# taz.de -- Bürgergeld scheitert im Bundesrat: Die Zeit drängt | |
> Das Bürgergeld ist wie erwartet im Bundesrat gescheitert. Nun soll der | |
> Vermittlungsausschuss ran und bis Ende November einen Kompromiss finden. | |
Bild: „Auch ich habe erlebt, wie sich Arbeitslosigkeit anfühlt“, berichtet… | |
Berlin taz | Das Scheitern war vorprogrammiert und vorbereitet: Nachdem die | |
unionsmitregierten Länder am Montag wie erwartet im Bundesrat ihre | |
Zustimmung zum Bürgergeld verweigerten, wird sich nun der | |
Vermittlungsaussschuss über die Sozialreform beugen. Das Gremium, in dem | |
jeweils 16 Mitglieder aus Bundesrat und Bundestag sitzen, geht | |
voraussichtlich kommenden Mittwoch auf Kompromisssuche. | |
Die Bundesregierung habe gleich am Montag entschieden, den | |
Vermittlungsausschuss anzurufen, um zu einer zügigen Lösung zu kommen, | |
verkündete Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) nach der | |
Abstimmung. Doch die Zeit drängt, betonte Heil: Bis Ende November müssten | |
Bundesrat und Bundestag einem Kompromiss zugestimmt haben, damit die | |
Reformen inklusive höherer Regelsätze ab Januar in Kraft treten könne. | |
Der [1][Bundestag hatte das Bürgergeld vergangenen Donnerstag mit der | |
Ampelmehrheit beschlossen]. Dass es in der Länderkammer gestoppt wird, wo | |
die Länder mit Unionsregierung eine Mehrheit haben, war aber absehbar. Die | |
Union lehnt wesentliche Änderungen beim Bürgergeld ab. Etwa, dass die | |
Jobcenter Bürgergeldbezieher:innen im ersten halben Jahr nur noch | |
eingeschränkt Leistungen kürzen dürfen. Auch die pandemiebedingt schon | |
geltende Regel, dass Menschen auf Jobsuche zwei Jahre lang einen | |
beträchtlichen Teil ihrer Rücklagen behalten und nicht in eine angemessen | |
billige Wohnung umziehen müssen, findet die Union nun zu großzügig. | |
Arbeiten lohne sich so nicht mehr, lautet ihr zentrales Argument. | |
Der SPD-geführten Ampelkoalition sind aber genau diese Verbesserungen | |
wichtig, um Hartz IV endlich zu überwinden und dem Bürgergeld einen neuen | |
Geist einzuhauchen, nämlich einen „Geist der Befähigung und Unterstützung, | |
der Menschen nicht dem Generalverdacht aussetzt, faul zu sein“, wie Heil es | |
am Montag im Bundesrat erneut formulierte. Die Union will zurück zu Hartz | |
IV, die Ampel weg davon. Eine klassische Pattsituation. | |
## Gesprächsbedarf über Wohnung und Schonvermögen | |
Eine klare Kompromisslinie deutete sich am Montag in der Bundesratssitzung | |
noch nicht an. Für die SPD-geführten Länder warb unter anderem | |
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig für die | |
Lockerung der Sanktionen und das jetzt geltende Schonvermögen und wurde | |
dabei sehr persönlich. „Auch ich habe erlebt, wie sich Arbeitslosigkeit | |
anfühlt“, sagte die Regierungschefin. | |
Ihr Vater, Schlosser von Beruf, war nach der Wende wie so viele Menschen im | |
Osten arbeitslos geworden. Wenn Menschen unverschuldet in Arbeitslosigkeit | |
rutschten, dann sei das eine bedrückende Zeit für Familien, so Schwesig. | |
Gerade wenn Menschen hart gearbeitet hätten, sei es wichtig, dass sie dann | |
nicht sofort ihr kleines Häuschen und das bisschen Rücklagen aufzehren | |
müssten. | |
Doch die Union blieb hart. „Über die Vermögensanrechnung und die | |
Angemessenheit der Wohnung haben wir Gesprächsbedarf“, so die | |
baden-württembergische Arbeitsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut im | |
Bundesrat. Auch die Lockerung der Sanktionen sah die CDU-Politikerin | |
kritisch und begründete dies insbesondere mit fehlender Akzeptanz in der | |
Bevölkerung. Ja, räumte Hoffmeister-Kraut ein, nur 3 Prozent der | |
Langzeitarbeitslosen würden überhaupt sanktioniert. Aber: „Es genügen | |
Einzelfälle, um die Atmosphäre zu vergiften.“ | |
Immerhin begrüßte die CDU-Ministerin die Ideen für Weiterbildung und | |
Qualifizierung: Die Ampel will Menschen, die Abschlüsse nachholen oder neu | |
machen, im Bürgergeld Zuschläge zahlen. „Es geht uns nicht um Blockade, | |
sondern um konstruktive Zusammenarbeit“, blickte Hoffmeister-Kraut nach | |
vorn. | |
## Linke beim Bürgergeld auf Ampel-Kurs | |
Es war ausgerechnet ein Linken-Politiker, nämlich Thüringens | |
Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff, der im Bundesrat noch einmal | |
nachdrücklich für das Bürgergeld warb. Im Bundestag hatte sich die Linke | |
als einstige Anti-Hartz-IV-Partei enthalten mit dem Argument, das | |
Bürgergeld sei keine wirkliche Abkehr von Hartz IV. Nun appellierte Hoff an | |
die Union, den Verbesserungen zuzustimmen und berief sich dabei | |
ausgerechnet auf einen CDU-Politiker: auf Thüringens Ex-Ministerpräsident | |
Dieter Althaus nämlich, der schon 2006 ein solidarisches Bürgergeld | |
vorgeschlagen hatte. | |
Da das Bürgergeld aber nun im Vermittlungsausschuss landet, hat auch die | |
Linke noch einige Punkte aufzumachen: eine andere Berechnung der Regelsätze | |
etwa, oder dass die Kosten für eine neue Waschmaschine wieder vom Jobcenter | |
übernommen werden und nicht, wie derzeit, als Darlehen beantragt und | |
abgestottert werden müssen. | |
Das Einschwenken der Linken auf das Bürgergeld der Ampel änderte nichts am | |
Gesamtergebnis: Kein Land, in welchem die Union mitregiert, stimmte zu. | |
Auch Baden-Württemberg, dessen Regierung von den Grünen angeführt wird, | |
enthielt sich im Bundesrat. | |
Dass nur ein Land mit Unionsregierung das Bürgergeld dezidiert ablehnte, | |
nämlich Bayern, deutete Arbeitsminister Heil indes hoffnungsvoll als | |
„Zeichen von Kompromissbereitschaft“. Alle Seiten würden sich bewegen | |
müssen, um zu einer Lösung zu kommen und bei gutem Willen gelänge das auch, | |
prognostizierte Heil. „Ich bin kompromissbereit“, gab er die Richtung vor. | |
Einen Plan B gebe es nicht. Sein Ziel sei weiterhin, das Bürgergeld zum 1. | |
Januar 2023 einzuführen. | |
14 Nov 2022 | |
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[1] /Ende-von-Hartz-IV/!5894374 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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