# taz.de -- Berliner Kunsttipps der Woche: Was die Bilder erzählen | |
> Die Galerien halten im Lockdown die Stellung, zu empfehlen ist eine Tour | |
> zu Esther Schipper, Isabella Bortolozzi und Capitain Petzel. | |
Bild: Andrew Grassie, „Street 1“, „Street 2“, 2020 | |
Die Kunst hat noch einmal Glück gehabt bei diesem zweiten sogenannten | |
Lockdown, immerhin die kommerziellen Galerien dürfen offen bleiben. Sie | |
gelten als Einzelhandel und müssen sich nur an die entsprechenden Abstands- | |
und Hygieneregeln halten. So fand am vergangenen Sonntag sogar ein weiteres | |
Mal der vom [1][Index] initiierte „Sunday Open“ statt. Ein paar Galerien | |
stellten ganz neue Ausstellungen vor, andere öffneten einfach so die Türen. | |
Einen eher ungewohnten Anblick der [2][Galerie Esther Schipper] – besonders | |
für alle, die sich noch an die vorherige, imposante Schau von [3][Philippe | |
Parreno] erinnern können – bieten seit Sonntag die kleinformatigen, | |
fotorealistischen Gemälde von Andrew Grassie. Der Künstler hat sie der Wand | |
entlang auf einer Linie in Zweier- und Dreiergruppen aufgehängt, als handle | |
es sich um Stills eines Films. Ansichten eines Berliner Balkons sind | |
darunter, fotografiert aus dem fahrenden Bus heraus. Blühende Narzissen. | |
Parkende Autos hinter schlierigen Scheiben. | |
Manche der Gemälde unterscheiden sich beim flüchtigen Hinsehen kaum, die | |
ihnen zugrundeliegenden Fotos sind nur Bruchteile von Augenblicken später | |
oder früher aufgenommen. Es sind Bilder fürs Kopfkino, Bilder, die vom | |
Sehen, Ansehen und Nichtsehen erzählen, denn warum Grassie gerade diese | |
scheinbar unbedeutenden Details als Sujets gewählt hat, muss sich jede*r | |
selbst beantworten. | |
Szenen aus umkämpften Räumen | |
Hannah Quinlan & Rosie Hastings, deren Ausstellung bei [4][Isabella | |
Bortolozzi] am Samstag eröffnete, arbeiten ebenfalls auf Grundlage von | |
Fotografien. Solche vom lockdownleeren Green Park in London sind es, den | |
die Künstlerinnen wegen dessen Lage im politischen Zentrum der Stadt, aber | |
auch wegen seiner langjährigen Nutzung als schwules Cruising-Gebiet | |
ausgewählt haben. | |
In den Fresken (ja, Fresken!), die Quinlan & Hastings für ihre Schau | |
anfertigten, wird der Park zu einer Bühne für Personen aus der | |
LGBTQ-Community und für deren Kampf um Raum und Öffentlichkeit in den 80er | |
und 90er Jahren. Welche Geschichte, die abgebildeten Szenen genau erzählen, | |
bleibt offen, aber Anspannung, unterschwellige Aggression wie nach oder vor | |
gewaltsamen Zusammenstößen spricht aus allen von ihnen. | |
Nur noch bis einschließlich Samstag ist bei [5][Capitain Petzel] eine | |
kleine, aber sehr feine Auswahl von Aquarellen von Sanya Kantarovsky zu | |
sehen. Fantastische kleine, poetische, auf Papier gebannte, surreale | |
Bildwelten: Eine Judith, die dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes noch | |
einmal tief in die Augen blickt, Männer, die eine Schlafende durch den Park | |
tragen, in sich verkrallte Paare, geisterhafte Wesen, ein Schlafloser auf | |
dem Bett sitzend, dessen Kopf vor lauter Grübelei groß und größer wird. | |
Kaum sattsehen kann man sich an ihnen. | |
3 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.indexberlin.com/ | |
[2] https://www.estherschipper.com/ | |
[3] /Multimedia-Kunst-von-Philippe-Parreno/!5511860 | |
[4] https://bortolozzi.com/ | |
[5] http://www.capitainpetzel.de | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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