# taz.de -- Berlins Justizverwaltung zieht Bilanz: Corona leert die Knäste | |
> Dank der Pandemie wird eine alte linke Forderung kurzzeitig umgesetzt: | |
> Haftstrafen wurden ausgesetzt, Häftlinge entlassen. | |
Bild: Auch hier sind weniger hinter den Mauern: Knast Tegel | |
BERLIN taz | Es gab in Berlin in den vergangenen knapp vier Monaten | |
[1][wenig coronafreie Zonen] – die Knäste waren eine davon. Im | |
geschlossenen Vollzug sei bisher nicht ein einziger Häftling infiziert | |
worden, zog ein sichtlich zufriedener Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) | |
am Dienstag vor der Presse Bilanz. Denn: „Eine Ausbreitung in den | |
Gefängnissen hätte uns vor erhebliche Probleme gestellt.“ Unter anderem in | |
Bayern und Baden-Württemberg hatte es laut Behrendt Corona-Ausbrüche | |
gegeben. | |
Die Strategie der Justizverwaltung entsprach einer alten linken Forderung: | |
Leert die Knäste und sperrt möglichst niemanden mehr ein! Seit Ende März | |
wurden wegen Corona deutlich weniger Häftlinge in den Gefängnissen | |
untergebracht, um zu verhindern, dass sie das Virus einschleppen. Wer zum | |
Beispiel zu einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren verurteilt wurde, | |
musste sie in dieser Phase nicht antreten. Menschen, die sogenannte | |
Ersatzfreiheitsstrafen verbüßten, weil sie eine Geldbuße nicht zahlen | |
konnten oder wollten, wurden freigelassen. | |
Die zusätzlichen freien Zellen in den Gefängnissen nutzte die | |
Justizverwaltung, um Quarantäne- und Isolierstationen aufzubauen, wo | |
besonders gefährdete Gefangene untergebracht wurden, und um Kapazitäten für | |
einen eventuellen Corona-Ausbruch zu haben. „Wir haben täglich mit einem | |
positiven Fall gerechnet“, sagte Susanne Gerlach, die für den Strafvollzug | |
zuständige Abteilungsleiterin. | |
## 700 weniger Häftlinge als vor drei Monaten | |
Derzeit sitzen gut 3.000 Menschen in Berlins Gefängnissen, 700 weniger als | |
noch Mitte März. Rund 1.000 Haftplätze sind frei, dazu kommen weitere 560 | |
freie Zellen für Quarantäne- und Isolierstationen. „Wir werden diese Zellen | |
dauerhaft benötigen, schließlich ist ein Ausbruch jederzeit möglich“, so | |
Gerlach. Ob Berlin deswegen auf einen Mangel an Haftplätzen drohe, werde | |
man sehen müssen – und gegebenenfalls darauf reagieren. | |
Denn ab Mitte Juli sollen nun nach und nach die ausgesetzten Haftstrafen | |
nachgeholt werden, kündigte Behrendt an. Allerdings gilt das nicht für | |
alle: Um kurze Aufenthalte in Gefängnissen und damit eine Gefährdung von | |
Justizmitarbeitenden und Insassen zu vermeiden, kommen viele Verurteilte in | |
den Genuss einer Amnestie, in der Fachsprache Sammelgnadenerweis genannt. | |
Etwa jene, die höchstens 40 Tage Haft verbüßen müssten, oder jene, die die | |
Hälfte einer bis zu 90-tägigen Haftstrafe bereits verbüßt haben. | |
Das betreffe unter anderem Menschen, die wegen Schwarzfahrens einsitzen | |
oder kleinerer Diebstahldelikte. Ausgenommen seien wegen Sexual- und | |
Gewaltstraftaten Verurteilte und Hassverbrecher. Bis zu 1.000 Menschen | |
könnten davon profitieren, sagte Senator Behrendt. Die genaue Zahl sei noch | |
nicht berechnet worden. | |
Jene, die hingegen nun doch ins Gefängnis müssen, würden die ersten zwei | |
Wochen in Quarantäne verbringen und auf freiwilliger Basis auch ohne | |
Symptome auf Corona getestet werden. Bisher wurde nur bei Verdacht ein | |
solcher Test durchgeführt. | |
Viele der strengen Corona-Auflagen sind laut Behrendt inzwischen gelockert | |
worden. So gebe es wieder religiöse Veranstaltungen – unter entsprechenden | |
Hygienebedingungen. Seit gut einem Monat könnten Insassen auch wieder ihre | |
Frau und eines ihrer Kinder sehen. Besuche waren seit Ende März [2][bis auf | |
wenige Ausnahmen untersagt worden] – als dezenter Ersatz wurden 31 | |
Computerplätze aufgebaut, an denen geskypt werden konnte. „Diese | |
Möglichkeit hat sich bewährt und wird beibehalten“, berichtete Gerlach. | |
30 Jun 2020 | |
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[1] /Viele-junge-Corona-Faelle-in-Berlin/!5693221 | |
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## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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