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# taz.de -- Computermäuse: Faires Arbeitstier gesucht
> Kaum eine Berliner Behörde bestellt faire Computermäuse – obwohl die
> Verwaltungen durchaus nach sozialen Kriterien einkaufen könnten.
Bild: Würde sich auch auf taz-Schreibtischen gut machen – schon farblich: fa…
Faire neue Welt: Für den Kaffee, aus dem Ihr Cappuccino gebrüht wurde,
haben die Kleinbauern einer mittelamerikanischen Kooperative einen guten
Preis bekommen. Die Baumwollfasern in Ihrem Freizeithemd wurden in Pakistan
mit hohen Arbeitsschutzstandards gepflückt. Herzlichen Glückwunsch! Aber
was ist eigentlich mit dem Computer, an dem Sie sitzen, dem Bildschirm, der
Tastatur, in die Sie gerade tippen?
Im Hardware-Bereich ist es tatsächlich noch der Normalfall, dass bei der
Fertigung der Geräte, aber auch bei der Gewinnung vieler Rohstoffe, die
darin stecken, die grundlegendsten Rechte der ArbeiterInnen missachtet
werden. Das Zinn in den Lötverbindungen holen etwa Kinder aus indonesischen
Minen – und gelötet wird damit fast ausschließlich in Ostasien für oft
lächerliche Stundenlöhne.
Dabei gibt es seit einigen Jahren i[1][mmerhin ein IT-Accessoire, das so
fair wie möglich produziert wird: die Computermaus des bayerischen
Start-ups „Nager IT“]. Die kleine Firma hat sich zum Prinzip gemacht, dass
möglichst in der gesamten Produktionskette mehr als nur die
„Kernarbeitsnormen“ der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erfüllt
werden – wie das Verbot von Kinderarbeit oder das Recht zu
Kollektivverhandlungen. Auch auf Gesundheitsschutz legt man Wert und auf
einen Arbeitslohn, der ein Leben „ohne Zusatzjob und ohne Überstunden
ermöglicht“, wie es in der Selbstdarstellung heißt – wobei die von der ILO
veranschlagten 60 Wochenstunden absolute Obergrenze sind.
Trotz Gehäuse aus Bioplastik und Scrollrad aus regionalem Holz sieht die
faire Maus im Prinzip wie jede andere aus und funktioniert auch genauso.
Aufgrund des deutlich höheren Einzelpreises – 29,99 Euro – ist ihre
Anschaffung im privaten Bereich durchaus ein Statement. Weil aber soziale
und ökologische Standards längst zu den Beschaffungskriterien in der
öffentlichen Verwaltung gehören, ist das Gerät mit dem gerechten Klick in
Berlin seit vier Jahren beim ITDZ gelistet, dem IT-Dienstleistungszentrum,
bei dem alle Bezirks- und Hauptverwaltungen ihre Ausstattung bestellen
müssen.
## 120.000 Stück im Einsatz
Nur: Kaum eine Behörde ordert das faire Produkt. Das geht aus der
[2][Antwort der Senatsverwaltung für Wirtschaft auf eine Anfrage der
Grünen-Abgeordneten Georg Kössler und Stefan Ziller] hervor, die der taz
vorliegt. Demnach sind in allen kommunalen Amtsstuben, Schulen und
Beteiligungsunternehmen zusammen grob überschlagen 120.000 Computermäuse im
Einsatz. Von den seit 2016 beim ITDZ bestellten 19.902 Mäusen stammten
genau 86 – rund 0,4 Prozent – von Nager IT.
Die magere Bilanz erklärt die Wirtschaftsverwaltung wie folgt: Gemäß der
Landeshaushaltsordnung hätten alle Behörden „bei Aufstellung und Ausführung
des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“
zu beachten. „Fair gehandelte Produkte sind erheblich teurer und haben
keinen Mehrwert in Ergonomie und Bedienung. Um fair gehandelte Produkte zu
fördern, wäre ein entsprechender Beschluss erforderlich, der das ITDZ
verpflichtet, mehr solcher Produkte anzubieten.“
Ganz plausibel ist das nicht. Mit der Aufnahme in den ITDZ-Katalog erfüllt
die faire Maus bereits die Kriterien des Berliner Vergabegesetzes und hat
somit quasi den Segen der Landeshaushaltsordnung. Und wäre das nicht der
Fall, würde auch ein größeres Angebot fairer Hardware nichts am
Zielkonflikt „faire Herstellung versus günstiger Preis“ ändern. Obwohl es
sich hier gewissermaßen tatsächlich um Neuland handelt, kann man also davon
ausgehen, dass die Verwaltungen nach Herzenslust faire Mäuse anschaffen
könnten – wenn sie denn wollten.
## Maus kaputt? Faire Maus!
Michael Jopp berät als „Promotor für Kommunale Entwicklungspolitik“
öffentliche Einrichtungen im Auftrag der Berliner Landesstelle für
Entwicklungszusammenarbeit zum Thema faire und nachhaltige Beschaffung.
Für ihn hat der vermeintliche Unwillen, faire Mäuse einzukaufen, viel mit
mangelnder Kenntnis zu tun: „Da geht jemandem die Maus kaputt, er sagt
Bescheid, weiß aber gar nicht, dass es auch faire Mäuse gibt.“ Die
Beschaffungsstelle kaufe dann gewohnheitsmäßig das billigste Produkt aus
dem ITDZ-Katalog. Das lasse sich etwa mit einer generellen Dienstanweisung
durch die Abteilungsleitung ändern, meint Jopp: „Das wäre ein nachhaltiger
Prozess.“ Aber auch auf politischer Ebene müsse der Wille zur fairen
Beschaffung deutlich formuliert werden.
Genauso sehen es die Grünen-Abgeordneten Kössler und Ziller, die übrigens
selbst erst vor Kurzem auf die faire Maus aufmerksam geworden sind und auch
gleich je eine für ihre Büros bestellt haben. „Ein Umstieg auf fair
hergestellte IT entspricht dem Leitbild Fair Trade Town“, erklärt Georg
Kössler und verweist damit auf das [3][Label des Vereins TransFair, das
sich die Hauptstadt seit 2018 anheften darf].
Die ausschließliche Beschaffung fairer Mäuse rechtlich verbindlich zu
machen, hält Kössler für schwierig. „Wir wollen aber den Beschluss
herbeiführen – sei es im Abgeordnetenhaus oder im Senat –, dass die
Beschaffungsstellen angehalten sind, diese Hardware zu kaufen.“ Genug Geld
für die digitale Modernisierung stehe bereit, nun gehe es um politische
Vorbildwirkung und darum, dem Markt ein Signal zu geben. Das gelte für alle
Einheiten der Verwaltung, in besonderem Maße aber für die grünen Häuser:
„Ich erwarte, dass die vorangehen“, sagt Kössler.
Eines dieser Häuser hat sich im Rahmen der taz-Recherche schon festgelegt:
Ramona Pops Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe. „Wir
werden zukünftig nur noch fair produzierte Computermäuse kaufen, wie sie
das ITDZ bereits anbietet“, sagt Wirtschafts-Staatssekretärin Barbro Dreher
auf Nachfrage.
12 Jul 2019
## LINKS
[1] https://www.nager-it.de/
[2] http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/s18-199…
[3] https://www.fairtrade-towns.de/aktuelles/
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
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nachhaltige Kleidung
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Globalisierung
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