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# taz.de -- Bundeswehr-Doku-Soap: Piercing statt Beretta
> Mit der Webserie „Die Rekruten“ will die Bundeswehr um Nachwuchs werben.
> Und gleichzeitig die Realität „ungeschönt“ darstellen. Geht das?
Bild: Ey Dudes, lasst mal bisschen walken
Matrose Julia Weißhuhn zieht den Rotz hoch. Die 18-Jährige aus Thüringen
hatte sich eigentlich auf die Grundausbildung gefreut, jetzt ist sie aber
an der Kaserne angekommen und völlig entsetzt: „Schmuck/Piercings ab“,
steht auf einer Tafel vor dem Eingang. Der Ohrring muss weg.
Schnitt. „Als ich mich von meinem alten Freund getrennt hab, hab ich mir
den stechen lassen.“
Schnitt. „Ich krieg's nicht raus.“
Schnitt. „Ich krieg das da oben nicht raus.“
Die Bundeswehr macht jetzt also auf Seifenoper. [1][Am Dienstag startete
sie auf YouTube ihre Werbeserie „Die Rekruten“.] Ein Kamerateam begleitet
die Grundausbildung von zwölf Soldaten an der Marinetechnikschule Parow bei
Stralsund, im Internet veröffentlicht die Armee jeden Tag eine neue
fünfminütige Folge der Reality-Soap.
Der Zweck des Projekts: Nachwuchs anwerben. Die Wehrpflicht sei ausgesetzt,
sagt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. „Das heißt, die Bundeswehr
muss jetzt selbst auf die jungen Leute zugehen und muss das auch in einem
möglichst zeitgemäßen und attraktiven Format tun.“
Und so sagen jetzt also Marine-Rekruten auf YouTube Sätze wie: „Yo Leute,
das war's erst mal. Checkt wie gehabt die Social-Media-Kanäle ab!“ Dazu
kommen schnelle Schnitte, Aufnahmen mit der Selfie-Stange und in der
Kommentarspalte Einträge von Bundeswehr-Karriereberatern. Zum Beispiel
dieser hier: „Wir bilden mit unserer Serie die Realität ab. Ungestellt und
ungeschönt.“
## Von einer Werbeagentur produziert
Tatsächlich ungeschönt? Dafür spricht: Obwohl es Matrose Weißhuhn das Herz
bricht, müssen tatsächlich schon in Folge 2 (Titel: „Kulturschock“) die
Ohrringe ab. In Folge 3 („Einkleidung“) folgt dann bereits ein Einblick in
die spezielle Mitarbeiterführung einer Armee: „Den Anweisungen wird Folge
geleistet. Wenn das nicht klappt, ist gleich der erste Kopf ab.
Verstanden?“
Dagegen spricht: Mit der Produktion der Serie hat das
Verteidigungsministerium eine Düsseldorfer Werbeagentur beauftragt, und zu
den Kernkompetenzen solcher Agenturen gehört es normalerweise nicht,
Realität ungestellt und ungeschönt abzubilden.
Daran versucht sich traditionell eher eine benachbarte Branche: der
Journalismus. Ein Beispiel dafür stammt aus der Zeit vor YouTube, als
Fernsehsender noch ein Monopol auf Fernsehsendungen hatte.
In „Feldtagebuch – Allein unter Männern“ begleitete ein Kamerateam im Ja…
2001 die Grundausbildung von vier Frauen in einem Panzergrenadierbataillon
auf der Schwäbischen Alb. Die 90-minütige SWR-Dokumentation ist
preisgekrönt, war zur Nachwuchswerbung aber nicht geeignet.
Das hing mit der Konstellation der Protagonisten zusammen. Auf der einen
Seite: Panzergrenadier Annette Nagel und ihre drei Kameradinnen, die es mit
Liegestützen, Waldmärschen und Disziplin nicht so haben. Auf der anderen
Seite: Hauptfeldwebel Armin Fortenbacher und seine Ausbilderkollegen, die
auf Liegestütze, Waldmärsche und Disziplin großen Wert legen.
## Sexismus in der Grundausbildung ist Realität
Sie sagten Sätze wie: „Weisch was d’hole könnsch? Eine schöne Beretta, d…
erschieß ich di nämlich!“ Davon war die Bundeswehr selbst so erschrocken,
dass sie nach der Ausstrahlung zwei Disziplinarverfahren einleitete.
Ob eine Werbeagentur solche Szenen auch zeigt? Zur ungeschönten Realität
der Bundeswehr gehört auch 15 Jahre nach der SWR-Doku Sexismus in der
Grundausbildung. Der Wehrbeauftragte des Bundestags berichtete erst 2013
von Vorgesetzten, die „Begriffe wie ‚Schlampe‘, ‚Hure‘ oder ‚Schwuc…
verwenden.
Zur ungeschönten Realität der Marine gehören auch lange Zeiten auf See. Vor
wenigen Monaten beklagte der Wehrbeauftragte, wegen der vielen Einsätze
reihe sich für die Besatzungen „ein Einsatz nahtlos an den anderen“. Zur
ungeschönten Realität einer Armee gehören auch Berufsrisiken. Die Wörter
„Krieg“, „Töten“ und „Verwundung“ sind in den ersten Folgen der ne…
YouTube-Serie aber noch nicht gefallen.
Zwölf Wochen soll die YouTube-Serie der Bundeswehr dauern. Mal sehen, ob da
noch was kommt – oder ob das Ohrring-Problem das größte Drama bleibt.
2 Nov 2016
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/channel/UCZPAni75bkLnjGO8yhuJpdw
## AUTOREN
Tobias Schulze
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