| # taz.de -- Berliner Straßen in der Zukunft: Reclaim the main streets | |
| > Eine Freiluft-Ausstellung zur Geschichte der Berliner Straßen blickt nach | |
| > vorne – und wagt den Ausblick in eine menschen- statt autogerechte Stadt. | |
| Bild: So könnte die Mollstraße einmal aussehen | |
| Berlin taz | Nein, mit dem musikalischen Moll hat die Mollstraße in Mitte | |
| nichts zu tun. Benannt ist die im Stil der Nachkriegsmoderne bebaute Straße | |
| nach Joseph Moll, Mitglied im Bund der Kommunisten, der bei den Kämpfen | |
| während des badisch-pfälzischen Aufstands 1849 gestorben war. | |
| Dennoch atmet die Mollstraße jenes Melancholisch-Traurige, wie es den | |
| Moll-Tonleitern immer wieder nachgesagt wird. Etwas Unvollendetes haftet an | |
| ihr, vielleicht auch ein Schrei nach Liebe. Nach Leben. Nach Gerechtigkeit. | |
| Die Mollstraße ist eine von zehn großen Straßen und Verkehrsschneisen, die | |
| in der [1][Ausstellung „Immer modern. Berlin und seine Straßen“] einem | |
| Gedankenspiel unterzogen werden. Was, wenn sie nicht nur Autos gehörten, | |
| sondern auch Menschen? Wenn sie nicht nur der Fortbewegung dienten, sondern | |
| auch der Begegnung? | |
| „Große Straßen für morgen“ heißt dieser Teil der Freiluft-Ausstellung, … | |
| seit Donnerstag auf dem Mittelstreifen des Boulevards Unter den Linden zu | |
| sehen ist. Um „Flächengerechtigkeit und Aufenthaltsqualität“ geht es Ulri… | |
| Brinkmann, der zehn Architekturbüros eingeladen hat, sich vorzustellen, wie | |
| Verkehrsschneisen nach dem Ende des Autozeitalters aussehen könnten. Das | |
| utopische Bild für die Mollstraße, gewissermaßen ihr Dur-Bild, stammt aus | |
| der Feder des Büros [2][GRAFT-Architekten]. | |
| ## Sich einmischen | |
| Anlass für die Ausstellung ist ein Geburtstag. [3][Der Architekten- und | |
| Ingenieurverein AIV] feiert 2024 sein 200-jähriges Bestehen. „Der Verein | |
| hat sich schon immer in das Berliner Baugeschehen eingemischt“, sagt der | |
| AIV-Vorsitzende Tobias Nöfer bei der Pressevorstellung der Ausstellung am | |
| Donnerstag im Kronprinzenpalais. „Wir wollen nicht die Geschichte und uns | |
| selbst feiern, sondern Diskussionen auslösen.“ | |
| Um die Geschichte der Berliner Straßen geht es dennoch in der Ausstellung – | |
| und zwar im Teil „Große Straßen von heute“. Für jede der stadtbildpräge… | |
| Epochen der vergangenen 200 Jahre wird eine repräsentative Straße | |
| vorgestellt: Die Linden für Schinkels Berlin; die Swinemünder Straße für | |
| die Gründerzeitstadt; der Kurfürstendamm für die Erfindung des Neuen | |
| Westens; gleich mehrere Straßen für die ersten Autoplanungen der Weimarer | |
| Republik; die Westachse für die Nazi-Diktatur; Leninallee und Bundesallee | |
| für die autogerechte Stadt in Zeiten der Teilung und die Schloßstraße in | |
| Steglitz für die Verkehrsberuhigung einer Einkaufsstraße nach der Wende. | |
| „In den Großstädten sind es die Hauptstraßen, die das Bild der Stadt | |
| prägen“, betont der Kurator des Ausstellungsteils „Große Straßen von | |
| heute“, Harald Bodenschatz. „Auf der Hauptstraße wird sich auch | |
| entscheiden, ob die Mobilitätswende und die Klimawende erfolgreich sein | |
| wird. Dafür sei aber ein Paradigmenwechsel nötig. „Mit dem Schienenverkehr | |
| begann die Unterordnung der Stadtplanung unter die Verkehrsplanung“, so | |
| Bodenschatz. Die autorgerechte Stadt habe schließlich zu Straßen geführt, | |
| die – ohne Randbebauung – ausschließlich dem Auto dienten. Als Beispiel | |
| nannte er den Wolfensteindamm am Steglitzer Kreisel. Die Folgen seien Lärm, | |
| Luftverschmutzung und die Zerstückelung ganzer Quartiere. | |
| Zwar habe der Konsens einer autogerechten Stadtplanung bereits Ende der | |
| 70er Jahre zu bröckeln begonnen. „Aber noch immer tut sich die Stadt schwer | |
| mit dem nachhaltigen und urbanen Umbau von Hauptstraßen.“ | |
| An Lippenbekenntnissen fehlt es nicht: „Die autogerechte Stadt hat | |
| Schneisen geschlagen, die man heute behutsam zurückführen muss“, meint etwa | |
| Bausenator Christian Gaebler (SPD). „Wir müssen schneller vorankommen in | |
| der Umgestaltung der autogerechten Stadt zur menschengerechten Stadt.“ | |
| Gaebler vertrat bei der Ausstellungseröffnung den kurzfristig verhinderten | |
| Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Es wäre schon interessant | |
| gewesen zu hören, wie der sich zum Rückbau der großen Schneisen geäußert | |
| hätte, der nicht nur dem AIV ein Anliegen ist, sondern auch Berlins | |
| Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt. | |
| Eines der Projekte, mit denen Kahlfeldt zu tun hat, ist die ehemalige | |
| Stadtautobahn A 104. Seit 2023 ist der Tunnel unter der Wohnanlage | |
| Schlangenbader Straße wegen Baufälligkeit gesperrt. Unter dem Motto „Stadt | |
| statt A 104“ fand letztes Jahr auch der [4][Schinkel-Wettbewerb für junge | |
| Architekten des AI]V statt. Ein zweites Projekt der Rückgewinnung eines von | |
| Autobahnen geprägten Stadtraums ist der „neue Stadteingang West“ am Dreieck | |
| Funkturm. | |
| „An den Utopien lässt sich ahnen, wie wichtig Straßen für das Leben in der | |
| Stadt sind“, sagt der Baustadtrat von Berlin Mitte, Ephraim Gothe (SPD). | |
| Ein wenig Moll klingt da schon mit. Denn mehr als schöne Bilder gibt es | |
| bislang nicht. | |
| 5 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
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