# taz.de -- Bootsunglück im Ionischen Meer: Katastrophe mit Ansage | |
> Mindestens 78 Menschen kommen ums Leben, als in der Nacht zu Mittwoch ein | |
> überladenes Fischerboot mit Flüchtlingen und Migranten untergeht. | |
Bild: Gerettete des Unglücks werden in Kalamata an Land gebracht | |
ATHEN taz | Erneuter [1][Massentod] im Mittelmeer: ein mit rund 500 | |
Flüchtlingen und Migranten besetztes Fischerboot ist in der Nacht zu | |
Mittwoch im Ionischen Meer zwischen Italien und Griechenland gesunken. Das | |
Unglück ereignete sich in internationalen Gewässern rund 47 Seemeilen | |
südwestlich der kleinen Küstenstadt Pylos im äußersten Südwesten der | |
griechischen Halbinsel Peloponnes. | |
Die Zahl der offiziell bestätigten Toten stieg am Mittwoch von Stunde zu | |
Stunde. Um 17 Uhr Ortszeit wurden 78 Tote gemeldet. Unklarheit herrschte | |
darüber, wie hoch die Zahl der toten Flüchtlinge und Migranten bei der | |
Havarie letztendlich sein wird. Dutzende Menschen galten als vermisst. | |
Griechischen Medienberichten zufolge sei das völlig überfüllte Fischerboot | |
vom ostlibyschen Hafen Tobruk gestartet. Sein Ziel: Italien. Laut einer | |
Mitteilung der griechischen Küstenwache sei das mit hoher Geschwindigkeit | |
in Richtung Norden fahrende Fischerboot am Dienstagmittag zunächst von | |
einem Flugzeug der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex sowie | |
anschließend von zwei Patrouillenschiffen gesichtet worden. Eine große | |
Anzahl von Flüchtlingen und Migranten habe sich auf dem Außendeck des | |
Fischerbootes befunden. Wiederholt hätten die Bootsinsassen Hilfsangebote | |
der Behörden abgelehnt. Sie hätten hingegen erklärt, dass sie ihre Reise | |
nach Italien fortsetzen wollten. | |
In der Nacht zu Mittwoch um 2.30 Uhr Ortszeit sei das Fischerboot gekentert | |
und rasch untergegangen, wie die griechische Küstenwache offiziell | |
erklärte. Die griechischen Behörden leiteten umgehend eine groß angelegte | |
Such- und Rettungsaktion ein. Unter anderem seien mehrere Schiffe, | |
Flugzeuge, ein Hubschrauber und eine Drohne zum Einsatz gekommen. | |
## Restriktive Flüchtlingspolitik verstärkt den Druck aufs Mittelmeer | |
Kurz vor 12 Uhr am Mittwoch traf die unter der Flagge der Cayman-Inseln | |
fahrende Luxus-Yacht „Mayane Queen IV“ mit genau einhundert Geretteten im | |
Hafen der Großstadt Kalamata im Süden des Peloponnes ein. Weitere vier | |
Personen wurden mit einem Rettungshubschrauber direkt von der | |
Unglücksstelle nach Kalamata gebracht, um in nahe gelegenen Krankenhäusern | |
ärztlich versorgt zu werden. | |
Das neuerliche Bootsunglück im zentralen Mittelmeer ist eine Katastrophe | |
mit Ansage. Die von Juli 2019 bis Ende Mai 2023 amtierende | |
Einparteienregierung unter dem konservativen Premier Kyriakos Mitsotakis, | |
der mit allerbesten Chancen eine [2][Wiederwahl] bei den Parlamentswahlen | |
am 25. Juni anstrebt, verfolgt eine stark [3][restriktive Flüchtlings- und | |
Migrationspolitik]. Deren Ziel ist es, die Zahl der Ankünfte von | |
Flüchtlingen und Migranten und damit neuer Asylbewerber so weit es geht zu | |
drücken. Griechenland soll eine Festung sein, hat der alte und wohl auch | |
neue Premier wiederholt klargestellt. | |
Unterdessen ist das auch erreicht: In den ersten vier Monaten des laufenden | |
Jahres zählte Griechenland nur 4.656 Neuankömmlinge. Wie schaffte die | |
Regierung Mitsotakis das? Ihre oberste Priorität ist es, die Festlands- und | |
die Seegrenze zur Türkei zu „versiegeln“, um nicht zuletzt Schleppern das | |
Handwerk zu legen. Ferner stehen prominente Flüchtlingshelfer in | |
Griechenland unter enormen Druck. Die Staatsanwaltschaft von Kos leitete im | |
Dezember vorigen Jahres gegen zwei prominente Flüchtlingshelfer | |
[4][Strafverfahren] ein. | |
Sie sollen eine kriminelle Vereinigung gegründet und Beihilfe zur illegalen | |
Migration geleistet haben. Dabei handelt es sich um den Griechen Panagiotis | |
Dimitras, Direktor von Greek Helsinki Monitor, sowie um den Norweger Tommy | |
Olsen, Gründer und Leiter der Organisation Aegean Boat Report. In diesen | |
Tagen wurde in Athen bekannt, dass alle Vermögenswerte von Dimitras sowie | |
mit ihm in Verbindung stehender Nichtregierungsorganisationen eingefroren | |
worden sind. | |
Die restriktive Flüchtlings- und Migrationspolitik in Griechenland mit | |
ihrem Augenmerk auf die Route aus dem östlichen Nachbarland Türkei erhöht | |
aber den Druck auf der weit gefährlicheren Route westlich von Griechenland | |
im [5][zentralen Mittelmeer] – und hier vor allem von Libyen nach Italien. | |
Im Januar und Februar dieses Jahres kamen über diese Route knapp 12.000 | |
Geflüchtete und Migranten in der EU an. | |
So wundert es nicht, dass sich auf dieser Route zuletzt die Havarien völlig | |
überfüllter Boote häuften. Am Mittwochmorgen geriet südlich von Kreta ein | |
Boot mit rund 80 Migranten aus Syrien, dem Irak und Palästina, darunter | |
Frauen und Kinder, in Seenot. Sie befinden sich nun auf Kreta. Am | |
Wochenende war unweit der Insel Kythira südlich des Peloponnes ein Boot in | |
Seenot geraten. Laut offiziellen Angaben wurden etwa 100 Schutzsuchende | |
gerettet. Es gab keine Toten. Anders verlief eine Havarie nahe der | |
Kykladen-Insel Mykonos Ende Mai. Dort starben neun Migranten. | |
14 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ferry Batzoglou | |
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