# taz.de -- Bootskatastrophe auf Fluchtroute: Vorwürfe gegen die Küstenwache | |
> Mit dem Boot flohen 700 Menschen über das Mittelmeer – 104 haben | |
> überlebt. Sie berichten, es sei gekentert, als die Küstenwache es gezogen | |
> habe. | |
Bild: Einer der Überlebenden des Bootsunglückes im Hafen von Kalamata, Griech… | |
BERLIN taz | Nach dem schweren Bootsunglück mit vermutlich Hunderten Toten | |
im Mittelmeer gab es am Freitag praktisch keine Hoffnung mehr, noch | |
Überlebende zu finden. Nach Medienberichten soll die Suche im Lauf des | |
Tages eingestellt werden. | |
Das mit schätzungsweise bis zu 700 Menschen besetzte Fischerboot war in der | |
Nacht zum Mittwoch rund 50 Seemeilen südwestlich der Halbinsel Peloponnes | |
in internationalen Gewässern gesunken. 78 Todesopfer wurden bisher | |
geborgen. Die Behörden vermuten, dass das Boot sehr schnell sank. Deshalb | |
sei es den Menschen unter Deck nicht gelungen, sich ins Freie zu retten. | |
Am Donnerstagabend waren von den 104 Überlebenden [1][neun Verdächtige in | |
der Hafenstadt Kalamata festgenommen worden]. Die Ägypter gelten nach | |
Polizeiangaben als Organisatoren der Fahrt. | |
Am Freitag wurden die Überlebenden in ein Auffanglager nördlich von Athen | |
gebracht. Neun mutmaßliche Schleuser blieben in Kalamata in | |
Polizeigewahrsam. Dabei handelt sich nach Angaben der Küstenwache um | |
Ägypter. Ihnen werden fahrlässige Tötung, Menschenhandel und die Bildung | |
einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. | |
## Mutmaßliche Schleuser festgenommen | |
Kriton Arsenis, ein ehemaliger EU-Abgeordneter der Pasok, sagte am Freitag | |
nach Gesprächen mit Überlebenden, diese hätten ihm berichtet, das Boot sei | |
gesunken, [2][als die griechische Küstenwache es Richtung italienischer | |
Gewässer gezogen hatte]. In den sozialen Medien kursiert ein Video, das | |
zeigen soll, wie Überlebende auch dem ehemaligen Ministerpräsidenten Alexis | |
Tsipras dies bei dessen Besuch der Überlebenden am Donnerstag schildern. | |
Es wäre nicht der erste Fall. Immer wieder berichten Migrant:innen | |
gegenüber Journalist:innen oder Helfer:innen von teils | |
lebensgefährlichen Aktionen der Küstenwache. Im Juli 2022 verurteilte der | |
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erstmals Griechenland | |
wegen eines solchen Falls. [3][Im Januar 2014 war ein Boot mit 27 | |
Flüchtlingen vor der griechischen Insel Farmakonisi gekentert], 11 Menschen | |
starben. | |
Die Überlebenden hatten angegeben, dass ein Schiff der griechischen | |
Küstenwache mit sehr hoher Geschwindigkeit unterwegs gewesen sei, um die | |
Flüchtlinge zurück in türkische Gewässer zu drängen. Dadurch sei das Boot | |
mit den Geflüchteten an Bord gekentert. Die griechischen Behörden hätten | |
nicht alles Erforderliche getan, um die Flüchtlinge zu schützen und sie | |
einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt, so der EGMR. Außerdem seien die | |
Umstände des Unglücks nicht ausreichend aufgeklärt worden. Griechenland | |
musste 330.000 Euro Schadenersatz zahlen. | |
## Küstenwache ignorierte angeblich Notruf | |
Unterdessen berichtete das Portal Solomon unter Berufung auf die | |
[4][Initiative Alarm-Phone], dass zuvor ein Notruf des am Mittwoch | |
gesunkenen Bootes von der Küstenwache ignoriert worden war. Die hatte das | |
nach eigenen Angaben bereits seit Dienstagmorgen erfasst – die Insassen | |
hätten Hilfsangebote abgelehnt. | |
Die Initiative Alarm-Phone hatte um 17:53 Uhr am Dienstag die griechische | |
Rettungsleitstelle per E-Mail wegen des Bootes kontaktiert. In der Mail | |
waren die Koordinaten des überladenen Schiffes angegeben, ebenso die | |
Information, dass sich 750 Menschen an Bord befinden, sowie eine | |
Telefonnummer, unter der die Passagiere kontaktiert werden konnten. „Sie | |
bitten dringend um Hilfe“, heißt es in der E-Mail, die auch an Frontex und | |
das Hauptquartier ging. Die Küstenwache sei aber untätig geblieben. | |
Am Donnerstag reiste der [5][Frontex-Direktor Hans Leijtens] wegen des | |
Unfalls zu einem Treffen mit der griechischen Küstenwache. Er wolle „besser | |
verstehen, was geschehen sei“, schrieb Leijtens. | |
16 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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