# taz.de -- Berliner Fußballrivalität: Vorstadt schlägt Hauptstadt | |
> Union Berlin mausert sich von der tiefen Berliner Provinz aus zum | |
> Kultklub. Hertha BSC formuliert derweil große Ziele und scheitert daran. | |
Bild: Wahre Liebe: Unionfans auf dem Weg durch den Wald zum Stadion | |
Mehr ländliche Idylle geht in einer Millionenstadt nicht. Im Stadion an der | |
Alten Försterei entsteht sie Heimspiel für Heimspiel zumindest in den | |
Köpfen, wenn die Fans aus ihrem Repertoire das Loblied auf ihren Berliner | |
Kiez anstimmen: „Hey, FC Union, stürme hinaus, in Berlins Südosten bist du | |
zu Haus, zwischen Wiesen und Wäldern, Tälern und Seen. Oh, Köpenick, du | |
bist wunderschön… la la la…“ Beileibe singen das nicht nur | |
Köpenicker:innen auf den Rängen, wie auch Christian Arbeit, der | |
Stadion- und Pressesprecher vom 1. FC Union Berlin, dazu bemerkt. | |
Der Hype um den Klub, der vor noch nicht allzu langer Zeit in der | |
Regionalliga kickte, ist mit dem Aufstieg in die 1. Bundesliga vor zwei | |
Jahren noch einmal deutlich größer geworden und reicht über den Bezirk und | |
die Stadt hinaus. Aber um zu dem Verein dazuzugehören, der diese Saison gar | |
[1][im internationalen Geschäft] mitmischt, werden alle gern zu | |
Köpenick-Anbeter:innen. Arbeit sagt: „Bei uns ist klar, wo wir zu Hause | |
sind. Daraus schöpfen wir unsere Kraft. Das ist auch der Ort, für den wir | |
uns besonders verantwortlich fühlen.“ | |
Während bei Union die Fans zuletzt wie von selbst vom Köpenicker Kosmos | |
angezogen werden, sinnt man beim Stadtrivalen Hertha BSC seit Jahrzehnten | |
darüber nach, wie man expandieren kann, um die Menschen in der ganzen Stadt | |
zu erreichen. Das Streben speist sich aus einem bestimmten | |
Selbstverständnis. In Hertha-Mitteilungen stößt man häufiger auf das Wort | |
„Hauptstadtverein“. Anders als bei Union gibt es bei Hertha Fanklubs namens | |
„Hauptstadt Support“, „Hauptstadt-Wikinger“ oder „Hauptstadtkommando … | |
Und natürlich denkt der Verein über Berlin hinaus. Nach nur drei Jahren | |
Bundesligazugehörigkeit erklärte im Dezember 2000 der damalige | |
Hertha-Präsident Bernd Schiphorst im Sinne des zu der Zeit allmächtigen | |
Managers Dieter Hoeneß: „Wir sind der Erstligist der deutschen Hauptstadt, | |
daran wird die G14 mittelfristig nicht vorbeikommen.“ Gemeint war der | |
Zusammenschluss der 14 mächtigsten europäischen Fußballvereine. | |
## Hohn und Spott für Hertha | |
Investor Lars Windhorst, der dem Verein seit 2019 mit Überweisungen von | |
insgesamt 375 Millionen Euro beträchtliche Kontobewegungen bei zugleich | |
beständigem sportlichem Stillstand bescherte, denkt in derselben | |
Traditionslinie. Die Worte von Schiphorst hat Windhorst ins | |
Business-Englisch übertragen. Er prägte zu Beginn seines Engagements, als | |
der Verein sich wieder mal in der unteren Tabellenhälfte abmühte, den | |
Begriff des „Big City Club“. So ist Hertha [2][zum leicht zu treffenden | |
Spottziel der Liga] geworden. | |
Hertha-Fan Tommy Kempert-Gmuer, der für eine Werbeagentur tätig ist, | |
sicherte sich im Internet die Domain „Big City Club“, um sie selbstironisch | |
als Spielwiese für einen Blog und einen Twitter-Account zu nutzen. Weil | |
seine „Big City Club“-Tassen bei den Gewinnspielen so begehrt waren, | |
verkauft er sie mittlerweile online. Obwohl er die Vereinsinsignien nicht | |
verwendet, fragte er sicherheitshalber bei Hertha nach, ob sie ihn | |
verklagen würden. So richtig sei das nicht ihre Marke, habe der Verein | |
geantwortet. Der Vorgang zeigt: man kann nie sicher sein, wo der Spaß genau | |
aufhört für den Weltklub Hertha. | |
„Es ist natürlich Quatsch, den Begriff einfach in die Welt zu setzen“, sagt | |
Werbefachmann Kempert-Gmuer. So etwas müsse aus sich heraus entstehen. | |
Grundsätzlich hätte Windhorst recht, dass eine Stadt wie Berlin mit solch | |
einer internationalen Strahlkraft einen ebensolchen Verein verdient hätte. | |
Die Marke könne man aber nicht etablieren, bevor der Erfolg einsetzt. Damit | |
hätte der Verein eine große Angriffsfläche geschaffen. Wobei er einräumt, | |
dass Windhorst einen Nerv bei den Anhängern getroffen hat. „Der Hertha-Fan | |
fühlt sich qua Naturell des Berliners zu Höherem berufen.“ | |
## Unioner Kiezidylle | |
Andererseits gefalle man sich auch im Scheitern an der Großmannssucht. „Wir | |
sind Berlin. Hier klappt ja gar nichts.“ Das gehöre zum Selbstverständnis | |
vieler in der Stadt. Es sei schon ungewöhnlich in der Branche, dass der | |
Verein einst mit seiner Kampagne „ We try, we fail, we win“ das Scheitern | |
eingepreist habe. Das Warten auf den letzten Teil des Versprechens hält bis | |
heute an. | |
Beim 1. FC Union Berlin dagegen verkauft sich das kleinteilig Kiezige gut. | |
Im Fanshop gibt es Kleidungsstücke mit einer Berliner Postleitzahl, | |
unionrote Oberteile mit der Aufschrift „12555 Köpenick“. Und auch die | |
Marketingaktionen lesen sich wie Kontrastprogramme zum weltstädtischen | |
Führungsanspruch der Hertha. „Waldmeister“ heißt das jüngste Projekt bei | |
Union. „Grüne Farbakzente“ hat der Verein auf sein aktuelles weißes | |
Ausweichtrikot platziert. Fünf Euro pro Hemd sollen für die Pflanzung neuer | |
Bäume in den Wäldern von Köpenick dienen. | |
„Das ist ein typischer Fall, wie die Dinge bei uns laufen“, findet | |
Pressesprecher Christian Arbeit. „Wir beschäftigen uns mit dem, was uns | |
unmittelbar berührt.“ Die bewaldete Wuhlheide grenze direkt an das Stadion | |
und man habe in den letzten Jahren gesehen, welchen Schaden die letzten | |
trockenen Jahre am Wald angerichtet hätten. | |
In ein paar Jahren sollen die von Union gepflanzten Obstbäume in den | |
Klubfarben Rot und Weiß erblühen. „Unsere Verwurzelung im Bezirk, in | |
unserer direkten Umgebung ist sehr intensiv“, sagt Arbeit zum | |
Vereinsengagement in Köpenick. Da könnte man fast auf die Idee kommen, der | |
1. FC Union selbst sei so etwas wie ein lokales Naturprodukt. Aber ähnlich | |
wie bei Hertha gibt es auch bei Union Brüche. Arbeit selbst erinnert daran, | |
dass die eigenen Fans den gegnerischen gern einmal lautstark erklären: „Wir | |
sind eure Hauptstadt, ihr Bauern!“ | |
So wie das Möchtegern-Weltstädtische der Hertha mitunter doch zu sehr von | |
seiner Provinzialität und Horstigkeit konterkariert wird, beißt sich bei | |
Union zuweilen das nischige Kiezkultige mit der Berliner Großkotzigkeit. | |
18 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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