| # taz.de -- Berliner Kunsttipps der Woche: Brüchig, mitunter eng | |
| > Um körperlich gefühlte Zeit geht es in Asta Grötings Performance „Der | |
| > eilige Geist“. Um ein vergangenes Manhatten in den Retro-Paintings von | |
| > Larmee. | |
| Bild: Kevin Larmee und Nelson Sullivan: A Nice Breeze Blowing All the Smoke in … | |
| Die Langeweile muss ihm schon tief in die Glieder gekrochen sein, nach | |
| Stunden eingeengt in einer Glasvitrine, die Fenster von seinem Atem ganz | |
| beschlagen. Mit schweren Bewegungen zieht sich Performer Florian | |
| Schlessmann entlang der vielleicht 1,8 Meter des [1][Kunstschaufensters | |
| SOX] hin und her. Mal guckt er, mal sinkt der Blick ins Innere, das sich | |
| mit der Zeit immer mehr zu leeren scheint. | |
| Um körperlich gefühlte Zeit geht es Asta Gröting mit „Der eilige Geist“. | |
| Eine Performance über Gefühle als Maß, um das es eigentlich ein ganzes | |
| System der objektiven Normung gibt. Zeit muss besonders lang sein, wenn | |
| nicht viel Platz ist wie bei SOX an der Oranienstraße. Wie fühlt sich Zeit | |
| erst einmal an, wenn es gar keinen Platz gibt? | |
| Diese Frage stellte sich, als Asta Gröting die gleiche Performance am | |
| vergangenen Samstag zur Eröffnung der großen Ausstellung | |
| „[2][Uferhallen-Manifest]“ aufführte. 50 Künstler:innen machen dort – u… | |
| anderem mit Beton sprengenden Pilzen und der Yogamatte als Mindestbedarf – | |
| auf den Verdrängungsprozess aufmerksam, der gerade droht, durch den Verkauf | |
| der Atelierhallen an einem der Samwer Brüder in Gang gesetzt zu werden. | |
| Ein Bild von dem, was aus der Stadt längst verdrängt ist, fügt sich auf den | |
| melancholischen Retro-Paintings von Kevin Larmee bei [3][Stations] | |
| zusammen. Wie er seine anonymen Figuren mit schwarzen Konturen vor einem | |
| urbano-impressionistischen Blau und Grau in Szene setzt, erinnert ein wenig | |
| an den georgischen Maler Niko Pirosmani: einfach, gewöhnlich und auf | |
| brüchige Weise schablonenhaft. | |
| Manchmal fügt sich Larmee als wehmütiger Blonde Romantic zu seinen | |
| Stadtgestalten, die eine ganz bestimmte Szene im New York der Siebziger- | |
| und Achtzigerjahre widerspiegeln: Das queere Manhatten zwischen Greenwich | |
| Village und East Village, wo Jean-Michel Basquiat sein Atelier hatte, die | |
| Redaktion des Village Voice für die Rechte von Sexarbeiter:innen schrieb | |
| und RuPaul dem Christopher Street Day noch ein bißchen mehr Glamour | |
| brachte. | |
| Letztere:r stolziert dann zufällig durch die Videoaufnahmen von Nelson | |
| Sullivan, mit denen die Ausstellungsmacherinnen Melissa Canbaz und Mihaela | |
| Chiriac die Bilder von Larmee kommentieren. Der früh verstorbene Sullivan | |
| begleitete mit seinen Amateuraufnahmen diese ganz bestimmte, vergangene | |
| Subkultur im Downtown Manhattan, auf dessen prä-gentrifizierten, einst | |
| bröckelnden Fassaden auch mal Larmees Malereien auftauchen konnten. | |
| [4][Die Kunstsaele werden schließen]. Bedröppelt wie ein Storch im Regen | |
| lässt dann auch der Ventilator von Geerten Verheus im Eingangssaal seine | |
| Flügel herabhängen. Zehn Jahre haben die Leiter:innen Michael Müller, | |
| Geraldine Michalke, Alexander Hahn und Stephan Oehmen mit den Kunstsaelen | |
| ein offenes Programm vertreten, das ungewöhnlich ist für ein vornehmliches | |
| Sammler:innen-Projekt. | |
| Junge und etablierte Künstler:innen, Diskurs und Aktion, eigene und andere | |
| Sammlungen. Für diese letzte Schau mit dem dramatischen Titel „Freitod“ | |
| wird noch einmal aufgetrumpft: Karin Sander, André Butzer, Thomas | |
| Scheibitz, Friederike Feldmann, Max Schaffer, Felix Gonzalez-Torres, | |
| Tiziana Jill Beck, sogar Lovis Corinth – 36 Künstler:innen. | |
| 13 Oct 2020 | |
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| [1] https://www.sox-berlin.com/ | |
| [2] http://uferhallen-ev.de/events/uferhallen-manifest/ | |
| [3] https://www.stations.zone/ | |
| [4] https://www.kunstsaele.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Sophie Jung | |
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