| # taz.de -- Bodo Ramelow zum Coronagipfel: „Wir sind nicht im Showgeschäft“ | |
| > Beherbergungsverbote hält Thüringens Ministerpräsident für | |
| > Scheinlösungen. Die Leute müssten begreifen, dass es um ihre Gesundheit | |
| > geht. | |
| Bild: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von den Linken | |
| taz: Herr Ramelow, nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel. Die | |
| Ministerpräsidenten konnten sich beim Treffen im Bundeskanzleramt | |
| [1][wieder nicht auf einheitliche Maßnahmen einigen.] Warum ist es jetzt so | |
| schwierig, nachdem es im Frühjahr so schnell ging? | |
| Bodo Ramelow: Ich widerspreche da ganz ausdrücklich. Es gibt ein | |
| einheitliches Paket. Der Alarmwert von 35 Neuinfektionen auf 100.000 | |
| Einwohner etwa gilt bundesweit. Der Alarmwert von 50 Neuinfektionen ist | |
| ebenfalls drin. Alle Maßnahmen, die wichtig sind für den Instrumentenkasten | |
| der Gesundheitsämter vor Ort, stehen in dem Beschluss. Das ist ein | |
| erheblicher Fortschritt. | |
| Aber das Beherbergungsverbot für Menschen aus Risikogebieten ist nach wie | |
| vor umstritten. | |
| Das Beherbergungsverbot haben wir lange diskutiert und nach einem besseren | |
| Weg gesucht. Die Irritationen zwischen den Ländern sind nach wie vor groß. | |
| [2][Baden-Württemberg] legte das Verbot beispielsweise so aus, dass auch | |
| gewerbliche Reisende nicht in Baden-Württemberg übernachten durften. Das | |
| führt dazu, dass Züge aus Berlin nach Stuttgart nicht mehr mit Berliner | |
| Lokführern besetzt werden konnten, weil sie nicht in Stuttgart übernachten | |
| durften. Also völlig irre Situationen. Wir müssen uns wieder auf die | |
| Infektionsabwehr konzentrieren. Und deswegen haben wir uns in der MPK | |
| vorgenommen, dass wir die Frage, wie gehen wir mit touristischem | |
| Reiseverkehr und mit Mobilität um, nächste Woche noch einmal fachlich | |
| bearbeiten, um zu einem besseren Vorschlag zu kommen. | |
| Wie sind die Aussichten einer Einigung? | |
| Die Mehrheit war am Mittwochabend für das Beherbergungsverbot nicht mehr | |
| gegeben. Aber es gibt Länder, die sind nach wie vor dafür, deshalb ist es | |
| pragmatisch, bis zum Ende der Herbstferien zu warten. Und bis dahin, darauf | |
| hat Manuela Schwesig gedrungen, brauchen wir eine Erweiterung des | |
| Instrumentenkastens für die Gesundheitsämter. Wir müssen Hotspots danach | |
| bewerten, ob ein diffuser Ausbruch vorliegt oder dieser vor Ort eindämmbar | |
| ist. Wenn es ein diffuser Ausbruch ist, kann es sogar Auflagen geben, den | |
| Landkreis nicht zu verlassen. | |
| Was spricht aus Ihrer Sicht weiterhin gegen ein Beherbergungsverbot für | |
| touristische Reisen? | |
| An meiner Position hat sich nichts geändert. Nicht ich will in Thüringen | |
| entscheiden, was in Berlin, Stuttgart oder Freiburg los ist, sondern das | |
| müssen die Gesundheitsämter dort entscheiden. Aber es kommt nicht auf meine | |
| Meinung an, sondern darauf, ob wir eine gemeinsame Position finden, die ich | |
| am Ende auch mittragen kann. | |
| Ziel ist es, die Menschen aus Risikogebieten vom Reisen abzuhalten. Derzeit | |
| gibt es nur Appelle, die aber oft nicht gehört werden. | |
| Wir haben in Thüringen in allen Hotels Hygienekonzepte erarbeitet. Da wird | |
| teilweise beim Check-in Temperatur gemessen oder man muss nachweisen, dass | |
| man nicht mit positiv getesteten Personen in Kontakt war. Unsere Hoteliers | |
| leisten hier harte Arbeit. Und die führt dazu, dass man beherbergen kann. | |
| Wir wollen doch keine Hotels bekämpfen, sondern das Virus. | |
| Sprechen also wirtschaftliche Erwägungen dagegen? | |
| Nein. Es geht um das Virus. Und wenn keine Viren da sind, wieso soll ich | |
| dann eine Maßnahme aufrechterhalten, die keine Wirkung hat? Wir sind doch | |
| nicht im Showgeschäft. Das Beherbergungsverbot ist keine Lösung, sondern | |
| eine Scheinlösung, über die mir zu viel geredet wird. Es geht nicht darum, | |
| ob Ministerpräsident A oder B gewonnen hat. Nein, wir müssen den Kampf | |
| gegen das Virus gewinnen. | |
| Das Beherbergungsverbot soll bis 8. November auf seine Wirksamkeit | |
| überprüft werden. Welche Kriterien legt man an? | |
| Welche die besten Mittel sind, um Virenausbreitung zu verhindern. Ich halte | |
| aber zwei andere Punkte für entscheidender, nämlich die neue Teststrategie | |
| und die Musterquarantäneverordnung. Diese helfen uns, die Eindämmung auf | |
| den Ort des Geschehens zu konzentrieren. | |
| Laut Teststrategie können sich alle Personen mit Symptomen und deren | |
| Kontakte sowie Menschen in Einrichtungen, in denen Corona auftritt, | |
| kostenlos testen lassen. Die Musterquarantäneverordnung besagt, dass | |
| ausländische Reisende aus Risikogebieten sich nach der Einreise für 10 Tage | |
| in Quarantäne begeben müssen. | |
| Es ist wichtig, dass die Teststrategie bundesweit durchgesetzt wird. Und | |
| bei der Musterquarantäneverordnung geht es um die Millionen von Menschen, | |
| die täglich die Bundesrepublik besuchen und wieder verlassen. | |
| Die sollen die Bundesländer umsetzen. Aber eigentlich müsste es doch | |
| Grenzkontrollen bei der Einreise geben? | |
| Nicht zwingend. Die Gesundheitsämter müssen wissen, wer aus welchem | |
| Flugzeug ausgestiegen ist. Für Reisende, die mit dem Auto kommen, muss es | |
| eine Pflicht geben, sich zu melden. | |
| Wer mit dem Auto anreist, wird erst einmal nicht erfasst. | |
| Richtig. Es sei denn, wir würden Stichproben machen. Aber es muss eine | |
| Pflicht eingeführt werden, dass alle sich melden. | |
| Und wer dagegen verstößt, muss ein Bußgeld zahlen? | |
| Die Verstöße sind für mich weniger das Thema, als die Frage, ob sie Corona | |
| mitbringen. Ich habe am Dienstag einen Tag mit dem schwedischen Botschafter | |
| verbracht und mir erklären lassen, wie es in Schweden funktioniert. Es gibt | |
| einen erstaunlichen Unterschied. In Schweden wird das, was die | |
| Volksgesundheitsbehörde empfiehlt, als Anweisung verstanden. Bei uns | |
| überlegt man sich, ob man es einhält oder nicht, und schreit ansonsten | |
| immer gleich nach Strafe. Die Leute müssen begreifen, dass es um ihre | |
| Gesundheit und die Gesundheit ihrer Nachbarn geht. Ich möchte daher, dass | |
| Leute sich von sich aus melden. Ich möchte eine Kultur, die es den Leuten | |
| ermöglicht, das zu tun, und sie muss so niedrigschwellig sein, dass es | |
| funktioniert. | |
| Es gelten nun einheitliche Auflagen in Hotspots: eine verschärfte | |
| Maskenpflicht und Beschränkungen für private Feiern. Aber es gibt keinen | |
| einheitlichen Bußgeldkatalog. Warum nicht? | |
| Ich weiß nicht, warum es ihn geben soll. Im Schnitt gelten 50 Euro für | |
| Verstöße. | |
| In Thüringen muss man 60 Euro, in Berlin 50 bis 500 Euro, in Bayern 150 | |
| Euro zahlen. | |
| Na und, ändert das etwas am Virus? | |
| Es erhöht vielleicht die Akzeptanz von Auflagen | |
| Entscheidend ist, dass diese kontrolliert werden. Es nützt gar nichts, ein | |
| Bußgeld von 500 Euro zu verhängen, wenn nicht kontrolliert wird. Alles | |
| andere ist Symbolpolitik. Wir haben uns gestern darauf geeinigt, Kontrollen | |
| zu verstärken, auch mit Unterstützung der Bundespolizei. Das hat Horst | |
| Seehofer ausdrücklich angekündigt. Und wir wollen in Thüringen die | |
| Gesundheitsämter stärken und möglicherweise Mitarbeiterinnen und | |
| Mitarbeiter aus anderen Ämtern umsetzen. | |
| Sie wollen auch Medizinstudent:innen einsetzen. | |
| Na klar, warum denn nicht. Sie sollen bei der Nachverfolgung helfen, | |
| Kontaktpersonen erfassen und zum Test schicken. Die Nachverfolgung ist das | |
| entscheidende Kriterium bei der Bekämpfung der Pandemie. Wenn wir die | |
| Gesundheitsämter überlasten, bricht die Pandemie unkontrolliert wieder aus. | |
| Was halten Sie von einer Verstärkung durch die Bundeswehr bei der | |
| Nachverfolgung von Kontakten? | |
| Sehr gut. Machen wir. Wir könnten in Thüringen manches gar nicht | |
| aufrechterhalten, wenn wir die Bundeswehr nicht gehabt hätten. In Sonneberg | |
| gab es keinen anwesenden Amtsarzt, weil die Person schon länger krank ist. | |
| Eine Stabsärztin der Bundeswehr hat ausgeholfen, da kann ich der Bundeswehr | |
| nur herzlich danken. | |
| Haben Sie Verständnis dafür, [3][wenn Politiker:innen solch eine | |
| Verstärkung aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen]? | |
| Nein. Die schönste Friedensarbeit, die ich mir vorstellen kann, ist ein | |
| Bundeswehrsoldat, der bei der Epidemieabwehr hilft. | |
| [4][Frankreich hat am Mittwoch erneut den Gesundheitsnotstand ausgerufen.] | |
| Am Ende könnte ein neuer Lockdown stehen. Wie weit sind wir in Deutschland | |
| von einem solchen Szenario noch entfernt? | |
| Ich schaue mir das aus einem Bundesland an, in dem wir sehr kleine Zahlen | |
| haben. Aber vor acht Wochen hatten wir nur 47 aktiv Infizierte, jetzt sind | |
| wir bei fast 500 aktiv Infizierten, also fast eine Verzehnfachung. Das | |
| finde ich besorgniserregend. Das Ziel ist, die Zahl der Neuinfektionen | |
| sofort zu reduzieren und Überlastungen der Gesundheitsämter zu vermeiden. | |
| Wissen Sie, woher die Verzehnfachung kommt? | |
| Das sind diffuse Ursachen. Wir kennen ja jeden einzelnen Infizierten. Die | |
| große Sorge, dass sich die Verbreitung in Schulen oder durch Kinder | |
| abspielt, hat sich aber nicht bewahrheitet. Eine größere Rolle spielen | |
| hingegen Reiserückkehrer und Familienfeiern. Familienfeiern sind derzeit | |
| der größte Hotspot bei uns. | |
| 15 Oct 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
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