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# taz.de -- Hauptstadt-Club mit Defiziten: Ach, Hertha!
> Unter den Fußballvereinen gilt Hertha BSC als die wenig geliebte graue
> Maus. Warum schafft es der Club einfach nicht, positive Gefühle
> auszulösen?
Bild: Ein einsames Bekenntnis: Die Hertha-Fahne auf einem Neuköllner Balkon
Berlin taz | Entgegengebrachter Hass ist für einen Fußballverein gar nicht
so schlimm. Der FC Bayern München beispielsweise wird in Deutschland von
vielen innigst gehasst, und der Verein lebt ganz gut damit. Hertha BSC löst
bei sehr vielen dagegen nur hochgradig indifferente Emotionen aus.
Deutschlandweit, aber auch in der Hauptstadt selbst: der Verein ist
irgendwie einfach nur egal. Es kursieren zig Rankings mit den beliebtesten
bzw. [1][unbeliebtesten Bundesliga-Vereinen]: Die Hertha gehört bei diesen
zuverlässig zu den am wenigsten angesagten Clubs. Und es gibt Berechnungen,
wie groß der Fananteil der Stadtbewohner im Bezug zum dominanten
Fußballclub der Stadt ist. Auch hier liegt die Hertha ziemlich weit hinten.
Viel mehr Münchner und viel mehr Dortmunder haben ein positives Verhältnis
zum größten Verein der Stadt als die Berliner zu ihrem.
Zu dieser Wahrheit gehört außerdem noch dazu: Seit Kurzem ist die Hertha ja
nach Vereinsmitgliedern nicht mal mehr [2][der größte Sportverein der
Stadt], sondern der 1. FC Union. Das schmerzt noch zusätzlich.
Warum aber ist das so, warum schafft es die Hertha einfach nicht, positive
Gefühle auszulösen?
Als der Verein Anfang der zehner Jahre als Fahrstuhlmannschaft mal auf- und
dann wieder abstieg aus der ersten Liga, sorgte das bei den Berlinern für
kaum mehr als ein Schulterzucken.
Selbst bei Hertha-Fans, die auch ein eher unterkühltes Verhältnis zu ihrem
Herzensverein zu haben scheinen. Anlässlich einer dieser Abstiege vor elf
Jahren wurde schon damals in dieser Zeitung versucht herauszufinden, warum
Herthaner von diesem Ereignis, das eigentlich einem Weltuntergang
gleichkommen müsste, so wenig angefasst wirkten. Johannes Kopp, der sich
[3][auf Spurensuche begab], sagt heute: „Am interessantesten fand ich den
Erklärungsansatz, dass es in der Hertha-Geschichte an Spielen fehlt, aus
denen heraus ein Mythos hätte entstehen können. Alle anderen Fans von
Vereinen schwärmen sofort von irgendwelchen Schlüsselspielen, Sternstunden,
haben gemeinsame Fixpunkte.“
Hertha anscheinend nicht. Da gab und gibt es immer nur fußballerisches
Mittelmaß. Der Verein ist fast 130 Jahre alt, man nennt ihn gerne „Alte
Dame“, aber was fehlt, ist ein verbindendender historischer Mythos, zu dem
auch ein wenig fußballerischer Glanz gehört, etwa dieses eine große Spiel
irgendwann, das man knapp in der letzten Minute gewonnen hat und an dem man
sich selbst Generationen später immer noch erwärmen kann. Gibt es bei
Hertha nicht. „Ungünstige Voraussetzungen, um außerhalb der
Hertha-Sozialisationsblase Anhang dazuzugewinnen“, glaubt heute der
taz-Redakteur.
Und es ist ja nichts besser geworden seither mit der Hertha. Im Gegenteil.
Auf den ungeliebten Manager Dieter Hoeneß, der Herthas Geschicke die nuller
Jahre hindurch leitete, folgte der noch unbeliebtere Manager Michael
Preetz, der es den Fans nie recht machen konnte und der unkündbar schien,
obwohl er Managementfehler an Managementfehler reihte. Bis es Anfang dieses
Jahres dann doch für ihn vorbei war. In seine Zeit fällt auch das bizarre
Kapitel mit dem Trainer Jürgen Klinsmann, der es nur 76 Tage in der
Hauptstadt aushielt und dann hinschmiss, weil er meinte, Hertha BSC sei ein
unreformierbarer Verein.
Was ihm viele Hertha-Fans erstaunlicherweise gar nicht mal übel nehmen
wollten, denn sie meinten: Eigentlich hat er ja recht, der Klinsmann.
Mit dem Kurzzeit-Trainer kam auch der Begriff vom „Big City Club“ in die
Welt und die Idee, die Hertha sei ein schlafender Riese, den man nur wecken
müsse. Woran auch der Investor Lars Windhorst glaubt, der seit einer Weile
in die Hertha viel Geld pumpt. Was zum nächsten großen Problem des Vereins
führt: die grotesk große Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Der Big City Club ist aktuell abstiegsbedroht, und trotzdem werden immer
weiter große Töne gespuckt. Der neue Geschäftsführer des Vereins, Carsten
Schmitt, gab erst jüngst zu Protokoll: „Wir wollen die größte Aufholjagd,
die der deutsche und vielleicht der internationale Fußball je erlebt hat,
einleiten und zum Erfolg führen.“ Selbst in den Niederungen des
Abstiegskampfs werden noch Superlative verwendet.
Diese fehlende Demut trägt schon seit Jahrzehnten nicht gerade zur
Steigerung der Imagewerte bei. Der in Berlin lebende Schriftsteller und
Fußballkenner Max Annas (erklärtermaßen Fan des 1. FC Köln) sagt, dass
diese Großkotzigkeit bei ihm sogar dann doch noch diese großen Gefühle
ausgelöst habe, die Hertha sonst eigentlich nur selten entgegengebracht
werden: „Für mich war es Dieter Hoeneß’ großmäuliges Auftreten. Bis dah…
war Hertha für mich und andere, die ich kenne, ein Club wie jeder andere,
er interessierte uns nicht. Aber nach dem Spruch: ‚Hauptstadt-Club –
Champions League‘, gefühlt in jedes herumstehende Mikrofon gerufen, haben
wir Hertha alle gehasst.“
Auch Patrick Thülig (Schalke-Fan, der sagt, Hertha sei ihm egal),
Vorstandsmitglied im Berliner [4][Verein Brot & Spiele], der Sport- und
Fußballevents in der Stadt organisiert, glaubt, diese Wichtigtuerei sei
wegen fehlender Substanz in der Wirklichkeit ein Problem: „Im Vergleich mit
den anderen europäischen Hauptstadtclubs kommt Hertha halt eher schlecht
weg. Daran muss man sie messen und damit wird sie oft – Stichwort
halbleeres Stadion – aufgezogen.“
Wenn man sich weiter umhört bei Fußballfans in der Hauptstadt, um noch mehr
dazu herauszufinden, warum Hertha regional und überregional ein so
schlechtes Standing hat, werden noch allerlei weitere Theorien genannt,
aber eine wirklich schlüssige, die alles erklärt, hat eigentlich niemand
parat.
Berlin biete eben so viel mehr als Fußball, glaubt ein befragter
Hertha-Fan, Kunst und Kultur spiele hier einfach eine größere Rolle als der
Fußball. Außerdem gebe es mit Alba und den Eisbären Konkurrenz durch andere
in der Hauptstadt populäre Sportarten.
Ein Fan von Tasmania Berlin, von Hause aus der Hertha in Feindschaft
verbunden, glaubt: „Westberliner stören sich immer noch an alten
Geschichten und hatten hässliche Erlebnisse mit Hertha-Fans, den
‚Fröschen‘.“ Die oft rechtsgerichteten „Frösche“, Hooligan-Fans der…
spielen heute zwar so gut wie keine Rolle mehr. Aber nach dieser Erklärung
des Tasmania-Fans prägt diese Fanvereinigung immer noch das Bild der Hertha
mit. Wobei der befragte Hertha-Fan sagt, die Anhänger seines Lieblingsclubs
von heute seien mehrheitlich eher links.
Die Hertha, sie bleibt ein wenig ein großes Rätsel. Aber Rätsel können auch
interessant sein. Darauf könnte der Verein ja vielleicht aufbauen.
2 Apr 2021
## LINKS
[1] https://www.t-online.de/sport/fussball/bundesliga/id_84293574/studie-zur-bu…
[2] /Fussball-mit-Bertolt-Brecht/!5748570
[3] /Absteiger-Hertha-BSC-Berlin/!5143089
[4] /Fussballturnier-Brot--Spiele/!5617046
## AUTOREN
Andreas Hartmann
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