| # taz.de -- Christen mit einer Mission: Bete, warte, vertraue | |
| > Ein Angebot für Menschen soll es sein, die Orientierung suchen. In Bremen | |
| > treffen sich evangelikale Gruppen bei einer Werbeveranstaltung für Gott. | |
| Bild: Werbung für Gott vor dem Bremer Rathaus | |
| Ein sonniger Samstag Ende Juni auf dem Bremer Marktplatz, gesäumt von | |
| historischen Gebäuden: Rathaus, Dom und Schütting, Sitz der Bremer | |
| Kaufmannschaft. Dazwischen befinden sich Cafés, auf ihren Terrassen sind | |
| alle Sitzplätze belegt, in der Mitte des Platzes macht ein Mann gigantische | |
| Seifenblasen, um ihn herum rennen Kinder, ein Brautpaar lässt sich vor dem | |
| Schütting fotografieren. Mitten durch den Trubel fahren langsam vier | |
| Fahrräder. Sie ziehen etwa zwei mal zwei Meter große Plakate auf Rollen | |
| hinter sich her. Darauf stehen die Slogans „Ich glaub an dich“, „Ich bin | |
| hier“ oder einfach nur „Moin“. Unterschrieben ist jedes Zitat mit „Gott… | |
| Die Radler:innen stellen ihre Fahrräder auf dem Marktplatz ab und | |
| gesellen sich zu einer Gruppe von Leuten, die gerade zwischen dem | |
| Parlamentsgebäude und dem Schütting eine überdachte Bühne errichten. Auf | |
| dem Dach der mobilen Kirche stehen oben die Worte: „Bete. Warte. Vertraue.“ | |
| Für eine Stunde soll hier gepredigt und gesungen werden. | |
| Reiner organisiert die Fahrradfahrten und ist nicht glücklich mit den | |
| Plakaten. „Die sind verdammt schwer, und man kommt über sie nicht ins | |
| Gespräch“, sagt der 57-Jährige, der seinen Nachnamen nicht nennen will und | |
| an der Universität Bremen im Bereich der Elektrotechnik forscht. Immerhin | |
| habe er schon mit einem Obdachlosen kurz über Gott reden können. „Das war | |
| gut, für solche Gespräche machen wir das Ganze“, sagt Reiner. | |
| „Das Ganze“ ist eine Missionskampagne überwiegend evangelikaler | |
| Gemeinden. Unter dem Motto „Gott spricht in Bremen“ finden zwischen dem 5. | |
| Juni und 17. Juli in 35 Gemeinden rund 100 Veranstaltungen statt, um | |
| „möglichst viele Leute mit Gott in Kontakt zu bringen“, wie es auf | |
| [1][gott.net], der Homepage des Veranstalters, der Stiftung Marburger | |
| Medien, heißt. | |
| Vom 2. bis zum 9. Juli soll auf der Bremer Bürgerweide ein Zelt mit Platz | |
| für 500 Personen errichtet werden. Dort wollen die Gemeinden mit weiteren | |
| Veranstaltungen Menschen mit Gott in Kontakt bringen. Und am vergangenen | |
| Sonntag schipperte ein Boot über die Weser, darauf stand in Weiß auf Grün, | |
| den Farben des Fußballclubs Werder Bremen, „Ich bin für dich da“. Über d… | |
| Homepage kann Merchandise zum Verteilen bestellt werden: Bierdeckel („Ich | |
| weiß, wie’s dir geht – Gott“), Postkarten („Ich glaub an dich – Gott… | |
| Magnet-Sticker („Überlasse mir deinen Müll – Gott“), Einkaufswagen-Chip | |
| („Ich hab schon für dich bezahlt“) oder ein Ansteckbutton („Like – Got… | |
| „Wir möchten nicht polarisieren, nicht nerven, distanzlos bedrängen oder | |
| belehren“, sagt der Sprecher der veranstaltenden Stiftung Marburger Medien, | |
| Marc Daniel Kretzer, über die „Stadtkampagne“. „Ich hoffe ehrlich, dass … | |
| das der Internetseite, den Plakaten und Medien sowie den Veranstaltungen | |
| abspüren kann.“ | |
| Aber natürlich geht es der Stiftung um die Verbreitung des Glaubens: „Wir | |
| hoffen, dass besonders Menschen angesprochen werden, die Ermutigung oder | |
| Orientierung wünschen oder für eine neue spirituelle Erfahrung | |
| aufgeschlossen sind“, sagt Kretzer. | |
| Solch offensive Mission betreiben in Deutschland fast ausschließlich | |
| evangelikale, also konservative bis fundamentalistische Gemeinden, die die | |
| Bibel vor allem in Fragen der Sexualität und der Geschlechterrollen | |
| wörtlich nehmen und damit ihre Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen, | |
| Homosexualität, Sex vor der Ehe und Geschlechtergerechtigkeit begründen. | |
| Ein Teil von ihnen ist außerhalb, ein Teil innerhalb der Landeskirchen der | |
| evangelischen Kirche organisiert, die weniger dogmatisch mit diesen Themen | |
| umgehen. Zudem stehen diese wegen der im Namen der Mission begangenen | |
| Verbrechen und Kriege in der Vergangenheit Missionseinsätzen skeptisch | |
| gegenüber und warten lieber darauf, dass die Menschen zu Gott finden, weil | |
| ihnen der Gottesdienst gefallen hat oder sie gute Erfahrungen mit einem | |
| evangelischen Kindergarten gemacht haben, wie es auf der [2][Homepage der | |
| Evangelischen Kirche] in Deutschland heißt: „Mission gelingt dort, wo der | |
| Glaube in den Gemeinden so gelebt wird, dass er nach außen ausstrahlt.“ | |
| ## Im liberalen Bremen | |
| Es ist kein Zufall, dass die aktuelle Missionskampagne im liberalen Bremen | |
| stattfindet. Es gibt gut vernetzte evangelikale Gemeinden in der | |
| Landeskirche, darunter St. Martini, deren Pastor Olaf Latzel bundesweit als | |
| „Hassprediger“ bekannt wurde, nachdem er 2019 gefordert hatte, „mit dem | |
| Schwert des Glaubens“ gegen die „Genderideologie“ vorzugehen, und | |
| Homosexualität als „todeswürdig“ bezeichnete. | |
| Latzel wurde im Mai vom Landgericht in Bremen in zweiter Instanz von dem | |
| [3][Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen]. Die Staatsanwaltschaft hat | |
| Revision angekündigt. Das Ende 2020 von der Bremer Landeskirche | |
| eingeleitete Disziplinarverfahren, in dem er bereits ein Dienstverbot | |
| bekommen hatte, ruht so lange. | |
| Dass Latzel und andere fundamentalistische Pastoren überhaupt predigen | |
| dürfen und aus Kirchensteuern bezahlt werden, liegt daran, dass die Bremer | |
| Landeskirche die deutschlandweit liberalste Kirchenverfassung hat. Hier | |
| wählt die Gemeinde ihren Pastor oder in den nicht-evangelikalen Gemeinden | |
| auch ihre Pastorin aus, es gibt keinen Landesbischof, der ihnen das Wort | |
| verbieten kann, weil es von seiner Linie abweicht. | |
| Mit ihren gemäßigteren evangelikalen Mitgliedern kommt die Bremer | |
| Landeskirche hingegen gut klar. Beispielsweise mit Johannes Müller, dem | |
| ehemaligen Jugendreferenten der Matthäusgemeinde, die wie St. Martini und | |
| die Stiftung Marburger Medien Mitglied der Evangelischen Allianz ist, eines | |
| deutschlandweiten Zusammenschlusses überwiegend außerhalb der Landeskirchen | |
| organisierter evangelikaler Gemeinden und Vereine. Darunter befinden sich | |
| erzkonservative Pfingstler:innen, aber auch innerhalb des evangelikalen | |
| Spektrums vergleichsweise aufgeklärte Protestant:innen. | |
| Auch Müllers „Lighthouse“ – ein Projekt der Bremischen Evangelischen Kir… | |
| – gehört dazu. Das Lighthouse hat seine Räume im ehemaligen | |
| St.-Martini-Pfarrhaus und ist laut Eigendarstellung auf der Homepage eine | |
| „Location“, aber auch eine „Ideenschmiede“. Tatsächlich handelt es sic… | |
| ein Missionsprojekt, und Müller macht dort das, was die Evangelikalen meist | |
| besser können als Normalprotestant:innen: schmissige Formate entwickeln, | |
| die auf viele Menschen interessanter wirken als Gottesdienste und | |
| Singkreise. Etwa ein „Feuerabend – ein echtes Männerding“ oder | |
| Gottesdienste mit Livemusik und Bier. Das letztere allerdings hinterher. | |
| Müller und Kretzer von den Marburger Medien kennen sich und hatten die Idee | |
| für die Bremer Stadtkampagne. Müller ist auch auf dem Marktplatz dabei und | |
| spricht dort vor der mobilen Kirche. „An den Themen Leid, Tod und Schuld | |
| kommt niemand vorbei, und Gott hat darauf eine Antwort“, ruft er. Rund | |
| dreißig Personen stehen in einem Halbkreis um ihn herum. Die meisten von | |
| ihnen kennen sich aus den verschiedenen Gemeinden, erzählen sie. Die | |
| unbeteiligten Passant*innen schieben sich an den Christ*innen vorbei. | |
| Neben Müller reden auch noch andere Personen. Zwischendurch gibt es immer | |
| wieder musikalische Einlagen. Eine Frau berichtet, wie sie zu Jesus | |
| gefunden hat. | |
| „Gott ist bereit für ein Gespräch mit dir“, ruft Müller der Menge zu. Er | |
| selbst steht für ein Gespräch nicht bereit, jedenfalls nicht mit der taz, | |
| obwohl er neben Kretzer Pressesprecher der Kampagne ist. Ein zögernd | |
| zugesagtes Interview hatte er im Vorfeld bereits kurzfristig abgesagt, weil | |
| er sich das Handgelenk gebrochen hat. Auch zu einem Telefonat sah er sich | |
| nicht imstande. Auf dem Marktplatz sagt er dann nur, dass ihm die | |
| Berichterstattung der taz über evangelikale Gemeinden und Vereine in Bremen | |
| nicht gefällt und er deswegen nicht mit der taz sprechen will. | |
| Auskunftsfreudiger als Müller ist hingegen Ralf, der seinen Nachnamen aber | |
| auch nicht in der Zeitung lesen will. Der ehemalige Bundeswehrsoldat trägt | |
| ein kurzärmliges blauweißes Hemd, darüber eine gelbe Warnweste. Wenn er | |
| über Gott spricht, lächelt er verschmitzt. „Es geht darum, Gott im Gebet | |
| wirklich zu begegnen“, sagt er. Der Glaube ist für ihn etwas sehr | |
| Persönliches. Eine Erleichterung seiner Schuld, denn Ralf, so erzählt er, | |
| hat Ehebruch begangen. „Trotzdem ist Gott für mich da“, sagt er. Besonders | |
| Jesus sei er „dankbar für seinen Tod am Kreuz“. | |
| Für Ralf steht fest, dass die Bibel Zeugnis ablegt von dem, was wirklich | |
| geschehen ist. Er fragt: „Wieso glauben wir, dass es die Schlacht im | |
| Teutoburger Wald gegeben hat, wenn es nur ein paar historische Hinweise auf | |
| die Schlacht gibt, aber gleichzeitig glauben wir nicht an die Auferstehung | |
| von Jesus Christus, obwohl es hunderte Berichte darüber gibt?“ | |
| Ralf ist es wichtig, die Frohe Botschaft unter die Leute zu bringen. | |
| Deshalb stellt er sich auch unabhängig von der Stadtkampagne auf die Straße | |
| und erzählt denen, die es hören wollen, von Gott. Dazu hat er 2015 die | |
| „Initiative Evata“ gegründet. „Es ist ein bisschen wie Werbung machen“, | |
| sagt er. | |
| ## Zweifelsfragen nicht erwünscht | |
| Dass Ralf die Opferung des Gottessohnes so beeindruckt, sei typisch für | |
| evangelikale Christ:innen, sagt Martin Fritz von der Evangelischen | |
| Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Er berät unter anderem für die | |
| Evangelische Kirche in Deutschland zu Evangelikalismus und | |
| fundamentalistischem Christentum. Die Vorstellung, dass Jesus für unsere | |
| Sünden am Kreuz gestorben ist, sei zentral für die evangelikale Strömung, | |
| sagt Fritz. | |
| „Das ist eine Lehre, die sich in Ansätzen in der Bibel findet, die dann | |
| aber erst im Mittelalter ausformuliert wurde. Aber spätestens in der | |
| Aufklärung wurden Zweifel laut, ob Gott wirklich ein Menschenopfer bringen | |
| musste, um eine vererbte Sünde zu vergeben“, sagt Fritz. Und: „Solche | |
| Zweifelsfragen werden im Evangelikalismus jedoch häufig gar nicht | |
| zugelassen.“ | |
| Genau dieser mangelnde Raum für Zweifel, der den Evangelikalismus mit dem | |
| Katholizismus verbindet, ist das, was viele an ihm so anziehend finden. Ein | |
| Beispiel ist Frank Laffin. Er besucht das „Gebetshaus“ in der Bremer | |
| Neustadt. Während der Kampagne wird dort das „Beten für Einsteiger“ | |
| angeboten. Der 43-Jährige ist hoch gewachsen und schlank. Seine Haare sind | |
| ansatzweise ergraut, er trägt eine Brille und hat einen wachen Blick. | |
| Bei einem Spaziergang durch den Neustädter Park, vorbei an Yogagruppen und | |
| Jugendlichen mit Handymusik, spricht er über die Szene. Mit Rechtsradikalen | |
| und Donald Trump will Frank nichts zu tun haben. „Abgesehen von der AfD | |
| habe ich schon jede Partei gewählt“, sagt er. Frank bezeichnet sich gerne | |
| als evangelikal. Ihn stört nur, dass der Begriff als politischer | |
| Kampfbegriff benutzt wird. Ihm sind die Meinungsverschiedenheiten in der | |
| Szene wichtig. | |
| So fänden die meisten Leute, die er kenne, die Worte von Latzel „unschön“, | |
| wie er sagt. „Gleichzeitig gibt es aber auch eine gewisse Bewunderung für | |
| seine Standhaftigkeit, denn mit der strengen Auslegung der Bibel stimmen | |
| wir ja überein.“ Zu dieser strengen Auslegung gehört die Ablehnung von | |
| Homosexualität, wobei Evangelikale meistens betonen, dass sie zwar „die | |
| Sünde“, nicht aber den Sünder oder die Sünderin, also den oder die | |
| Homosexuelle ablehnen. Auf diese Weise hatte sich auch Olaf Latzel vor | |
| Gericht verteidigt. | |
| Es ist ein Spagat zwischen der reinen konservativen Lehre und dem modernen | |
| weltoffenen Anschein, den die Evangelikalen bewältigen müssen. Dabei | |
| unterscheidet sich das Angebot, das die Evangelikalen machen, im Kern nicht | |
| von dem anderer Konfessionen. So gibt es beispielsweise in der | |
| evangelikalen Hohentorsgemeinde an einem Dienstagabend eine Bibelstunde | |
| unter dem Motto „Ein neuer Anfang ist möglich“. Die Hohentorsgemeinde | |
| bietet während der Kampagne besonders viele Angebote an. Rund ein Dutzend | |
| Personen sind in das Gemeindehaus gekommen, alles bekannte Gesichter, wie | |
| der Pastor Burkhard Ahlers sagt. Hinterher sitzt er entspannt in einem | |
| Ohrensessel im hinteren Teil des Raumes. Die Beine hat er | |
| übereinandergeschlagen. Der 40-Jährige trägt Turnschuhe und Kapuzenpulli. | |
| „Bei mir ist jeder willkommen“, sagt er, „das gilt auch für Homosexuelle… | |
| Denn jede:r könne bei Gott die Erlösung finden. Mehr möchte er zum Thema | |
| Homosexualität allerdings nicht sagen, und auch die Äußerungen von Olaf | |
| Latzel will er nicht öffentlich kommentieren – also sich auch nicht | |
| distanzieren. | |
| Vorhin, in der Bibelstunde, hat Ahlers beschrieben, wie es um die Welt | |
| steht: Ein moderner Mensch nähme in einem Monat so viele Informationen auf, | |
| wie ein mittelalterlicher Mensch in seinem ganzen Leben. Seine | |
| Zuhörer:innen stöhnen bei diesen Worten kollektiv auf. | |
| Ahlers fährt fort: Jede zweite Ehe gehe in Deutschland in die Brüche, die | |
| Menschen wüssten nicht, wie sie mit ihrer Schuld umgehen sollen, viele | |
| seien süchtig und sähen keinen Ausweg. Dann drohe der Suizid. Doch, er | |
| präsentiert die Lösung, Gott ermögliche es jedem Menschen, neu zu beginnen. | |
| Auch gläubige Menschen erlebten schlimme Dinge, der Unterschied zu den | |
| Ungläubigen sei nur, dass sie in Zwiesprache mit Gott treten können und so | |
| Trost finden. | |
| Ganz ähnlich hatte es Lisa eine halbe Stunde vor ihm formuliert. Gemeinsam | |
| mit Ruth und Angela saß sie an einem der Tische im Gemeindehaus. Lisa ist | |
| schon etwas älter, trägt kurze rotbraune Haare und strahlt jeden an, der | |
| das Gemeindehaus betritt. „Wir freuen uns hier immer über neue Gesichter“, | |
| sagt sie und bietet Tee in Pappbechern an. Lisa stellt sich selbst als „die | |
| Oma der Gemeinde“ vor. Sie ist seit 28 Jahren Mitglied. Früher habe mal in | |
| der Zeitung über sie gestanden, dass sie 24 Geschwister habe. „Wie eine | |
| Familie sind wir“, sagt sie, „und wir sind nie alleine, weil der Herr bei | |
| uns ist.“ | |
| Mitarbeit: Eiken Bruhn | |
| 3 Jul 2022 | |
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| [2] https://www.ekd.de/Mission-11237.htm | |
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| Lukas Scharfenberger | |
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