkt: An einem Tag im Februar | |
macht Joachim Ingenhaag seine Ladentür zu, um den Verkehrslärm | |
auszusperren. „Schlimmer geht’s nicht“, sagt er und wirkt dabei sehr müd… | |
Kein Kunde hat sich in das halbdunkle Zoofachgeschäft „Aquarium Botia“ an | |
der Johannisstraße 15 verirrt. Wahrscheinlich kommen heute auch keine mehr. | |
„Früher war das alles anders“, sagt Ingenhaag. „Man kannte sich, die Str… | |
hat gelebt, es gab Laufkundschaft. Aber seit Jahren geht es nur noch | |
bergab.“ | |
Im April musste Ingenhaag seinen Laden dicht machen, nach 20 Jahren. „Dass | |
hier alles den Bach runtergeht, hat viele Ursachen. Aber der Hauptfehler | |
liegt bei der Politik. Geplant haben die hier ohne Ende, aber passiert ist | |
nix“, sagt Ingenhaag. Stattdessen wechselten die Läden alle paar Monate. | |
„Das geht oft so schnell, da weißt du gar nicht, wer da überhaupt drin | |
ist.“ | |
## Sofortprogramm mit wenig Effekt | |
Der Osnabrücker Rat, dem Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (CDU) | |
vorsteht, hat im vergangenen Herbst ein Sofortprogramm beschlossen. Die | |
Grünen hatten sich dafür eingesetzt, dass die leerstehenden Geschäfte von | |
Künstlern oder Pop-Up-Stores genutzt werden können, bis sie wieder | |
vermietet werden. Ein Leerstandsmonitoring soll jetzt eingeführt, Maßnahmen | |
gegen den Vandalismus umgesetzt werden. Auch die „Prüfung weiteren | |
Stadtgrüns“ verspricht ein Sachstandsbericht der Stadt. | |
Passiert ist wenig. Die Stadt hat neue Bänke und Blumenkübel aufgestellt. | |
Und: Man werde „die Anbringung der für den Endausbau der Straße | |
vorgesehenen Hängeleuchten vorziehen“, sagt Sven Jürgensen, Sprecher der | |
Stadt. Zudem erarbeite die Stadt „einen Anforderungskatalog für ein | |
integriertes Quartiersmanagement, das vor der Sommerpause den Ratsgremien | |
vorgelegt werden soll“. | |
Aber das alles zieht sich. „Wir Grüne“, sagt Volker Bajus, „sind | |
enttäuscht“. Die Johannisstraße sei „selbsternannte Chefsache“ des | |
Oberbürgermeisters, aber: „Hier sieht es zurzeit eher nach Chefversagen | |
aus.“ Ein paar Blumenkübel seien noch kein Sofortprogramm. | |
## Stadtbaurat setzt auf Eigeninitiative | |
Die Folgen des Shutdowns sieht Bajus „mit großer Sorge“: „Die jetzt | |
geschlossenen Geschäfte und Gastronomiebetriebe hatten es vorher schon | |
nicht leicht. Die Straße nach der Krise wieder zum Leben zu erwecken, wird | |
sehr schwer.“ | |
Stadtsprecher Jürgensen sieht das anders: „Davon, dass hierdurch größere | |
Auswirkungen als in anderen Straßen der Stadt zu erwarten sind, kann nicht | |
ausgegangen werden.“ Zwar habe sich die Kundenfrequenz verringert. Aber: | |
„Durch die nach wie vor regelmäßig verkehrenden Busse, den geöffneten | |
Lebensmitteleinzelhandel, die Kioske und die gastronomischen Betriebe, ist | |
die Straße derzeit deutlich belebter als andere Bereiche der | |
Fußgängerzone.“ | |
Die Stadt hofft, dass für generelle Besserungen weitere Impulse von den | |
Geschäftsinhaber selbst kommen: „Viel hängt ja auch von der Eigeninitiative | |
der Anlieger ab, der Kaufmannschaft. In anderen Straßen Osnabrücks haben | |
wir gesehen, wie wunderbar das funktioniert“, sagt Stadtbaurat Frank Otte. | |
## Redebedarf im Zeitschriftenladen | |
Inhaber wie Ingenhaag finden das absurd. Wenn sie vorher schon nicht die | |
Möglichkeiten hatten, eine Wiederbelebung der Straße zu bewirken, wie soll | |
das erst nach der Pandemie klappen? | |
Einer der wenigen, die den Standort loben, ist Michael Garstka, | |
Geschäftsführer des Oldenburger Projektentwicklers „List Develop | |
Commercial“. Garstka will dort, wo lange ein großes Modegeschäft leer | |
stand, bis 2021/22 einen fünfgeschossigen Neubau entstehen lassen: mit | |
Hotel, Longstay-Apartments, Gastronomie, Handel. Das werde „beleben“. | |
Jochen Heidenreich, der vor seinem kleinen Laden an der Johannisstraße 86 | |
steht, teilt diesen Optimismus nicht. „Die Straße verkommt“, sagt er. | |
Heidenreich verkauft Zeitungen, Tabak und Getränke, stellt Lottoscheine | |
aus. Viele, die zu ihm kommen, kommen auch zum Reden. | |
## Hoffnung auf E-Busse | |
Er kennt das Viertel seit seiner Kindheit; schon sein Großvater hatte hier | |
einen Laden. Die neuen Sitzgelegenheiten? Heidenreich kann sich noch an die | |
alten erinnern: „Die hat die Stadt damals extra abmontiert, um die | |
Junkieszene loszuwerden.“ | |
Und dann der Busverkehr. Raus damit, sagt die FDP, plädiert für eine | |
Fußgängerzone. Muss bleiben, sagt das Gros der Kaufmannschaft, bringt uns | |
ja Kunden. Drinlassen, sagt auch Die Linke, aber vielleicht reduziert. „So | |
geht das seit Ewigkeiten“, sagt Heidenreich. „Hin und her, her und hin. Nie | |
hat man Planungssicherheit.“ | |
Es ist diese „völlige Konzeptlosigkeit“, die ihn am meisten ärgere. | |
Trotzdem gebe es Lichtblicke. Etwa, dass die Stadt jetzt verstärkt auf die | |
ruhigeren E-Busse setze. Aber dass es vermutlich bis 2021 dauert, bis die | |
Straße neu gepflastert wird, nervt ihn: „Wieder ein verlorenes Jahr“, sagt | |
Heidenreich und zahlt dann einer Stammkundin 12,60 Euro Los-Gewinn aus. Ein | |
kleines bisschen Glück. | |
28 Apr 2020 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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