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# taz.de -- Absteiger Hertha BSC Berlin: "Wir gehören auf Platz eins"
> Im letzten Jahr hatte sich Hertha um einen Imagewandel bemüht. Mit dem
> Abstieg droht nun das Piefige wieder Oberhand zu gewinnen. Eine
> Spurensuche in Berlin.
Bild: Abgestiegen.
BERLIN taz | Normalerweise nähern sich Fernsehteams Absteigern aus der
Fußball-Bundesliga per Nahaufnahme. Die Kameraleute zoomen sich bei solchen
Gelegenheiten seit eh und je an die Tränensäcke der Fans, Spieler und
Clubverantwortlichen heran. Sie rücken dutzendweise Menschen ins Visier,
die aufgrund des Ausgangs eines Fußballspiels völlig den Halt verlieren.
An dem Tag, an dem Hertha BSC Berlin endgültig absteigt, entscheiden sich
die Macher der ARD-"Sportschau" für einen anderen Blickwinkel. Sie setzen
auf Distanz statt Nähe, um die vermeintliche Tragödie zu veranschaulichen.
Auf der gezeigten Europakarte fehlt die deutsche Metropole. Berlin ist nun
die einzige Hauptstadt in Europa, die keinen Erstligisten hat. Das Spiel
gegen den Deutschen Meister Bayern München ist bedeutungslos geworden.
Ohne die Europakarte wäre die Tragik des Abstiegs nicht so gut zu
vermitteln gewesen. Denn in Berlin selbst bekommt man an diesem Tag davon
nicht allzu viel mit. Dazu hätte man schon in einer dieser kleinen,
rustikalen Hertha-Klausen gehen müssen, zur "Gaststätte bei Joppe" etwa,
"Zum alten Sünder" oder ins "Bären Eck". An dem Tag, an dem Hertha
endgültig absteigt, ist die Stadt mit anderem beschäftigt. Es ist der 1.
Mai, und der geplante Aufmarsch der Neonazis mobilisiert viele Menschen zum
Protest. Es herrscht Alarmstufe 1. Auch am Bahnhof steht wie überall in der
Stadt an jeder Ecke die Polizei. Die hier offenen Läden sind am Feiertag
gut besucht. Bis auf einen - den Hertha-Fanshop. Zwei Verkäuferinnen, keine
Kundschaft. "Wenn Hertha nicht im Olympiastadion spielt, ist das hier immer
so", sagt die eine.
Viele Heimatvereine
Natürlich gibt es auch Fußballinteressierte in der Stadt. In einer Kneipe
im Szenebezirk Prenzlauer Berg drängen sich an diesem 1. Mai etwa 180
Menschen auf engstem Raum. Doch Herthas Sturz in die Zweitklassigkeit
berührt hier keinen. Die eine Hälfte der Besucher hat sich eh für die
Partie ihrer Lieblingsteams entschieden - im Keller wird das Spiel zwischen
dem 1. FC Köln und dem SC Freiburg gezeigt. Die andere Hälfte verfolgt zwar
ebenerdig die Konferenz mit den wechselnden Spielorten, doch als dann
direkt nach dem Abpfiff in Leverkusen die Stimmung der frisch abgestiegenen
Herthaner eingefangen werden soll, werden die Fernsehgeräte brüsk
ausgeschaltet.
Warum keine Hertha-Fans in seine Kneipe kommen, kann Wirt Armin Wörner, ein
bekennender Freiburg-Fan, nicht so recht erklären. "Irgendetwas stimmt mit
dem Verein nicht", sagt er ratlos. Wobei er schnell versichert, dass er den
Abstieg der Berliner durchaus bedauere. Schließlich könne er nächste Saison
seine Freiburger hier nicht mehr sehen. So geht es vielen in der Stadt:
Bislang waren sie einmal pro Saison mit ihrer Lieblingsmannschaft zu Gast
bei Hertha. Künftig gehen sie gar nicht mehr hin.
Zwei frustrierte mittvierziger Hertha-Fans, die auf dem Olympiagelände am
Gutsmuthsweg eine der letzten Übungseinheiten ihres gestrauchelten Teams
anschauen, sind nicht mehr in der Stimmung, irgendetwas zu beschönigen: "In
der Stadt hast du 1,5 Millionen Zugezogene, die anderen Teams die Daumen
drücken, und die Alteingesessenen können Hertha eh nicht leiden", sagt der
eine. Weshalb? "Wegen der rechten Geschichten, der Schiebereien, der
dubiosen Präsidenten."
Hertha umgarnt die Stadt seit Jahren. Die aktuelle Kampagne lautet "Aus
Berlin. Für Berlin". Schon seit einer gefühlten Ewigkeit sucht Hertha einen
"strategischen Partner", ein in Berlin ansässiges Unternehmen, das man als
langfristigen Geldgeber gewinnen möchte. Aber die "Alte Dame" ist bis heute
Single geblieben. In der Stadt hat man nicht allzu viel übrig für die
Hertha. Die Kleinstadt Mönchengladbach kann auf einen besseren
Zuschauerschnitt in der Bundesliga verweisen. Einer der beiden Hertha-Fans
am Trainingsplatz erklärt: "Du hast hier Alba, du hast die Eisbären, du
hast Kultur." Die unmittelbare sportliche Konkurrenz ist in der Tat groß.
Neben dem Basketball- und Eishockeyverein verfügt Berlin derzeit über 79
Erstligisten in 32 Sportarten.
Birger Schmidt vom Berliner Verein für Fußballkultur "Brot und Spiele"
glaubt, dass Herthas schlechtes Standing in der Stadt zum großen Teil
selbst verschuldet ist. Dem Verein fehle es seit je an
Identifikationsfiguren und an großen Erfolgen, an die man sich gern
zurückerinnere. Für das 11-mm-Fußballfilmfestival, das der Verein
organisiert, erzählt Schmidt, habe man schnell einige historisch
bedeutungsvolle Spiele der Stadtkonkurrenten Union Berlin und BFC Dynamo
zur Hand gehabt. Bei Hertha BSC wurde man indes nicht fündig. Selbst die
Hertha-Fans konnten nicht richtig weiterhelfen. Es hieß: "Ihr könntet
höchstens das Uefa-Cup-Halbfinalspiel von 1979 gegen Roter Stern Belgrad
zeigen, aber besonders doll war det ooch nicht."
Ungeachtet dieses mangelnden Stoffs an Legendenbildung sei man bei Hertha
früher immer auf große Arroganz getroffen, erzählt Schmidt. Früher? Birger
Schmidt berichtet von einem nach außen hin kaum merklichen Wandel bei
Hertha. Nach dem Abgang des Managers Dieter Hoeneß vergangenen Sommer sei
der Verein alternativen Projekten gegenüber viel aufgeschlossener geworden.
Hoeneß hatte zwischen 1997 und 2009 maßgeblich daran mitgewirkt, dass der
Verein heute auf professionellen Strukturen aufbauen kann.
Aber er hat den Verein autoritär, nach Gutsherrenart geführt und stets mehr
Geld ausgegeben als da war. Nun ist vieles anders geworden. Schmidt sagt:
"Man ist nicht mehr in der Rolle des unliebsamen Bittstellers. Stattdessen
wird auf Augenhöhe miteinander gesprochen und diskutiert." Er fürchtet,
dass die neue Kommunikationskultur durch den Abstieg schon bald wieder
Schaden nehmen könnte.
Unmerklicher Wandel
Hertha wollte sich, nachdem man Dieter Hoeneß vor die Tür gesetzt hatte,
von einer neuen Seite zeigen. Das Anspruchsdenken wurde eingestellt. Die
sportliche Planung ordnete man strikt dem Abbau der 35-Millionen-Euro
Schuldenlast unter. Der neue Stil der Bescheidenheit ließ sich mit teuren
Leistungsträgern wie Marko Pantelic, Andrey Woronin und Josip Simunic nicht
mehr vereinbaren. Ihren Weggang sollte der damalige Trainer Lucien Favre
mit jungen unerfahrenen Spielern kompensieren.
Schließlich hatte Favre ja schon in der vergangenen Saison aus einem recht
jungen Team zur Überraschung aller einen Meisterschaftskandidaten geformt
und der Hertha aus ungekannten Kreisen neue Anhänger beschert. Für wenige
Wochen war Hertha hip. Vor dieser Saison dachte man also, dass es zu einem
Mittelfeldplatz irgendwie schon reichen würde. Eine verhängnisvolle
Fehleinschätzung.
Nicht nur wegen des Abstiegs. Denn nun stehen bei Hertha wieder diejenigen
Kräfte auf den Barrikaden, die dem Verein in der Vergangenheit seinen
piefigen und hochnäsigen Anstrich gaben. Bereits auf der letzten
Mitgliederversammlung in November, als der Klub bereits abgeschlagen den
letzten Tabellenplatz einnahm, zählte mit Heinz Troschitz ein ehemaliges
Schill-Parteimitglied zu den Wortführern der Opposition, die zum Sturz der
Vereinsführung aufgerufen hatte. An diesem Abend, der reichlich
Realsatirisches bot, trat ein empörtes Hertha-Mitglied ans Mikrofon und
rief: "Wir sind der Hauptstadtclub und wir gehören auf Platz eins!"
Und als der einstige CDU-Bürgermeisterkandidat Frank Steffel, der heute im
Sportausschuss des Bundestags sitzt, im Dezember seinem Rettungsplan
"Berliner, steht auf, wenn ihr Herthaner seid" an die Vereinsführung
schickte, da schien Hertha wieder unfreiwillig im Reich der Provinzpossen
angekommen zu sein. "Hertha statt Böller", lautete einer seiner zehn
Vorschläge, mit dem er dem Verein über 21 Millionen Euro verschaffen
wollte.
Beim letzten Heimspiel gegen Schalke 04 wandten sich auch solche Anhänger
enttäuscht ab, die auf ihren Jacken Aufnäher mit Parolen wie "Hertha über
alles" oder "Kniet nieder, wenn die Hauptstadt kommt" tragen. Dennoch
werden vermutlich genau diese Fans am ehesten wiederkommen, wenn die
Kapitale künftig gegen den SC Paderborn 07 oder Rot-Weiß Oberhausen
antreten muss.
Die anderen werden sich allenfalls in ihrer Eckkneipe die Zeit mit der
Zweiten Liga vertreiben. Armin Wörner, Wirt der Fußballkneipe im Prenzlauer
Berg, spekuliert auf ein kleines Zusatzgeschäft. Bislang hatten
Hertha-Begegnungen keinen Einfluss auf seinen Umsatz. "Aber jetzt", sagt
er, "kommen vielleicht auch einige Hertha-Fans zu den Montagsspielen, weil
wir die dann in voller Länge zeigen können." Unter den Zweitligafans in der
Stadt sind die Herthaner wieder eine Macht.
7 May 2010
## AUTOREN
Johannes Kopp
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