# taz.de -- Chance in der Coronakrise: Europa steckt in der Krise, endlich | |
> Die Coronakrise stellt Europa auf die Probe. Schaffen wir es, solidarisch | |
> miteinander zu sein? Ein Anfang wäre, eigene Privilegien zu hinterfragen. | |
Bild: Europa macht die Grenzen dicht, aber die Herzen sollten offen bleiben | |
Vor fünf Wochen saß ich im Zug nach Süddeutschland. Zwei Asiat_innen | |
stiegen ein. Ich sah sie viermal an mir vorbeiziehen. Es gab hier und da | |
freie Plätze, vorsichtig bewegten sie sich auf sie zu, doch jedes Mal | |
wurden sie abgeschreckt von dem kollektiven Starren des halben Waggons. Sie | |
beschlossen, es woanders zu probieren. Am Ende standen sie auf einer dieser | |
wackligen Metallplatten, die zwei Waggons verbinden, mit größtmöglichem | |
Abstand zu allen anderen, die inzwischen passiv-aggressiv zu tuscheln | |
begannen. | |
[1][Was Asiat_innen wegen Corona erlebten], als sein Ausbruch sich noch | |
weitgehend auf China und dessen Nachbarländer beschränkte, ist dasselbe, | |
was muslimisch markierten Personen mit 9/11 passiert war: Schuldzuweisung | |
für eine globale Krise aufgrund von phänotypischen Merkmalen. Es gibt einen | |
Ausdruck dafür: gruppenbezogener Rassismus. | |
Natürlich hat es Rassismus schon vor Corona gegeben, doch er wurde mit dem | |
Ausbruch des Virus besonders greifbar, besonders spürbar. Dass heute Europa | |
zum Corona-Epizentrum geworden ist und Europäer_innen in viele Länder nicht | |
mehr einreisen dürfen, ist insofern vielleicht gar nicht mal so schlecht. | |
Ich meine das nicht zynisch. Auch ich sorge mich um meine Mitmenschen. Auch | |
ich nehme die Pandemie ernst. Aber ich denke, es geht beides zusammen: sich | |
des Ernsts der Lage bewusst sein und die [2][Chancen in ihr erkennen]. | |
## Die eigenen Privilegien hinterfragen | |
Denn mit Corona sind wir dieselbe Gesellschaft wie vorher, nur dürfen wir | |
uns jetzt quasi durchs Mikroskop betrachten. „Unsere Solidarität, unsere | |
Vernunft, unser Herz füreinander sind auf eine Probe gestellt“, [3][fasste | |
es Bundeskanzlerin Merkel am Donnerstag zusammen], als sie uns alle darum | |
bat, in Selbstisolation zu gehen. | |
Diese schönen Worte hätten auch als Kommentar nach dem rechtsextremen | |
Anschlag in Hanau gepasst oder als Reaktion auf die desaströse Lage für | |
Geflüchtete an der türkisch-griechischen Grenze. Nur hätten sie sich | |
weniger Menschen zu Herzen genommen. Das Virus aber kann jeden von uns | |
treffen. Er macht keine Unterschiede. Die Gesellschaft schon. | |
Vielleicht können wir die soziale Isolation dazu nutzen, darüber | |
nachdenken, was das überhaupt ist, diese Solidarität. Denn dass sie nicht | |
gerade zu den Stärken dieses Landes und Kontinents zählt, kann man immer | |
wieder aufs Neue beobachten, zuletzt an den EU-Außengrenzen. [4][Man schoss | |
auf Menschen], die vor Krieg flohen, vor Krankheit, vor kaputter | |
Infrastruktur, vor Hunger, vor Tod. Kommen diese Ängste irgendwem bekannt | |
vor? | |
Solidarität ist kein Geschäft, sie ist kein Geben und Nehmen, man erwartet | |
sich keinen Profit davon, wenn man sich mit einer betroffenen Gruppe | |
solidarisiert. Deshalb kann Solidarität nur dort beginnen, wo die eigenen | |
Privilegien hinterfragt werden. Vielleicht ist diese Krise das Beste, was | |
Europa passieren konnte. Wenn wir denn daraus lernen. | |
16 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
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