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# taz.de -- Bundesarbeitsgericht zu Mindestlohn: Erfolg für bulgarische Pflege…
> Das BAG spricht einer Pflegerin den Mindestlohn für Bereitschaftszeit zu.
> Der Fall mit potentiell weitreichenden Folgen wird neu aufgerollt.
Bild: Schlecht bezahlt: Osteuropäische Pfleger:innen ersparen vielen Deutschen…
Freiburg taz | Osteuropäische Pfleger:innen haben in Deutschland
Anspruch auf Mindestlohn. Dazu gehören auch Zeiten des
Bereitschaftsdiensts, zum Beispiel in der Nacht. Dies entschied nun das
Bundesarbeitsgericht (BAG).
Geklagt hatte eine heute 70-jährige bulgarische Pflegerin, Frau D., die von
2013 bis 2018 als „Sozialassistentin“ in Deutschland arbeitete. Zum Schluss
betreute sie Frau Z, eine über 90-jährige Seniorin in Berlin. Die Pflegerin
lebte gemeinsam mit Frau Z. in deren Wohnung in einer Seniorenwohnanlage.
Frau D. kochte, putzte, kaufte ein, half beim Anziehen sowie der
Körperpflege und leistete der alten Dame Gesellschaft. Auch nachts hielt
sich die Bulgarin bereit. Die Tür zu ihrem Zimmer blieb offen, damit sie
Frau Z. auf Zuruf helfen konnte, etwa auf dem Weg zur Toilette.
Die Pflegerin war bei einer bulgarischen Firma angestellt, die sie nach
Deutschland entsandte. Der Sohn der alten Frau Z. schloss einen Vertrag mit
einer deutschen Agentur, die Frau D. an deutsche Kund:innen vermittelte.
Im Arbeitsvertrag der Pflegerin mit der bulgarischen Firma stand, dass die
Arbeitszeit sechs Stunden am Tag betrage, 30 Stunden die Woche, Samstag und
Sonntag seien frei. Als Stundenlohn waren umgerechnet 8.50 Euro vereinbart,
was damals dem deutschen Mindestlohn entsprach. Dem entsprechend erhielt
die Pflegerin netto rund 950 Euro pro Monat.
2018 klagte die Bulgarin mit Hilfe der [1][DGB-Initiative „Faire
Mobilität“] gegen ihre bulgarische Arbeitgeberin. Sie verlangte für die
letzten sieben Monate eine Nachzahlung von über 40.000 Euro, weil sie viel
mehr arbeiten musste als im Arbeitsvertrag stand. Sie berief sich auch
darauf, dass die deutsche Agentur mit einer „24 h-Pflege“ warb.
## Hundertausende Osteuropäerinnen in deutschen Haushalten
Beim Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg [2][bekam sie im August
2020 weitgehend Recht.] Die im Arbeitsvertrag festgelegte Arbeitszeit sei
unbeachtlich, weil sie gegen Treu und Glauben verstoße. Die Aufgaben seien
so umfangreich gewesen, dass sie in sechs Stunden pro Tag nicht erledigt
werden konnten. Die Pflegerin habe sich nur an drei Stunden pro Tag der
Aufgabe entziehen können. Das LAG sprach ihr daher Mindestlohn für 21
Stunden pro Tag zu, insgesamt rund 38.000 Euro.
In der Revision bestätigte das Bundesarbeitsgericht nun die Grundannahmen
des LAG: Entsandte osteuropäische Pflegerinnen haben in Deutschland
Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, damals 8.50 Euro pro Stunde,
heute 9.50 Euro. Auch für Bereitschaftszeiten muss Mindestlohn bezahlt
werden. Sachleistungen, wie Mahlzeiten und Unterkunft, werden nicht auf den
Mindestlohn angerechnet.
Dennoch hat das BAG im konkreten Fall das Urteil der Vorinstanz aufgehoben.
Das LAG habe den Hinweis der bulgarischen Arbeitgeberin auf die vertraglich
vereinbarten 30 Stunden pro Woche nicht genug berücksichtigt und zu schnell
eine missbräuchliche Vertragsgestaltung angenommen.
Das LAG muss nun die konkreten Verhältnisse im Haushalt der alten Frau Z.
nochmal gründlich prüfen und dabei feststellen, wieviele Stunden pro Tag
die bulgarische Pflegerin wirklich arbeiten musste und wieviele Stunden sie
sich entziehen konnte. Auch die pauschale Annahme des LAG, die Bulgarin
hätte drei Stunden am Tag telefonieren und spazieren gehen können, fand das
BAG nicht ausreichend begründet.
In Deutschland arbeiten nach Schätzungen von Expert:innen über 300.000
osteuropäische Pfleger:innen und betreuen deutsche Senior:innen, die
deshalb nicht [3][im Heim gepflegt] werden müssen, sondern weiter in ihrer
eigenen Wohnung bleiben können.
Az.: 5 AZR 505/20
24 Jun 2021
## LINKS
[1] https://www.faire-mobilitaet.de/
[2] /Gerichtsverfahren-zu-Arbeitszeit/!5701480
[3] /Pflegereform-kommt/!5772401
## AUTOREN
Christian Rath
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Pflegekräftemangel
Mindestlohn
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