# taz.de -- Butscha und die Erinnerung: Auf den Spuren der Mörder | |
> Ein Redakteur arbeitet in Butscha als Bestatter. Ein Architekt hilft bei | |
> Reparaturen, ein Künstler will dort sein Atelier einrichten. Sie wollen, | |
> dass man sich an den Ort erinnert. | |
Bild: 14. November in Bucha. Blick aus einer zerstörten Küche | |
Der Sound des Kiewer Novembers, das ist das Rattern von Generatoren, das | |
sich bei Einbruch der Dunkelheit im Stadtzentrum von einer Straße in die | |
nächste zieht, in Wohnhäusern von einer Etage durch das Treppenhaus, das in | |
Cafés, Restaurants und Hotels zu hören ist, die es sich leisten können. So | |
begegnet die Stadt der grassierenden [1][Stromknappheit] – ausgelöst durch | |
die gezielte russische Bombardierung ukrainischer Infrastruktur. | |
Generatoren sind nur eine weitere Behelfslösung, mit denen sich die | |
Bevölkerung an die prekären Verhältnisse der fragilen Realität anpasst. Der | |
russische Angriffskrieg geht in den zehnten Monat – und in den ersten | |
Kriegswinter. Zur Taktik der russischen Militärs gehört es, der | |
ukrainischen Bevölkerung systematisch Licht, Wärme und Wasser zu entziehen: | |
Aktuell sind durch die massiven Angriffe etwa 50 Prozent des Stromnetzes | |
beschädigt und über zehn Millionen ukrainische Haushalte ohne Elektrizität, | |
erklären offizielle Stellen. | |
„Zuerst wurden Molotowcocktails gebastelt, dann Panzerfallen und tragbare | |
Kocher gebaut, dann Tarnnetze gewebt. Jetzt sind es die Generatoren, die zu | |
Symbolen für unsere Kriegsrealität geworden sind – für unsere | |
Anpassungsfähigkeit“, sagt der Architekt Borys Medvedev bei einer | |
Zigarette, gegen eindringliches Geratter der Generatoren anredend. Auf sein | |
Gesicht fällt das gedimmte Licht aus den Fenstern des Kiewer Cafés, wo er | |
gerade an einem neuen Kunstprojekt arbeitet. | |
Als „Ruinen-Tourismus“ bezeichnet Medvedev die Aktionen, denen er sich | |
angeschlossen hat. Aufräum- und Reparaturarbeiten in den stark zerstörten | |
Vororten der Hauptstadt werden hauptsächlich von Freiwilligen erledigt. | |
Medvedev, so sagt er, interessiere der Gedanke einer „Nullifizierung“ der | |
Realität – auf den Ruinen werde etwas Neues entstehen. „Diese Ruinen sind | |
das Material, das uns gegeben wurde, um die Zukunft zu formen“, sagt er | |
über sein Kunstprojekt „Dehumanisation“. Dass seine Formulierung zynisch | |
klingen könnte, dessen ist er sich bewusst: „Ich habe keinen persönlichen | |
Bezug zu [2][Butscha]“, räumt er ein. | |
Den besitzt [3][Nikita Kadan], ein in Kiew geborener, vielfach | |
ausgezeichneter Künstler, der sich entschieden hat, diesen Winter in | |
Butscha zu verbringen – sein dortiges neues Studio will er im kommenden | |
Jahr in eine Kunstresidenz verwandeln. | |
Durch den Krieg habe sich die Liste der Galerien und Museen, mit denen er | |
zusammenarbeite, um etwa ein Drittel vergrößert. „Die aktuelle | |
Aufmerksamkeit des Westens für die ukrainische Kultur ist die Kompensation | |
für die Waffen, die der Ukraine nicht gegeben werden“, sagt Kadan, dessen | |
Themen Erinnerungspolitik, kollektive Traumata und Katastrophen sind, auf | |
der Taxifahrt nach Butscha. Er nutzt die internationale Bühne trotzdem, | |
wann immer sie ihm durch seine Arbeit geboten wird, um die Ukraine ins | |
Sichtfeld „des Westens“ zu rücken – und an den Krieg zu gemahnen. | |
## Der Weg nach Butscha | |
Der Weg nach Butscha führt aus dem Zentrum in Richtung Nordosten über eine | |
von Fabriken, Businesszentren und Autowerkstätten gesäumte Straße. Vorbei | |
an Militärposten und einem Markt, wo Rentnerinnen mit Kopftüchern | |
leuchtende Herbstblumensträuße neben Panzerfallen verkaufen. Diesen Weg | |
wären die russischen Truppen gekommen, hätten sie das Ziel ihres | |
gescheiterten Blitzkriegs Ende Februar/Anfang März erreicht. | |
Butscha: Das sei für ihn immer ein Ort gewesen, der sich einerseits durch | |
Datschen, Fichtenwald und Seen, andererseits aber auch durch bourgeoise | |
Wohnkomplexe auszeichnete. Nach 2014 entstanden hier neue Wohnkomplexe | |
unter so vielverheißenden Namen wie „Rich Town“ oder „Green Life“ – | |
besonders Geflüchtete aus den umkämpften Gebieten in der Ostukraine | |
siedelten sich an. Jetzt, da Orte wie Irpin stark zerstört sind, denken | |
internationale Architekten bereits über einen umfassenden Wiederaufbau der | |
Stadt nach, der zum Modell für andere massiv zerstörte Kommunen wie | |
Mariupol, Charkiw oder Cherson werden könnte. | |
Nahe der Ortschaft Horenka werden erste Zerstörungen sichtbar. | |
Hochgewachsene rote Fichtenstämme mischen sich mit schicken Wohnanlagen. | |
Datschen säumen die Straße, teils verbarrikadiert, teils zerstört und teils | |
wieder instand gesetzt. | |
[4][Oleksandr Mykhed], Schriftsteller und freiwilliger Soldat der | |
ukrainischen Armee, zeigt auf die Überreste seines Hauses: ein schwarz | |
verrußter Krater, in dem nur ein wirres Skelett aus Fenstern und Mauerwerk | |
zu erahnen ist. Es scheint, als sei die gesamte Reihenhauskonstruktion im | |
Begriff in sich zusammenzufallen. | |
Anfang April stellte Mykhed, Autor des preisgekrönten Buches „Dein Blut | |
wird die Kohle tränken“, in einem Tagebucheintrag auf der Seite des | |
PEN-Clubs Ukraine die Frage: „Sind Worte nach dem Butscha-Massaker noch | |
möglich?“ Die Lehre dieses Krieges sei: „Bereite dich auf das | |
Allerbitterste vor, aber die Russen werden etwas noch Grausameres | |
anrichten.“ Mykhed erinnerte so auch an Theodor Adorno, der 1949, vier | |
Jahre nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus erklärt hatte: „Nach | |
Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.“ | |
## Die verlorene Nachbarschaft | |
Oleksandr Mykhed führt durch seine verlorene Nachbarschaft in Hostomel. Er | |
erzählt, wie er und seine Frau am 24. Februar von Explosionen geweckt | |
wurden und flüchteten; von seinen Eltern, die von ihrem Fenster aus ansehen | |
mussten, wie die russischen Soldaten in Butscha einfuhren. 20 Tage lebten | |
sie unter der Besatzung, nachdem sie sich gegen die Evakuierung gewehrt | |
hatten – wegen der Katze, die ihr Sohn Oleksandr ihnen zwei Jahr zuvor | |
geschenkt hatte. | |
„Alles liegt in Blut, alles ist Erinnerung“, sagt Mykhed, als wir vor den | |
ausgebrannten Gebäudehüllen in einem älteren Teil von Hostomel stehen. Er | |
wiederholt sich auf einer Straßenkreuzung, wo zehn russische Panzer in die | |
Enge getrieben worden waren: „Wir dürfen nicht vergessen, dass auch diese | |
Kreuzung in Blut getränkt ist.“ | |
Auf der Hauptstraße unweit eines modernen Wohnviertels begann am 25. | |
Februar eine russische Spezialeinheit entgegenkommende Wagen zu beschießen. | |
Auf ihrer Rechnung: zehn Fahrzeuge, sechs getötete und sechs verletzte | |
Menschen. „Wir kennen ihre Namen und wissen, dass sie russische Offiziere | |
waren“, erklärt Mykhed, zwischen Fichtenbäumen, unweit der Schnellstraße | |
stehend. | |
Sie waren hier, hatten ein Ziel und eine Intention. Wie einen | |
Erinnerungsdiskurs schaffen, wie der Opfer des Kriegs gedenken, wenn ein | |
Ende der russischen Angriffe nicht abzusehen ist? Schreiben sei nur eines | |
der Instrumente, die die Grundlage für ein kollektives Erinnern legen | |
könnten. „Die Verbrechen dürfen nicht vergessen werden – das schriftliche | |
Dokument ist mein Gedächtnis.“ | |
Blau-gelbe Flaggen wehen auf dem Friedhof von Butscha. „Den Toten ist es | |
eigentlich egal, ob und wie sie bestattet werden, aber sie haben | |
Verwandte“, sagt Evgen Spirin, eigentlich Chefredakteur des ukrainischen | |
Medienprojekts [5][Babel]. Er steht neben einem ordentlichen Raster aus | |
aufgehäuften Erdhügeln und Holzkreuzen in Turnschuhen auf matschigem Grund. | |
## Der Friedhofsgräber | |
„Wir waren diejenigen, die diese Gräber ausgehoben und die Leichen | |
bestattet haben. Normale Leute – nicht die CIA oder Special Security | |
Forces“, sagt er. In diesem Abschnitt des am Ortsrand gelegenen Friedhofs | |
fehlen die Namen – die Kreuze sind lediglich mit Nummern, Verweisen auf den | |
Fundort und Aufschriften „Hier ruht …“ versehen. Dies sei ein Ort, um der | |
Toten zu gedenken und die ukrainischen Verteidiger zu ehren. Die Namenlosen | |
stammen aus einem Massengrab auf dem Gelände der St.-Andreas-Kirche in | |
Butscha. | |
Nach Butschas Fall am 3. März wurden Menschen, die sich auf vorbereiteten | |
Listen fanden, sowie freiwillige Soldaten und einfache Zivilisten, die den | |
russischen Angreifern suspekt erschienen, unter anderem in ein Bürogebäude | |
auf der Jablunskastraße Nummer 144 verschleppt, dort gefoltert und zum Teil | |
ermordet. Seit April arbeitet Evgen Spirin als Bestatter – er kümmert sich | |
mit anderen Freiwilligen um die Dokumentation der Kriegsverbrechen und die | |
letzte Ruhe der Ermordeten. „Im Kiewer Umland töteten die Russen mehr als | |
1.500 Menschen, 416 allein in Butscha“, sagt er. „Das sind gezielte | |
Verbrechen. Wir wollen beweisen, dass es ein Genozid ist.“ | |
Wochenlang erledigte Spirin morgens seine journalistische Arbeit, um dann | |
zum „Morh“, Ukrainisch für Leichenschauhaus, zu fahren. Nur siebzehn | |
Personen konnten sie nicht identifizieren: „Ein gutes Ergebnis, denke ich.“ | |
Auch schwarzer Humor habe geholfen, mit der täglichen Konfrontation mit dem | |
Tod fertig zu werden, sagt Evgen Spirin. Seine lilafarbene Wollmütze | |
scheint es zu bestätigen – die Aufschrift „Shit happens“ prangt auf sein… | |
Stirn. „Anfangs dachten wir: Journalisten können auch Aktivisten sein. | |
Jetzt denken wir: Jeder Ukrainer hat einen Beitrag zu leisten.“ | |
Neben dem Bahnhof von Butscha ist an diesem Novembersonntag ein Markt | |
aufgebaut: Kartoffeln und Äpfel, Birnen, Mandarinen und Honiggläser | |
leuchten vor dem Hintergrund von Schutt und grauem Asphalt. Trödel, | |
Kurzwaren, aber auch selbst gezogene Pflanzen stehen zum Verkauf. Der | |
Künstler Nikita Kadan hält eine gerade erstandene Topfplanze im Arm: „Die | |
hat die russische Besatzung überlebt“, sagt er. | |
Zwei Männer mit faltigen, aber freundlichen Gesichtern unterhalten sich, | |
neben ihnen glänzen auf der Autohaube drapierte Bestecke, Töpfe und | |
dekorative Figuren in der tiefstehenden Sonne. „Wenn wir die Rashisty nicht | |
aufhalten, gehen sie bis nach Europa – und das wird schrecklich sein“, sagt | |
einer von ihnen mit dem Namen Ihor. Er benutzt mit Rashisty eine | |
Sprachschöpfung, die so viel wie „russische Faschisten“ bedeutet und aus | |
ebenjenen zwei Wortstämmen zusammengesetzt ist. | |
## Der Rentner | |
Der Rentner erzählt, wie er die 37 Tage russische Besatzungszeit erlebt | |
hat: Aus seiner Wohnung auf der Voksalnastraße heraus habe er die | |
russischen Panzer in Richtung Irpin feuern sehen. Er versteckte sich, ging | |
nicht hinaus. Eine Nachbarin sei beim Wasserholen von Geschossen ins Bein | |
getroffen worden, ein Nachbar am Hals und im Rücken. „Sie wüteten | |
grenzenlos.“ | |
Mit zwei Tassen Tee und einem Teller Suppe am Tag musste er auskommen. Dass | |
sie überlebt haben, sei reines Glück gewesen. | |
Dann bittet Ihor um Hilfe. Er sei Feuerwehrmann gewesen, behindert durch | |
seinen Einsatz in Tschernobyl. Seine Pension reiche nicht für die | |
Renovierung des Schadens an seiner Wohnung, geschweige denn an seinem | |
Backsteinhaus am Stadtrand. | |
Bis auf eine provisorische Dachkonstruktion sei bisher nichts unternommen | |
worden. Freiwillige seien zwar vorbeigekommen, um sich das Haus und seine | |
Wohnung anzusehen, dann aber einfach wieder weggefahren. Mit Unterstützung | |
von der Regierung sei nicht zu rechnen – schon gar nicht vor dem Winter. | |
„Nun, wie wohnen wir? Im Schlafsack wohnen wir.“ | |
Eine Brücke verbindet den nördlichen mit dem südlichen Ortsteil von | |
Butscha. Über die südlich verlaufende Voksalna, gesäumt von einer Mischung | |
aus Hausüberresten, leeren Trümmerfeldern, teils wiederhergerichteten und | |
teils neu gebauten Wohnhäusern, kommen wir auf eine Straße am Ortsrand, die | |
nach dem ukrainisch-sowjetischen Sänger Nasariy Jaremtschuk benannt ist. | |
Hier stehen Wohnkomplexe aus den 2000ern – rußige, verformte Spuren sind an | |
einigen Stellen der neunstöckigen Gebäudestrukturen erkennbar. | |
„Das Licht funktioniert nicht“, warnt ein Bewohner vor dem Hauseingang. Je | |
weiter wir im Treppenhaus hinaufsteigen, desto lauter wird das Summen eines | |
Generators. Im siebten Stock hängen mehre Mobiltelefone an einer | |
Stromquelle, zwei Kinder und ein Mann hocken auf den Stufen. Vom Balkon aus | |
fällt der Blick auf den Bahnhof von Butscha, in Richtung Hauptstadt. Die | |
weißen Lettern „Millenium State“ prangen auf einer Wohnanlage gegenüber. | |
Warum Butscha? Kleine, aber bedeutsame Geschichten verbinden Nikita Kadan | |
mit diesem Ort: Etwa das Schicksal eines näheren Bekannten, der von | |
russischen Soldaten umgebracht wurde. „Ich kannte diesen Mann aus Kiew: Er | |
wurde zusammen mit seinem Hund auf der Türschwelle seines Hauses | |
erschossen.“ | |
## Beweise sammeln | |
Es gehe ihm um Zeugenschaft, um die Erfahrung. „Du musst nicht zwangsläufig | |
Subjekt bleiben, sondern kannst selbst Beweisobjekt sein.“ Kadan | |
interessieren etwa die Panzerspuren im Asphalt vor seinem Haus: eine | |
gezeichnete Struktur, ein sichtbares Faktum – ein Beweis. In einer seiner | |
jüngsten Arbeiten spiegelt sich diese Methode: „Evidence Sculptures“ sind | |
in den Trümmern von Hostomel gefundene und durch die Hitze deformierte | |
Objekte aus Müll, Glas und Porzellan. | |
„Material bewahrt die Erinnerung des Ortes und der Verbrechen – und es gibt | |
Technologien, die es erlauben, sie zu lesen. Irgendwann werden wir auf | |
atomarer Ebene alles lesen können.“ | |
Auf der Neuen Chaussee im nördlichen Teil von Butscha, kurz vor dem | |
Ortsausgang, steht ein riesiges zusammengesunkenes Einkaufszentrum: Die | |
großen Leuchtlettern „EPICENTR“ sind von der Hitze verformt, Metallpanele | |
geschmolzen. Ob die russischen Soldaten mit diesem Angriff auch gegen | |
dieses Wort ankämpfen wollten – mit dem irrationalen Ziel, Butscha, diesen | |
wohlhabenden Ort, ein für alle Mal aus dem Epizentrum zu befördern? | |
Diesen Krieg als Genozid zu bezeichnen sei keine Übertreibung, sagt Nikita | |
Kadan. Die staatliche russische Ideologie beruhe nicht auf sowjetischen | |
Grundlagen, sondern sei eine radikal rechte, neoimperialistische | |
Vorstellung. Mit dem 24. Februar sei ihr offen faschistischer Charakter | |
unverkennbar geworden. „Russland als faschistischer Staat verändert die | |
Balance auf dem ganzen Planeten. Jene, die behaupten, dass wir uns an diese | |
neue Balance anpassen, uns verändern oder das Bild Russlands annehmen | |
müssen, tragen Mitverantwortung an Butscha und anderen russischen | |
Verbrechen.“ | |
Den Schuldigen der Kriegsverbrechen nur in Wladimir Putin zu sehen, hieße, | |
die russische Verantwortung von vielen auf eine Figur zu schieben, die | |
früher oder später die Bühne verlässt. „Dann wird es leicht sein, etwa die | |
ökonomischen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland einfach zu | |
vergessen.“ | |
Es bleibe die schreckliche Machtlosigkeit der Worte: „Wie kann über all das | |
gesprochen werden, wenn das Argument für die Kapitulation der Ukraine | |
bedeuten würde, dass sie ganz eingenommen und mit Folterzimmern und | |
Filterlagern ausgestattet wird?“ | |
Als Nikita Kadan im Sommer in Butscha war, sei es heiß gewesen – man habe | |
die Verbrechen in der schweren Luft förmlich spüren können. „Jetzt ist es | |
anders – es scheint, als habe das Leben gesiegt“, sagt Kadan auf dem Weg | |
zurück ins Zentrum. | |
## Wie die Erinnerung bewahren? | |
Auch wenn der Wald um Butscha vermint ist und dort noch immer menschliche | |
Körper gefunden werden, ist Kadan sicher: Butscha wird erneuert werden. | |
Eine andere Frage sei, wie sich die Stadt zu ihrem Status als | |
Erinnerungsort verhalten werde: „Vielleicht wird es unterteilte Flächen | |
geben: Räume, die der Erinnerung gewidmet sind, und solche, wo das Leben | |
stattfindet.“ | |
Eine Gefahr sieht der Künstler darin, dass man irgendwo auf einem Platz ein | |
Monument aufstellen, gleichzeitig jedoch die Zeichen der Verbrechen in | |
Vergessenheit fallen lassen könne. „Viele Leute denken: Was war, das war – | |
aber wir müssen doch weiterleben.“ | |
Der Schriftsteller Oleksandr Mykhed schreibt ein paar Tage nach unserem | |
Spaziergang: „Je mehr Beweise wir haben, desto größer ist die Hoffnung, | |
dass der Russismus niemals siegt und das russisch-sowjetische Imperium | |
fallen wird.“ Im Falle von Butscha könne die Symbolkraft des Ortes helfen, | |
ein Verständnis von dem Ausmaß der Verbrechen und ihrer Systematik zu | |
vermitteln. | |
„Butscha ist eine offene Wunde. Eine unter vielen – Mariupol, Isjum, | |
Cherson –, aber jene, die gut untersucht und rekonstruiert wurde. Deshalb | |
ist es so wichtig, über sie zu sprechen.“ In den Worten des Journalisten | |
und Bestatters Evgen Spirin: „Butscha ist nur eine kleine Stadt – denkt | |
über das Ausmaß nach.“ | |
Butscha sei ein Modell für den genozidalen Krieg Russlands in der Ukraine – | |
für das, was in Mariupol oder Isjum wiederholt wurde, und das, was | |
weiterhin in den von Russland okkupierten Gebieten passiere. Das zu sehen | |
sei wichtig, schreibt der US-amerikanische Historiker [6][Timothy Snyder]. | |
Denn wenn mensch einmal einen Genozid gesehen habe, könne er nicht mehr nur | |
zuschauen. | |
21 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Zerstoerte-Stromversorgung-in-Kiew/!5896242 | |
[2] /Nach-dem-Massaker-in-Butscha/!5843396 | |
[3] https://www.schloss-wiepersdorf.de/de/stipendiaten-details/fellow/nikita-ka… | |
[4] https://www.ibidem.eu/de/reihen/gesellschaft-politik/ukrainian-voices.html?… | |
[5] https://babel.ua/team/yevgen-spirin | |
[6] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/timothy-snyder-voelkermord-ukraine-k… | |
## AUTOREN | |
Elisabeth Bauer | |
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