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# taz.de -- Pflege rund um die Uhr: Wackeliges Modell
> Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur 24-Stunden-Pflege sind
> viele Pflegehaushalte verunsichert. Selbständige Kräfte sind nicht
> betroffen.
Bild: Hubertus Heil (SPD) bezeichnete das Urteil des Bundesarbeitsgerichts als …
Berlin taz | Es ist eine existentielle Frage für ganze Familien, wie sie
ihre hochaltrigen Angehörigen betreuen. Und [1][nach dem Urteil des
Bundesarbeitsgerichts] zur sogenannten 24-Stunden-Pflege herrscht in vielen
Pflegehaushalten Verunsicherung. „Wir rechnen mit vielen Anfragen“, sagt
Ulrike Kempchen, Leiterin der Rechtsabteilung beim Biva-Pflegeschutzbund.
Das Gericht hatte geurteilt, dass in einen Privathaushalt entsandte
ausländische Betreuungskräfte auch für die Bereitschaftszeiten Anspruch auf
den gesetzlichen Mindestlohn haben. Eine über eine Münchner Agentur
vermittelte bulgarische Betreuungskraft hatte auf Lohnnachzahlung geklagt.
Das Grundsatzurteil gilt aber nur für entsandte „ArbeitnehmerInnen“.
Frederic Seebohm, Geschäftsführer des Bundesverbandes für häusliche
Betreuung und Pflege (VHBP), sagte der taz, die meisten Agenturen in seinem
Verband vermittelten entsandte „arbeitnehmerähnliche“ freie
Mitarbeiterinnen mit Sozialversicherungsschutz aus Polen oder freie
Gewerbetreibende. „Diese fallen damit nicht unter die
Arbeitszeitregelungen, auf die sich das Bundesarbeitsgericht bezieht“, sagt
Seebohm. Für Selbstständige gilt die Arbeitszeitbegrenzung nicht.
Der rechtliche Status „arbeitnehmerähnliche freie Mitarbeiterin mit
Sozialversicherungsschutz“ existiert allerdings nur in Polen. „Agenturen,
die entsandte Betreuungskräfte aus Rumänien oder Bulgarien nach Deutschland
vermitteln, bekommen ein Problem mit dem Urteil“, so Seebohm, „denn den
Status der arbeitnehmerähnlichen Freien gibt es in diesen Ländern nicht und
damit fallen die meisten der Betreuungspersonen hierzulande unter die
Arbeitszeitbestimmungen für ArbeitnehmerInnen“.
## Vorbild Österreich?
Seebohm wies darauf hin, dass in Österreich nach einer Pflegereform vor
vier Jahren die Mehrzahl der Betreuungskräfte in Haushalten ebenfalls als
„arbeitnehmerähnliche freie Mitarbeiter mit Sozialversicherungsschutz“
beschäftigt seien, und zwar nach österreichischem Recht. Für diese Gruppe
gelten Bereitschaftszeiten nicht als Arbeitszeiten. „Solche Regelungen
könnten leicht auch in Deutschland eingeführt werden, wenn endlich der
politische Wille dazu besteht“, meinte Seebohm.
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte am Freitag, er habe
schon vor Jahren als Abgeordneter Vorschläge gemacht, wie ein besserer
regulatorischer Rahmen für die 24-Stunden-Betreung gefunden werden könne.
Er schlug vor, sich das Beispiel Österreich anzuschauen. In der
Bundesregierung sei eine ähnliche Regelung bislang aber nicht konsensfähig
gewesen.
[2][Ein Gutachten] im Auftrag des Bundesgesundheitsministerium war
allerdings vor zwei Jahren zu dem Schluss gekommen, dass die Reformen in
Österreich das „Kernproblem“ der 24-Stunden-Betreuung „nicht gelöst“
hätten.
„Häufig erfüllen offiziell als selbständig firmierende Personenbetreuer das
Kriterium der Selbständigkeit mangels persönlicher und wirtschaftlicher
Unabhängigkeit nicht“, heißt es in dem Gutachten des Instituts für
Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn. Die
„Selbständigkeit“ als Lösung für die Arbeitszeitfrage der
Haushaltsbetreuungskräfte war immer umstritten.
## Die meisten Jobs sind illegal
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bezeichnete das Urteil des
Bundesarbeitsgerichts am Freitag als „wegweisend und richtig“. Arbeit habe
„eine Würde. Egal, ob Sie aus Bukarest oder Bottrop kommen“.
Kempchen vom Pflegeschutzbund sagte, ein Kunde könne als Laie aus den
Verträgen unter Umständen gar nicht erkennen, ob eine über eine Agentur
vermittelte und entsandte Betreuungskraft selbständig sei oder nicht doch
Arbeitnehmerin, „da bleiben viele offene Fragen“. Die Nachzahlungsforderung
der bulgarischen Pflegekraft richtete sich denn auch nicht an den
Pflegehaushalt, sondern an die Zeitarbeitsfirma in der Heimat, bei der sie
beschäftigt war.
Geschätzt 90 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse in der häuslichen
Betreuung seien heute schon illegal, so Seebohm. Bezahlt wird dabei etwa in
bar oder die Betreuerin in Teilzeit angestellt, obwohl sie in Wirklichkeit
viel länger arbeitet. In schätzungsweise 300.000 Haushalten arbeiten
ausländische Pflegekräfte.
„Natürlich darf man sich darüber empören, dass hier Betreuungskräfte in
Haushalten so umfangreich zur Verfügung stehen, aber dann muss man auch
konkret sagen, was die Alternative dazu ist“, sagte der
Verbandsgeschäftsführer.
25 Jun 2021
## LINKS
[1] https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Ge…
[2] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikation…
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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