# taz.de -- Bayreuther Festspiele beginnen mit "Parsifal": Klingsor zeigt Bein | |
> "Parsifal" von Regisseur Stefan Herheim eröffnet die letzten Bayreuther | |
> Festspiele unter Wolfgang Wagners Leitung. Deutliche Geschichtsreflektion | |
> inklusive. | |
Bild: Und Parsifal zeigt Bauch: widerspruchsloser Jubel in Bayreuth. | |
Dieser verblüffend widerspruchslos bejubelte "Parsifal" ist einer der | |
längsten und zugleich einer der kurzweiligsten in der Aufführungsgeschichte | |
der Wagneroper. Daniele Gatti, musikalischer Leiter, entschleunigt im | |
Graben bis zur sängerischen Belastungsgrenze. Wobei alle ein gutes | |
Festspielniveau bieten. Stefan Herheim, Regisseur aus Norwegen, bebildert | |
auf der Bühne bis an die Grenze der Aufnahmefähigkeit. Doch was paradox | |
klingt, hat funktioniert, weil Herheim nicht nur szenisch aus der Musik | |
"denken", sondern das auch seinem Ensemble vermitteln kann. Brüche | |
inklusive. | |
"Parsifal" wird bei Herheim (und seinem akribischen Dramaturgen Alexander | |
Meier-Dözenbach) zu einem Parforceritt durch die Geschichte. Durch die | |
deutsche, die des Hauses Wahnfried und des Stückes selbst. Da wird die | |
Kunst unversehens zu einem Spiegel. Zu den letzten verhauchenden Klängen | |
der von Gatti mehr betörend schwebenden als schmerzglühend kredenzten | |
Parsifalmusik leuchtet eine Taube in der Höhe so hell, dass sich das | |
Publikum selbst in einem riesigen Spiegel auf der Bühne erkennen kann. Die | |
erwartete Erlösung, wovon auch immer, ist von der Bühne nicht zu haben. | |
Gurnemanz, Kundry und ein wohl wiedererstandener Kleinparsifal finden (wie | |
eine heilige Familie) vorn an der Rampe zusammen. Und schauen in eine | |
ungewisse Weltenzukunft. Wie alle. | |
Das ist das vergleichsweise zahme Finale eines grandios entfesselten | |
Bildertheaters. Ganz gegen die Tradition wird diesmal auch das Vorspiel | |
bebildert. Da stirbt die Mutter eines kleinen Jungen, der das erst gar | |
nicht kapiert und lieber mit Pfeil und Bogen spielt, für den der | |
Mutterverlust dann aber zu einem Albtraum der Erinnerung und zum | |
Lebenstrauma wird, samt verkorkster Sexualität. Ihr Sterbebett wird zum | |
zentralen Requisit, zum metaphorischen Platzhalter eines ahnungsvoll | |
psychoanalysierenden Kreisens um das brodelnd Triebhafte, das auch von den | |
prächtig wilhelminischen Roben und Uniformen nur überdeckt wird (Kostüme: | |
Gesine Völlm). In diesem Bett wird nicht nur gestorben. Vor der | |
Wahnfriedfassade funktioniert es wie eine Hinterpforte ins Unterbewusste. | |
Nicht, dass man dabei immer genau sagen könnte, welche Projektion des | |
Frauenbildes, aus dem Wagner seine Kundry gebastelt hat, gerade gemeint | |
ist, oder welcher obsessive Pfad der Selbstfindung Parsifals gerade | |
beschritten wird - doch der Wegweiser ist intakt, die Linie des Gemeinten | |
bleibt klar. | |
Die Deutlichkeit dieser Geschichtsreflektion, die die letzte Saison der | |
über Jahrzehnte währenden Ära von Wolfgang Wagner als Festspielchef | |
eröffnete, lässt dagegen keine Wünsche offen. Da dräut des Malers Kaulbach | |
wehrhafte Germania überm deutschen Kamin. Da verwandelt sich Wagners Villa | |
Wahnfried wie von Zauberhand grandios (Bühne: Heike Scheele) in den | |
Gralstempel der Uraufführungsinszenierung. Da wird auf offener Bühne ein | |
Kind geboren und Objekt der Anbetung. Da marschiert die Jugend des | |
wilhelminischen Deutschlands mit dem "Treu bis zum Tod" der Gralsenthüllung | |
auf den Lippen geradewegs in die Schützengräben des ersten Weltkrieges. | |
Im Klingsor-Akt dann wird der Albtraum zur Wirklichkeit der deutschen | |
Geschichtskatastrophen. Der als Show-Transe Bein zeigende Klingsor (Thomas | |
Jesatko) und eine Marlene Dietrich zitierende Kundry (nicht ganz die | |
typische Verführerin: Mihoko Fujimura) bieten den Verwundeten und | |
Sterbenden des ersten Weltkrieges Revueglamourmädchen. Und | |
Krankenschwestern. Als Parsifal (mit Strahlkraft: Christopher Ventris) dann | |
vom Wahnfried-Balkon da hineinspringt, und sich vom Blauen Engel doch nicht | |
verführen lässt, wird das Grauen an sich beschworen. Jetzt wehen die | |
Hakenkreuzfahnen über Wahnfried und die SS marschiert auf. Es muss | |
natürlich in der Katstrophe enden, wenn der kleine Junge den Speer | |
schultert wie eine Volkssturm-Panzerfaust. Am Ende kracht der Adler mit dem | |
Hakenkreuz auf die Bühne und Wahnfried steht in Flammen. | |
Im dritten Akt liegen Wagners Haus und Deutschland in Trümmern, mit | |
Trümmerfrauen zum Karfreitagszauber. Samt dem 1951 von Wieland und Wolfgang | |
postulierten "Hier gilts der Kunst" zur Widereröffnung der Festspiele als | |
Projektion. Amfortas (an der Spitze der Protagonisten: Detlef Roth) leidet | |
jetzt im Plenum des Bonner Bundestages. Mitten in dieser uniformen und | |
selbstsicheren neuen, demokratischen Ritterschaft, verschwindet Parsifal | |
schließlich in der Versenkung. Nicht sang- und klanglos versteht sich, es | |
wagnert ja. Aber ohne wirkliche Hoffnung. Und die, die übrig bleiben, haben | |
sich an die Rampe gerettet. Als Familie. Oder sitzen im Zuschauerraum. Und | |
haben jede Menge Stoff zum Nachdenken, über die Welt, über Wagner, über das | |
Stück und vielleicht auch über sich selbst. | |
29 Jul 2008 | |
## AUTOREN | |
Joachim Lange | |
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