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# taz.de -- Rollback beim Verkehr in Berlin: Die Lindnerstraße
> CDU und SPD machen es ihm einfach. Christian Lindner will Berlin als
> Teststrecke für die Freiheitlich Demokratische Porscherepublik. Eine
> Realsatire.
Berlin taz | Wir müssen uns Christian Lindner als einen glücklichen
Menschen vorstellen. Schaut er aus seinem Büro in Mitte auf die
Reinhardtstraße, braust ungebremst der Autoverkehr vorbei. Diese
Geschwindigkeit! Großstadttempo! Und wie das duftet! Man sieht den
glücklichen Herrn Lindner förmlich den Benzingeruch mit der Nase aufsaugen.
Und ahnt: In dieser von CDU und SPD regierten Stadt kann sich auch ein
FDP-Vorsitzender wohl fühlen.
Im Februar hat er sogar eine Flasche Schampus geköpft. Es war ein ganz
besonders glücklicher Tag im Leben des Christian Lindner: Berlins damalige
Verkehrssenatorin Manja Schreiner von der FDP-Schwesterpartei CDU hatte
[1][auf einen Schlag an 34 Streckenabschnitten der Hauptstadt die Anordnung
einer Tempo-30-Zone aufgehoben]. Auch die Reinhardtstraße war dabei.
## Er nennt sie „meine Wissing“
Wenn der FDP-Chef nach Feierabend in seinen Porsche-Oldtimer steigt, darf
er nun wieder mit 50 Sachen zu seiner Franca brausen. Vielleicht werden’s
auch ein paar Stundenkilometer mehr. In der FDP-Zentrale sprechen sie schon
davon, dass die Reinhardtstraße bald in Lindnerstraße umbenannt werden
könnte. Das Glück kennt auf seiner Skala nach oben keine Grenzen.
Dass die Senatorin von der Auto-Schwesterpartei wegen einer gefälschten
Doktorarbeit zurücktreten musste, soll Lindner, so geht es aus einem
Chatverlauf hervor, zuerst arg getroffen haben. „Meine Wissing“, soll er
sie einmal genannt haben. Das war anerkennend gemeint. Wenn die CDU die
Radwege wieder einrollt wie ein Stück falsch verlegten Kunstrasens, kann
sich die FDP die Hände reiben. Nicht mal dreckig hat sie sie sich machen
müssen. Danke, Frau Wissing!
Inzwischen kommt der glückliche Herr Lindner auch mit der Frau Bonde klar.
Auch die baut keine neuen Radwege. Auch sie steht auf freie Fahrt für freie
Bürger. Dass sie mal beim Verkehrsverbund VBB auf der Gehaltsliste stand,
wäre vielleicht ein Anstellungshindernis bei der FDP gewesen. Aber solange
sie deren Politik durchdrückt, freut sich das Porschefahrerherz.
Ist es dieses sehr berlinische Biotop, das Christian Lindner Mitte August
Flügel verliehen hat? Die nach Asphalt und Benzin duftende Mischung aus CDU
und SPD, die in Rekordtempo kassiert, worüber sich grüne Senatorinnen und
Aktivistinnen seit Jahren den Kopf zerbrechen? Die die Verkehrspolitik vom
Kopf wieder auf die Fahrbahn gestellt hat?
Jedenfalls hat der Herr Lindner ordentlich Gummi gegeben. Fahrrad raus!
Auto rein! Parken frei! „Freiheit Den Porschefahrern“ soll FDP nun
buchstabiert werden. Nicht nur in Berlin, überall in der Republik.
Schließlich soll nicht nur der Herr Lindner glücklich sein. Dass Berlin
nicht zusammenbricht, wenn es auf den Straßen etwas voller wird, haben ja
die Bauernproteste gezeigt. Auch Treckerfahrer sind der FDP inzwischen
willkommen.
Im Konferenzraum der [2][trutzburgartigen FDP-Zentrale] in der künftigen
Lindnerstraße hat ein Referent schon ein paar Pläne aufgehängt. Vierspurige
Spreeuferstraßen sind zu sehen, ein Gruß an Paris, als die Stadt noch nicht
so grünversiffte Verkehrspolitik gemacht hat wie unter Anne Hidalgo.
Natürlich ist das auch ein Warnhinweis an die Berliner SPD: Blockiert doch
eure Kieze mit Kiezblocks; die Hauptverkehrsstraßen gehören uns.
Auf dem Ku’damm soll der Mittelstreifen neuen Parkplätzen weichen. Wer eine
neue Rolex braucht, muss auch vor dem Rolex-Dealer parken können. Nicht nur
der Weg zur Lunge muss geteert sein.
Etwas ganz Besonderes hat sich Christian Lindners Planungsteam für den
Boulevard Unter den Linden ausgedacht. Nein, umbenannt wird er nicht, aber
vier Spuren pro Richtung tun es auch. Busse? Können weg! Radfahrer? Können
auf dem Gehweg schieben! Porschefahrer? Haben freie Fahrt bis ins
[3][Humboldt-Forum], wo im Schlüterhof ein VIP-Parkplatz entstehen soll.
Kostenlos natürlich.
Der Einzige, der über alldem nicht richtig glücklich wirkt, ist Kai Wegner.
Der Regierende Bürgermeister bekommt dieser Tage vermehrt E-Mails von
seinen Wählern außerhalb des S-Bahn-Rings. „Weg mit der Umweltzone“ trend…
auch bei „X“. Auch Dieselfahrer wollen am Schloss parken, fordern
wortgleich die AfD und das BSW in Marzahn. Was soll er bloß machen, der
unglückliche Herr Wegner? Fällt die Umweltzone, muss das Land dann nicht
eine saftige Strafe an die EU zahlen?
Oder doch nicht? Mach dir nicht in die Hosen, soll der Christian dem Kai
geschrieben haben. Eine Hand wäscht die andere. Ihr habt Berlin zur
Teststrecke unserer Freiheitlichen Deutschen Porscherepublik gemacht. Jetzt
habt ihr was gut. Und vielleicht können wir es ja so drehen, dass am Ende
nicht Berlin die Strafe zahlt, sondern die grüne Umweltministerin im Bund.
16 Aug 2024
## LINKS
[1] https://viz.berlin.de/aktuelle-meldungen/die-berliner-luft-ist-deutlich-bes…
[2] https://www.fdp.de/bundesgeschaeftsstelle
[3] https://www.humboldtforum.org/de/
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Christian Lindner
Verkehrswende
Schwarz-rote Koalition in Berlin
Ute Bonde
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
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