# taz.de -- Coronakrise und Hausarbeit: Nicht wertgeschätzt | |
> Manche langweilen sich in der Isolation. Unsere Autorin putzt. Und sieht | |
> in der Coronakrise einen Anlass, Hausarbeit neu zu bewerten. | |
Bild: Fußt der Kapitalismus nicht gerade auf dem unbezahlten Putzen und Ficken? | |
Der Name Fatma bedeutet ins Deutsche übersetzt Putzfrau. Das lernte ich im | |
Alter von acht Jahren vom Nachbarsjungen Jonas. Ich erinnere mich, wie ich | |
heulend nach Hause rannte, meine Mutter zur Rede stellte und sie mich | |
nüchtern ansah: „Aber was ist schlimm daran, eine Putzfrau zu sein?“ | |
Seit ich in der Selbstisolation hocke, glaube ich die Antwort zu kennen. | |
Denn ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich langweilen oder Gitarre | |
spielen lernen. Stattdessen fallen mir ständig Ecken in meiner Wohnung auf, | |
die ich seit Jahren nicht mehr gepflegt habe. Ich poliere Türen, klopfe | |
Teppiche aus, putze Fenster. Und das Problem ist, es hört nicht auf. | |
Ständig taucht ein Ordner auf, der neu sortiert, eine Pflanze, die | |
umgetopft, ein Schrank, der entrümpelt werden muss. Und da dazwischen ja | |
noch geschlafen, gegessen, Lohnarbeit erledigt und das Selbst sowie die | |
Mitmenschen gepflegt werden müssen, entstehen neue Flecken, neues Geschirr, | |
neue Wäscheberge. Ein Ende ist nicht in Sicht. Hausarbeit ist ein | |
Vollzeit-Knochenjob. | |
Gerade deshalb ist es so verwundernd, [1][wie wenig Anerkennung jene | |
bekommen, an die diese Arbeit traditionell delegiert wird]: | |
Reinigungskräfte, Haushälter_innen, oft migrantisiert, fast immer | |
feminisiert. Die Abwertung der Putzfrau, die sogar der kleine Jonas | |
verinnerlicht hatte, liegt ja nicht nur daran, dass putzen angeblich jede_r | |
kann (außer Jonas’ Alt-68er-Eltern, by the way. Ich sag nur Toilette des | |
Grauens). Sondern auch daran, dass die Arbeit niemals gerecht, ja oftmals | |
gar nicht entlohnt wird. | |
## Vermeintlich unproduktiv | |
Eine Arbeit, die kein Produkt hervorbringt. Und deshalb selbst von Karl | |
Marx himself null Wertschätzung erhielt. Aber fußt der von ihm kritisierte | |
Kapitalismus nicht gerade auf dem unbezahlten Putzen und Ficken? | |
Feministische Theoretiker_innen wie Silvia Federici thematisieren diesen | |
Widerspruch seit vielen Jahren. Doch bleibt mir nicht einmal die Zeit, | |
diese Schriften aufzuschlagen. Denn in dem Moment, in dem ich ans | |
Bücherregal trete, fange ich damit an, es abzustauben. Und muss an die | |
Studie denken, die die Uni Brüssel vor wenigen Jahren veröffentlichte, | |
derzufolge Menschen, die regelmäßig putzen, früher sterben. | |
Wer also arbeitet, um die Umgebung sauber und keimfrei zu halten, riskiert | |
regelrecht sein Leben? Trotzdem wird sich das nicht auf die Rente | |
auswirken. | |
Ist die Coronakrise vielleicht der passende Augenblick, um | |
Reproduktionsarbeit neu zu bewerten? Das bedingungslose Grundeinkommen | |
könnte Abhilfe leisten. Das Schöne daran: Es ist nicht einmal an | |
heteronormative Familienkonzepte (Erziehungsgeld) gebunden. Man könnte nach | |
dem Putztunnel auf das Sofa sacken. Und trotz Kreuzschmerzen und | |
schrumpeligen Händen ein Buch lesen. Stattdessen beginnt danach erst die | |
„richtige“ Arbeit. Jene, die entlohnt wird. Jene, die auch Jonas und Karl | |
Arbeit nennen. | |
6 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
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