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# taz.de -- Zerstörte Stromversorgung in Kiew: Leben mit dem Blackout
> Russland zerbombt gezielt die Stromversorgung der Ukraine. In Kiew hat
> man gelernt, mit den Ausfällen umzugehen – am besten in der Pizzeria.
Bild: Abendlicher Spaziergang in Kiew – Stromausfälle gehören zum Alltag
Kiew taz | Irgendetwas hat sich verändert bei meinem italienischen
Lieblingsrestaurant irgendwo am Stadtrand von Kiew. Hier sitzen keine
Pärchen mehr mit Rotwein und gedämpften Gespräch. Und es sind auch die
Kellner und Kellnerinnen in dem Restaurant nicht mehr in der Überzahl. Auf
jedem Tisch steht ein aufgeschlagenes Notebook oder ein Tablet, und
dahinter sitzt ein Mann oder eine Frau, die nicht einmal von ihrem
Bildschirm aufsehen, wenn jemand das Restaurant betritt.
Der Boom kam für die Pizzeria, die jetzt an allen Tischen ständig Gäste
hat, unerwartet. Der Erfolg hat zwei Namen: unterbrechungsfreien Strom und
Internet rund um die Uhr.
Während in Kiew die Heizungen problemlos funktionieren, man sogar nachts
wegen der Bullenhitze der Zentralheizung das Fenster öffnen muss, ist
[1][Strom in der Hauptstadt der Ukraine Mangelware]. Er ist so knapp, dass
es in den meisten Bezirken täglich Stromausfälle von bis zu zehn Stunden
gibt. Wer hätte gedacht, dass man sich sogar an Stromausfälle von zehn
Stunden gewöhnen kann. Als am 7. September in meiner Heimatstadt
Mönchengladbach der Strom für sechs Minuten, ausfiel [2][berichtete die
örtliche Presse] groß über den „Blackout in Mönchengladbach“. Heute kann
ich darüber nur lachen.
Ich komme jedenfalls mit Stromausfällen von zehn Stunden gut zurecht. Ich
habe von der taz netterweise eine Powerstation finanziert bekommen, damit
kann ich Laptop und Tischlampe acht Stunden betreiben. Rechne ich noch der
Akku meines Computers hinzu, komme ich zwölf Stunden ohne Strom aus.
Außerdem nehme ich Speisen, die ich brauche, vorzeitig aus dem Kühlschrank.
Und beim Stromausfall bleibt der Kühlschrank zu.
## Die meisten nehmen die Stromausfälle stoisch
Nun erfährt auch Bargeld in Kiew wieder neue Beliebtheit. Bargeldloses
Einkaufen war noch bis vor kurzem in der Ukraine weiter verbreitet als in
Deutschland. Aber wenn ein Geschäft keinen Strom hat oder der Kontakt zum
Bankserver unterbrochen ist, kann man mit Kreditkarte auch nicht einkaufen.
Doch während die Stromausfälle auf einer städtischen Internetseite
angekündigt werden, ist das mit dem Internet schwieriger. Sicher ist nur
eins: wenn das Internet ausfällt, dann nur in Zeiten, in denen es auch
keinen Strom gibt. Wie die oben erwähnte Pizzeria es schafft, trotzdem
ständig Internet anzubieten, ist mir schleierhaft.
Die meisten Menschen nehmen die Stromausfälle stoisch zur Kenntnis, sind
sie doch den regelmäßigen [3][russischen Raketenangriffen auf das
ukrainische Energiesystem] geschuldet. Niemand macht den ukrainischen
Behörden einen Vorwurf. Was jedoch die Menschen erzürnt, sind die damit
einhergehenden Ungerechtigkeiten. Wer im Stadtzentrum oder in der
Nachbarschaft eines sogenannten „strategischen Objektes“ wie etwa ein
Krankenhaus wohnt, hat immer Strom. Weiter weg nicht.
## Ausreise – eine Form des Energiesparens
„Apartheid“ kommentiert die Rentnerin Nadja, die am Stadtrand von Kiew
wohnt, diese Ungerechtigkeit. Für sie ist klar: der arme Teil der
Bevölkerung, der außerhalb des Zentrums lebe, müsse Strom sparen, während
die im Zentrum weiter leben können, als sei alles wie immer. Dort sei sogar
abends die Straßenbeleuchtung immer an, weiß eine im Zentrum lebende
Bekannte von Nadja zu berichten. Der Gang zum Italiener ist für Nadja keine
Option. Wenn sie jeden Tag dort nur einen einzigen Cappuccino trinken
würde, wäre in einem Monat die halbe Rente weg.
Besserung ist nicht in Sicht. Am Freitag kündigte Stromnetzbetreiber
Ukrenergo an, dass es neben den geplanten Stromausfällen auch zu
außerplanmäßigen, also nicht angekündigten, kommen werde. Und am Samstag
riet Maxim Timtschenko, Generaldirektor des größten ukrainischen
Stromversorgers DTEK seinen Mitbürger:innen, für die nächsten drei oder
vier Monate eine alternative Niederlassungsmöglichkeit im Ausland zu
suchen, damit das Land Strom sparen könne.
Mit jedem weiteren russischen Raketenangriff auf das Energiesystem werde
dieses unstabiler, so Timtschenko. Man sei nicht mehr in der Lage, den
Bedarf an Energie zu befriedigen. Und Ausreise ist eine Form des
Energiesparens.
20 Nov 2022
## LINKS
[1] ttps://www.wionews.com/world/russia-ukraine-war-kyiv-faces-critical-power-o…
[2] https://rp-online.de/nrw/staedte/moenchengladbach/moenchengladbach-stromaus…
[3] https://kyivindependent.com/national/ukraine-war-latest-half-of-ukraines-en…
## AUTOREN
Bernhard Clasen
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Kolumne Krieg und Frieden
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