# taz.de -- Leerstand im Lübecker Stadtzentrum: Würde eine Steuer helfen? | |
> Lübeck diskutiert die Einführung einer Steuer auf leer stehende Häuser. | |
> Die Stadt will so verhindern, dass Ladenflächen im Zentrum brach liegen. | |
Bild: Abstoßende Schönheit: Leerstand in Lübeck | |
LÜBECK taz | Die Nachricht im Juni war der große Wumms: Karstadt schließt | |
fast alle Filialen in Schleswig-Holstein. Auch die Filiale in Lübeck, die | |
älteste überhaupt nach dem Stammhaus in Wismar. Heute ist vom | |
Jugendstil-Prunk anno 1884 keine Spur mehr, das Warenhaus residiert in zwei | |
Glasbeton-Bauten: 18.000 Quadratmeter Nüchternheit im Herzen der | |
Innenstadt. | |
Nach dem Schreck kamen die Fragen. Bekommt die Stadt nun eine weitere, | |
langsam verfallende Ruine in ihrem Zentrum? Mit solchen Geistergebäuden | |
haben die Lübecker Erfahrung: Zwei große Einkaufspassagen, ein ehemaliges | |
Mode- und ein Autohaus sowie der Nachkriegswürfel, in dem einmal | |
Karstadt-Sport war, haben in der Altstadt viele Jahre vor sich hin gerottet | |
oder tun es noch. | |
Wenn nun auch das letzte Allround-Kaufhaus hier schließt, stünde fast ein | |
Viertel der Verkaufsfläche in der City leer. Zum Vergleich: 2008 waren es | |
knapp acht Prozent, und bei Wohnungen sind es aktuell zwei. | |
Es ist schwierig, für solche Mega-Immobilien Mieter zu finden, nicht nur | |
wegen ihrer Größe. Die Besitzer von Karstadt, ein Konsortium aus | |
Goldmann-Sachs-Whitehall und der Deutschen Bank, wollen für das Kaufhaus | |
vier Millionen Euro Miete im Jahr. Ziemlich viel für den Mieter, dessen | |
Umsatz bundesweit zwischen 2000 und 2017 von knapp 17,6 auf 2,2 Milliarden | |
Euro gesunken ist. | |
Bürgermeister Jan Lindenau (SPD) verhandelte ohne Erfolg über eine | |
Mietminderung. „Wir haben ein Kaufangebot bekommen, aber die | |
Preisvorstellungen sind irreal – eher auf dem Niveau der Hamburger | |
Mönckebergstraße“, sagt er. Es gibt also wenig Hoffnung, die Schließung zu | |
verhindern. | |
Als hätte sie es geahnt, hatte die städtische Gesellschaft für | |
Wirtschaftsförderung drei Monate vor dem Karstadt-Debakel den Pinneberger | |
Stefan Krappa als „Leerstandsmanager“ eingestellt. „Manche Eigentümer | |
lassen ihre Immobilien leer stehen, weil eine niedrigere Miete deren | |
Buchwert sinken lässt“, erläutert Krappa. | |
Der Buchwert sinke, weil die Vermieter, wenn sie die Miete reduzierten, | |
diese nicht mehr auf das alte Niveau bekämen, wodurch die Immobilie weniger | |
wert werde. Dieser Wertverlust sei teurer als ein zeitweiliger Leerstand. | |
Nebenbei verknappen sie das Angebot, um die Preise hoch zu treiben, | |
benutzen die Häuser also als Spekulationsobjekte. Ein Beschluss des | |
Bundesfinanzhofs von 2007 fördert das sogar: Die Eigentümer können einen | |
satten Nachlass bei den Grundsteuern beantragen, wenn sie weniger | |
Mieteinnahmen haben. | |
Der Bürgermeister möchte nun in die andere Richtung gehen: Er brachte eine | |
Steuer auf leer stehende Immobilien ins Gespräch. Die Idee wird unterstützt | |
von den Grünen und Linken sowie der SPD-Bundestagsabgeordneten Gabriele | |
Hiller-Ohm. | |
Als Modell für die Idee dient die kanadische Stadt und Provinz Vancouver, | |
die 2017 eine „Speculation und Vacancy Tax“ sowie die „Empty Home Tax“ | |
eingeführt hat. Hauseigentümer zahlen für nicht genutzte Immobilien | |
jährlich 0,5 Prozent des Haus- und Grundstückswertes. Für Nicht-Kanadier | |
beträgt die Steuer sogar zwei Prozent. Seitdem sind die Immobilienpreise | |
gegenüber Regionen ohne diese Steuer im Schnitt um fünf Prozent gesunken, | |
Hausverkäufe sogar um 12,5 Prozent zurückgegangen. | |
Das hört sich gut an, wird aber in der Praxis nicht einfach. Eine | |
gewerbliche Vermietung fällt im Gegensatz zu einer privaten unter die | |
Regelungskompetenz des Landes. Deshalb könne die Stadt eine solche Steuer | |
nicht im Alleingang beschließen, sagt der Sprecher des | |
schleswig-holsteinischen Innenministeriums, Tim Radtke. | |
Und: Der auswärtige Großinvestor müsste sie ebenso bezahlen wie die | |
Familie, die ihre Einliegerwohnung gerade renoviert. „Das Problem sind die | |
Eigentümer, die nicht vor Ort sitzen“, sagt Sascha Färber, Geschäftsführer | |
des Hausbesitzervereins Haus & Grund. Denen gehe es nicht um die Stadt. | |
Verluste bei einem Objekt könnten sie mit Gewinnen anderswo gegenrechnen | |
und so Steuern sparen. Lokale Vermieter dagegen litten auch, wenn die | |
Nachbarhäuser leer stünden. | |
Färber schlägt eine Arbeitsgruppe gegen die Verödung der Innenstadt vor. | |
Wer dort mitmacht, wird keinen einfachen Job haben – aber eine charmante | |
Idee. Und das ist ja vielleicht ein Anfang. | |
15 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Friederike Grabitz | |
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