| # taz.de -- Bregenzer Festspiele: Ferdinand Schmalz und die Melonen unter dem F… | |
| > In „bumm tschak oder der letzte henker“ spitzt Ferdinand Schmalz die | |
| > Gegenwart dystopisch an. Die Uraufführung in Bregenz ist ein großes | |
| > Kostümfest. | |
| Bild: Welt kaputt, und alle tanzen. Ganz links Melanie Kretschmann als „die K… | |
| Tausende von Trauernden begleiteten 1925 einen gewissen Josef Lang auf | |
| seinem Weg zum Grab. Der letzte Scharfrichter der Donaumonarchie war bei | |
| seinen Zeitgenossen außerordentlich beliebt. Die dem Kuriosen zugeneigte | |
| Fantasie des [1][Wiener Autors Ferdinand Schmalz] hat sich an dieser | |
| Begebenheit entzündet, er hat ein düsteres Stück geschrieben. „Bumm tschak | |
| oder der letzte henker“ heißt es, kommt wie alles, was der | |
| Bachmannpreisträger von 2017 schreibt, ohne Großbuchstaben aus und spielt | |
| im „klub“ (Club), der hier die Welt bedeutet. | |
| In dieser Welt geht es so skurril zu wie in einem Schmalz-Stück oder in | |
| unserer Gegenwart, die hier nur ein wenig dystopisch angespitzt wurde. Zeit | |
| der Handlung: „Nach dem ‚großen Eingriff‘.“ Die Kanzlerin eines kleinen | |
| Landes (sic!) hat die Macht ergriffen und den Charme vollkommen erratischer | |
| Handlungen für sich entdeckt. Wie ein Caligula oder Donald Trump überrascht | |
| sie sich permanent selbst. Sicher ist sie sich nur in einem: „gerade jetzt | |
| braucht’s eine sprache, / die die gewalt nicht mehr kaschiert, / eine | |
| sprache,/ die mit ihrer eigenen gewalt zupackt, / bumm tschak, / wie so ein | |
| tiefer bass, / da in der magengrube des gesellschaftskörpers, / … ich will, | |
| / als allererste amtshandlung, / die todesstrafe wiedereinführen“ | |
| Ups? Gleich darauf wundert sich die Kanzlerin: „hab ich jetzt wirklich | |
| todesstrafe grad gesagt?“ Melanie Kretschmann steppt das in einem | |
| pinkfarbenen Glitzer-Onesie auf die Bühne und bekommt auch im weiteren | |
| Verlauf des Abends das Lächerliche ihrer Figur besser zu greifen als das | |
| Bedrohliche. | |
| Das ist ein generelles Problem von [2][Stefan Bachmanns Inszenierung, die | |
| der Direktor des Wiener Burgtheaters] mit eigenem Ensemble bei den | |
| [3][Bregenzer Festspielen] zur Uraufführung brachte, bevor sie im Herbst an | |
| sein Haus wandert: Es ist eine Clownerie, ein großes Kostüm-, Kopfschmuck- | |
| und Perückenfest. Die überbordenden Ideen von Kostümbildnerin Adriana Braga | |
| Peretzki müssen die beteiligten Gewerke mächtig auf Trab gehalten haben. | |
| Und auch die Schauspieler*innen haben ob der vielen Umzüge sicher wenig | |
| Ruhe im Backstage-Bereich. Dafür müssen sie auf Olaf Altmanns fast nackter | |
| Bühnenschräge meist nur mit kapriziösen Bewegungen am Platz den Rhythmus | |
| von Schmalz’ Kunstsprache zu packen bekommen. Was bei der Premiere noch | |
| nicht durchweg gelingt. Leider entwickeln selbst die „gerappten“ | |
| Sprechgesang-Passagen keinen richtigen Sog. | |
| ## Sie will ihn zum Henker machen | |
| Dabei ist der mit machtphilosophischen und biblischen Anspielungen | |
| gespickte Monolog der Tür einer der interessantesten des Abends. Denn die | |
| personifizierte Sortieranlage und Zugangsschwelle zum Club hat nicht nur | |
| Ähnlichkeiten mit den europäischen Außengrenzen, sondern | |
| überraschenderweise auch den Schneid, die Schergen der Kanzlerin | |
| abzuweisen, die Sarah Viktoria Frick und Mehmet Ateşçi als eierköpfige | |
| Horrorclowns spielen. | |
| Ferdinand Schmalz hat merklich Lust daran, Erwartungen zu unterlaufen, die | |
| Zuschauer*innen an Charaktere oder Handlung haben. Theater begreift er | |
| als kollektiven Denkraum. Und auch dieser hier ist wieder voller Rätsel und | |
| Metaphern. Was hat es etwa mit Flamboyanza auf sich, bei Thiemo | |
| Strutzenberger blinde Seherin und Glamour-Queen in Personalunion, die | |
| Josef, den Wirt des Clubs namens Schafott, beizeiten davor warnt, die | |
| Kanzlerin zu unterschätzen. | |
| Während Josef als Gaudi für seine Gäste jeden Abend eine Melone unter eine | |
| Guillotinen-Attrappe legt, will sie ihn nämlich wirklich zum Henker machen. | |
| Ihr Druckmittel ist Josefs Geliebte Flo, eine linke Aktivistin. Und Josef | |
| beißt an. | |
| Max Simonischek gibt dieser zwiespältigen Figur Empathie und etwas wie | |
| Wahrhaftigkeit, während sich der sonstige Abend mit seinen Übertreibungen | |
| ins Uneigentliche zurückzieht. Alles scheint „Ironie!“ zu schreien oder: | |
| „So ist es gar nicht gemeint!“ Club-Outfits aus den frühen Neunzigern, | |
| aufgemalt aussehende Tattoos und der Glitter-Overkill zeigen die Welt | |
| derer, die sich mit Designerdrogen und Bumm-tschak-Musik abschießen, sehr | |
| deutlich als Theater. Als eines Theaters, das sich einbildet, als | |
| Zufluchtsort gebraucht zu werden – und vielleicht doch nur Eskapismus | |
| bietet. | |
| Oder wie ist das zu verstehen, wenn schließlich alle an der Guillotine | |
| Schlange stehen, um wie der Hahn zu werden, der nach dem Köpfen noch 18 | |
| Monate als Showstar weiterlebte. So wollen sie alle sein: Kopflos und | |
| trotzdem lebendig. Blind und doch nicht ohne Augenlicht. „ist alles nur | |
| theater, / und es ist es nicht“, heißt es am Schluss: „wir funktionieren | |
| immer noch, / auch ohne kopf, / obwohl die welt kaputt, / wir stolpern | |
| stürzen ständig, / und weil es alle tun, / sieht’s aus, als tanzten wir.“ | |
| 21 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sabine Leucht | |
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