# taz.de -- Berliner Opernstart mit Wagner: Nichts davon ist ernst zu nehmen | |
> Sieglinde und Siegmund zeugen einen Helden auf dem Klavier. Mit Richard | |
> Wagners „Walküre“ eröffnet die Deutsche Oper Berlin die Spielzeit. | |
Bild: Szene aus „Die Walküre“ mit John Lundgren, Annika Schlicht und Nina … | |
Sie ist wieder da, die Deutsche Oper an der Bismarckstraße in | |
Charlottenburg. Ganz weg war sie nie, aber die Coronapandemie hat auch bei | |
ihr allerlei Ersatzhandlungen ausgelöst, liebenswerte allesamt, aber | |
nichts, was mit dem Wort „Oper“ zu beschreiben wäre. Sogar eine zehn Jahre | |
alte Kurzfassung des „Rheingold“ eines britischen Komponisten fand auf dem | |
Parkdeck hinter dem verschlossenen Saalgebäude statt. Natürlich konnte sie | |
den sogenannten „Vorabend“ des „Bühnenfestspiels“ nicht ersetzten, wie | |
Wagner seinen „Ring des Nibelungen“ nannte. | |
[1][Stefan Herheims] Version des „Rheingold“ soll erst im Juni des nächsten | |
Jahres nachgereicht werden. Deshalb ging es am Sonntag gleich los mit den | |
vollen sechs Stunden maximal großer Oper, die eine Aufführung der „Walküre… | |
mit ihren unerlässlichen zwei Pausen und dem Schlussapplaus nun mal dauert. | |
Nun ja, dieser Schlussapplaus blieb recht kurz und die üblicherweise | |
lautstarken Proteste der Wagnergemeinde gegen jeden denkbaren Versuch, den | |
heiligen Meister gegen den Strich zu bürsten, klangen recht verhalten. Es | |
gab sie aber doch, wenn auch nur unter Verletzung der strikt einzuhaltenden | |
Maskenpflicht. | |
## Privilegiertes Unbehagen | |
So war am Ende alles wie immer, wenn Wagner gespielt wird. Fast wie immer | |
wenigstens, denn etwas gespenstisch war es schon in dem großen Saal, der | |
1.800 Sitzplätze anbietet. Nur 770 davon waren besetzt, aber das | |
privilegierte Unbehagen, in einer Pandemieoper zu sitzen, verlor sich | |
schnell, weil Herheim einen kompromisslos zupackenden, hochdramatischen | |
Wagner auf die Bühne bringt. | |
Allerdings haben Donald Runnicles am Pult des Hausorchesters, Lise Davidsen | |
als Sieglinde, Brandon Jovanovich als Siegmund und Andrew Harris als | |
Hunding im ersten Akt noch hörbar Schwierigkeiten, sich in den strengen | |
Rahmen von Herheims Konzept hineinzufinden. Die Figuren sind eingemauert in | |
eine meterhohe, undurchdringliche Ringmauer aus zerschlissenen Koffern. Sie | |
singen unkonzentriert aneinander vorbei, das Orchester klingt spröde und | |
spannungsarm. | |
Dazu kommt die schwer zu deutende Pantomime eines spastisch behinderten | |
jungen Mannes, die Herheim erfunden hat. Zappelnd fuchtelt der Junge mit | |
einem Dolch zwischen das zart intonierte, libidnöse Wiedererkennen der | |
beiden Geschwister. Wohl das Produkt der Zwangsehe der Schwester mit dem | |
Feind des Bruders, die nun inzestuös und sichtbar gebrochen wird: Die | |
beiden legen sich in Unterwäsche auf den schwarzen Konzertflügel, der im | |
Zentrum des Bühne steht, und zeugen den nächsten Helden. Der Vorhang fällt. | |
## Alles kann aus diesem Kasten kommen | |
Klavier und Koffer sind offenbar wichtige Requisiten des „Rheingold“, das | |
noch nicht zu sehen war. Das ist nicht schlimm, weil vom zweiten Akt an vor | |
allem das Klavier seine zentrale Rolle in dieser Regie voll entfaltet. | |
Alles kann aus diesem Kasten herauskommen, Helden, und Maiden, Wotan und | |
Fricka, Feuerzauber und am Ende noch eine Pantomime: Ein kleiner Wagner mit | |
Hakennase und Barett kniet zwischen Sieglindes geöffneten Schenkeln und | |
zieht eine Puppe heraus, die er zärtlich in die Arme nimmt. | |
Das ist Siegfried, die nächste Oper. Herheim kehrt damit zurück zu dem | |
Wagner, den er vor ein paar Jahren an der Berliner Staatsoper mit | |
„Lohengrin“ vorgestellt hat. Ein hochbegabter Autist flüchtet sich eine | |
Welt von Mythen, die immer nur seine eigene Größe und Allmacht spiegeln. An | |
der Staatsoper schrieb er noch die Notenblätter voll. Jetzt jetzt er sich | |
mit der gedruckten Partitur in der Hand ans Heldenklavier. Die Walküren | |
singen ihm etwas daraus vor, alle anderen dürfen auch mal ran, aber es geht | |
immer nur um ihn allein und sein Klavier. | |
## Die Fabelwelt strotzt vor Gewalt | |
Seine Fabelwelt strotzt vor Gewalt, Blut und Hoden. Herheim zeigt sie aus | |
großer, ironischer Distanz. Die Helden raufen mit Schwertern und Spießen | |
aus der Spielwarenabteilung, die überlebensgroßen Frauen sind feuchte | |
Träume in lächerlichen Kostümen. Nichts davon ist ernst zu nehmen und genau | |
damit gelingt es Herheim zu zeigen, dass unter der absurden Oberfläche | |
eines ewig spielenden Kindes etwas anderes liegt. Große Musik nämlich, die | |
ein Leiden zum Klingen bringt, das nachvollziehbares Gewicht hat. | |
Es gibt gute Gründe, aus der Wirklichkeit zu fliehen. So erklären sich die | |
Kofferberge, und so erklärt sich auch, warum Wagners Opern bis heute sogar | |
seine Gegner fesseln und begeistern können. | |
[2][Donald Runnicles] geht mit in diese Tiefe, Wagners überwältigender | |
Klangrausch füllt jetzt den halb geleerten Saal. John Lundgren und Nina | |
Stemme sind Wotan und Brünhilde, ein müder, grabschiger Tyrann der eine, | |
ein ernsthaft fragendes, mitleidendes Mädchen die andere, sehr genau | |
gezeichnet von Herheim und von beiden mit großen, sicheren Stimmen | |
gesungen. So kann es weitergehen. | |
29 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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