# taz.de -- Corona: Berliner Clubs in Not: „Das war nie ein tolles Businessko… | |
> Corona gefährdet die ohnehin bedrohten Clubs. Sage-Club-Betreiber Sascha | |
> Disselkamp sagt, die Clubkultur sei zu wichtig, um zu verschwinden. | |
Bild: Sage-Betreiber und Clubcommission-Gründer Sascha Disselkamp | |
taz: Herr Disselkamp, seit 1997 betreiben Sie das Sage. Ist die | |
Corona-Pandemie die schlimmste Krise in dieser Zeit? | |
Sascha Disselkamp: Definitiv, so etwas gab es noch nie. Und nach der Krise | |
sind die Clubs wahrscheinlich die Letzten, die wieder aufmachen dürfen. Was | |
das in einigen Monaten für unsere Miet- und Darlehensverträge bedeutet, | |
weiß noch kein Mensch. Wir müssen damit rechnen, dass wirklich viele | |
Objekte gekündigt werden. Es gab aber schon andere Krisen in meiner Zeit. | |
2008 wurden das Rechenzentrum und der Funkpark in der Nalepastraße von | |
einem Tag auf den anderen gekündigt. Drei Monate später sind die Bagger | |
angerückt. Das ist heftig, zu sehen, wie ein Ort einfach abgerissen wird, | |
den du mit Liebe und Leidenschaft aufgebaut hast. | |
Wie lange kann der Sage Club angesichts der aktuellen Situation überleben? | |
Gar nicht. Es ist eigentlich schon ab April unklar, wie die Miete gezahlt | |
werden soll. Wir sind auf Kante genäht. Das war nie ein tolles | |
Businesskonzept. Selbst wenn man denkt, dass das KitKat doch immer voll | |
war, sieht man nicht, was für ein Aufwand dahintersteht. | |
Als Fetischclub ist das KitKat für enge Körperkontakte bekannt. Hat der | |
Club mit Vorurteilen zu kämpfen? | |
Es gab vor längerer Zeit einen Meningitis-Fall hier. Da hat irgendjemand | |
vom Bezirksamt Reinickendorf angerufen, weil ein Patient 14 Tage davor im | |
KitKat war. Dann gab es einen riesigen Medienaufriss. Wenn der bei Aldi | |
oder im Ritz-Carlton gewesen wäre, hätte es keinen interessiert. Es ist | |
aber spannend, über einen Fetischclub zu berichten und den Namen KiKat in | |
der Schlagzeile zu haben. Durch diese Geschichte waren alle ein bisschen | |
vorgewarnt. | |
Sie sind auch im Vorstand der Clubcommission, die mit der Initiative | |
Reclaim Club Culture die Kampagne „United We Stream“ gestartet hat. Jeden | |
Abend legen DJs in einem anderen Club der Stadt auf, die publikumslose | |
Party wird live im Internet übertragen. Wie sind die Reaktionen? | |
Wir sind total überrascht und happy, mit so einem Erfolg hätten wir nicht | |
gerechnet. Ich finde es auch super, dass die Streams auf Arte gezeigt | |
werden. Jetzt ist die Clubkultur für alle sichtbar, die sich gefragt haben, | |
was das eigentlich ist. Allein auf YouTube haben wir jeden Tag zwischen | |
50.000 und 120.000 Besucher*innen. | |
Die Zuschauer*innen werden im Rahmen der Kampagne aufgefordert, Geld für | |
die Clubszene zu spenden. Wie werden die Erlöse verteilt? | |
Das Geld wird nach einem Schlüssel verteilt. Darüber entscheidet eine | |
sechsköpfige Jury, die mit der Clubcommission oder Reclaim Club Culture | |
nichts zu tun hat. Acht Prozent gehen an einen Stiftungsfonds für zivile | |
Seenotrettung. Wenn man Bilder von Lesbos sieht, weiß man, dass andere | |
Menschen richtige Probleme haben – und das ist unerträglich. | |
Das Clubsterben war schon vor Corona auf der Tagesordnung des Bundestags. | |
In Anträgen von Linken, Grünen und FDP werden unterschiedliche Maßnahmen | |
gefordert, von einer vereinfachten Bürokratie bis hin zu | |
Kulturschutzgebieten. Was würde helfen? | |
Da bin ich mir nicht so sicher, weil die Politik nicht allzu viele | |
Möglichkeiten hat. Wenn ein privater Eigentümer vorhat, ein Gelände zu | |
verkaufen, dann ist das sein gutes Recht. Vielleicht wäre die Abschaffung | |
des Kapitalismus die beste Maßnahme. Diese Verwertungslogik müsste | |
eingeschränkt werden. Museen werden ja auch nicht danach bewertet, ob die | |
Fläche nicht lukrativer zu bewirtschaften wäre. An die Stelle der Neuen | |
Nationalgalerie könnte man eine super Tankstelle hinbauen. Das würde mehr | |
Rendite bringen. Würde aber keiner machen. Ähnlich wünsche ich es mir für | |
diese verrückten Orte, die wir noch haben. Es sind nicht mehr so viele | |
übrig. | |
Viele renommierte Clubs der Stadt entstammen einer Zeit, in der Berlin von | |
leerstehenden Fabrikruinen und postindustriellen Brachen geprägt war. Wie | |
kam es damals dazu, dass hier ein Club entstand? | |
Die Räume waren Teil des Geisterbahnhofs Heinrich-Heine-Straße. Man konnte | |
von einem Teil Westberlins über acht geschlossene DDR-Stationen wie diese | |
in einen anderen Teil fahren. Auf jedem Gleis standen Grenzschützer mit | |
Kalaschnikows. Der Club war deren Aufenthaltsraum. Als die Mauer schon | |
offen war, es aber die DDR-Regierung noch gab, konnten drei Jungs aus der | |
Clubszene eine Grundpacht für 50 Jahre abschließen. Am nächsten Tag war die | |
erste Party hier drin. Der Club hieß zunächst die Escobar, dann Walfisch | |
und Boogaloo. 1997 ist das Sage eingezogen, 2007 das KitKat. Wer weiß, was | |
es noch wird, wenn man es lässt. | |
Mittlerweile ist ein Münchner Investor Eigentümer eines Großteils der | |
Immobilie, in der sich das Sage befindet. Neulich sorgte die Schlagzeile | |
„KitKatClub schließt“ für internationales Medienecho. Was ist passiert? | |
Unser Mietvertrag verlängert sich automatisch um fünf Jahre, wenn er nicht | |
vor Ablauf gekündigt wird. Vergangenes Jahr ist mir persönlich die | |
Kündigung überreicht worden, mit der Bitte, den Laden besenrein zu | |
übergeben. Erst hieß es, der Eigentümer wolle sein Grundstück verkaufen, | |
doch das scheint mittlerweile vom Tisch. Er verhandelt mit dem KitKat über | |
einen neuen Vertrag, es gibt aber noch kein Ergebnis. Unser Vertrag hier | |
endet am 31. März. | |
Dafür wirken Sie auffällig entspannt. Haben Sie keine Angst um die Zukunft | |
des Ladens? | |
Ich habe keine Angst. Es findet sich immer ein Weg. Das ist ein wichtiger | |
Ort hier. Es wird einen internationalen Aufschrei geben, wenn jemand hier | |
mit einem Bagger kommt und das abreißt, um hier irgendein scheiß Hotel | |
hinzubauen. | |
Haben Sie für das Sage Soforthilfe vom Senat beantragt? | |
Für den Sage Club habe ich keine Hilfe beantragt. Dafür kommen wir nicht | |
infrage, da wir mehr als zehn Mitarbeiter haben. | |
Ist der Sage Club too big to fail? | |
Die gesamte Clubkultur ist zu wichtig, um sang- und klanglos zu | |
verschwinden. Wenn mir jemand 1997 gesagt hätte, euren Club gibt es 25 | |
Jahre lang, hätte ich das für Quatsch gehalten. Wir hatten leere Taschen | |
und große Klappen. Wir sind mit unseren Träumen hausieren gegangen und | |
haben diesen wunderbaren Ort verwandelt. Wir leben immer noch in der | |
freiesten, wildesten Stadt. Die ist zwar lange nicht mehr so wild, wie sie | |
mal war, aber wir werden weiterhin unseren Irrsinn irgendwo platzieren. | |
Deswegen mache ich mir keine Sorgen. | |
31 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Nicholas Potter | |
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